Am 4. April 2023 wurde Finnland offiziell das 31. Mitglied des NATO-Militärbündnisses. Die 1340 km lange Grenze zwischen Finnland und Russland ist nun die bei weitem längste Grenze zwischen einem NATO-Land und Russland, das ansonsten nur an Norwegen, Lettland, Estland und kurze Abschnitte der polnischen und litauischen Grenze grenzt, wo sie Kaliningrad einschließen.
Im Zusammenhang mit dem nicht ganz so kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und Russland ist jede dieser Grenzen ein potenziell gefährlicher Krisenherd, der eine neue Krise oder sogar einen Weltkrieg auslösen könnte. Ein wesentlicher Unterschied zur finnischen Grenze besteht jedoch darin, dass sie nur etwa 100 Meilen von Seweromorsk entfernt liegt. Dort sind die russische Nordflotte und 13 ihrer 23 atomar bewaffneten U-Boote stationiert. Hier könnte der Dritte Weltkrieg beginnen – wenn er nicht schon in der Ukraine begonnen hat.
Der eigene kleine militärisch-industrielle Komplex möchte nämlich nicht außen vor bleiben.
In Europa sind heute nur noch die Schweiz, Österreich, Irland und eine Handvoll anderer kleiner Staaten außerhalb der NATO. Finnland war 75 Jahre lang ein Musterbeispiel für erfolgreiche Neutralität. Aber es ist weit davon entfernt, entmilitarisiert zu sein. Wie die Schweiz verfügt es über ein großes Militär, und junge Finnen müssen nach Vollendung ihres 18 Lebensjahres Militärdienst leisten. Die aktiven und die Reservestreitkräfte machen mehr als 4 % der Bevölkerung aus – im Vergleich zu nur 0,6 % in den USA. Und 83 % der Finnen sagen, dass sie im Falle einer Invasion Finnlands an einem bewaffneten Widerstand teilnehmen würden.
Nur 20 bis 30 % der Finnen haben in der Vergangenheit den Beitritt zur NATO befürwortet. Die Mehrheit der Finnen hat die Neutralitätspolitik ihres Landes konsequent und mit Stolz unterstützt. Ende 2021 ergab eine finnische Meinungsumfrage, dass 26 % der Bevölkerung einen NATO-Beitritt befürworteten. Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 stieg diese Zahl jedoch innerhalb weniger Wochen auf 60 %. Und im November 2022 sprachen sich 78 % der Finnen für einen NATO-Beitritt aus.
Wie in den Vereinigten Staaten und anderen NATO-Ländern sind auch in Finnland die führenden Politiker eher für die NATO als die breite Öffentlichkeit. Obwohl sich die finnische Öffentlichkeit seit langem für die Neutralität ausspricht, trat Finnland 1997 dem NATO-Programm «Partnerschaft für den Frieden» bei.
Die finnische Regierung entsandte nach dem Einmarsch der Vereinigten Staaten im Jahr 2001 im Rahmen der von den Vereinten Nationen genehmigten Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe 200 Soldaten nach Afghanistan. Sie blieben auch dort, nachdem die NATO im Jahr 2003 das Kommando über diese Truppe übernommen hatte. Die finnischen Truppen verliessen Afghanistan erst nach dem Abzug aller westlichen Streitkräfte im Jahr 2021. Damals waren insgesamt 2 500 finnische Soldaten und 140 zivile Beamte dort eingesetzt worden und zwei Finnen getötet worden.
In einer im Dezember 2022 vom Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten durchgeführten Überprüfung der Rolle Finnlands in Afghanistan wurde festgestellt, dass die finnischen Truppen «im Rahmen der nunmehr von der NATO geführten Militäroperation wiederholt in Kampfhandlungen verwickelt und zu einer Konfliktpartei geworden waren».
Finnlands erklärtes Ziel, «Afghanistan zu stabilisieren und zu unterstützen, um den internationalen Frieden und die Sicherheit zu stärken», wurde durch «seinen Wunsch, seine außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA und anderen internationalen Partnern aufrechtzuerhalten und zu stärken, sowie durch sein Bemühen, seine Zusammenarbeit mit der NATO zu vertiefen» überlagert.
Mit anderen Worten: Wie andere kleine NATO-Bündnispartner war Finnland nicht in der Lage, inmitten eines eskalierenden Krieges seine eigenen Prioritäten und Werte aufrechtzuerhalten. Es ließ stattdessen zu, dass sein Wunsch, «seine Zusammenarbeit» mit den Vereinigten Staaten und der NATO zu vertiefen, Vorrang vor seinem ursprünglichen Ziel erhielt, dem afghanischen Volk zu helfen, Frieden und Stabilität wiederzuerlangen.
Infolge dieser verworrenen und widersprüchlichen Prioritäten wurden die finnischen Streitkräfte in das Muster der reflexartigen Eskalation und des Einsatzes überwältigender zerstörerischer Gewalt hineingezogen, das die militärischen Operationen der Vereinigten Staaten in allen ihren jüngsten Kriegen kennzeichnet.
Als kleines neues NATO-Mitglied wird Finnland genauso wenig wie in Afghanistan in der Lage sein, die Dynamik des zunehmenden Konflikts der NATO-Kriegsmaschinerie mit Russland zu beeinflussen. Finnland wird feststellen, dass seine tragische Entscheidung, eine Neutralitätspolitik aufzugeben, die ihm 75 Jahre Frieden beschert hat, und bei der NATO Schutz zu suchen, es wie die Ukraine an der Front eines von Moskau, Washington und Brüssel gelenkten Krieges gefährden wird, den es weder gewinnen noch eigenständig lösen kann – oder seine Eskalation zum Dritten Weltkrieg verhindern kann.
Der Erfolg Finnlands als neutrales und liberal-demokratisches Land während und nach dem Kalten Krieg hat eine Volkskultur geschaffen, in der die Menschen ihren Führern und Vertretern mehr Vertrauen entgegenbringen als in den meisten westlichen Ländern. Und sie sind weniger geneigt, die Weisheit ihrer Entscheidungen zu hinterfragen. So stieß die nahezu einstimmige Entscheidung der politischen Klasse für einen NATO-Beitritt nach der russischen Invasion in der Ukraine auf wenig öffentlichen Widerstand. Im Mai 2022 stimmte das finnische Parlament dem NATO-Beitritt mit einer überwältigenden Mehrheit von 188 zu acht Stimmen zu.
Warum aber war die politische Führung Finnlands so sehr darauf bedacht, «seine außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA und anderen internationalen Partnern zu stärken», wie es im Bericht Finnland in Afghanistan heißt? Als unabhängige, neutrale, aber stark bewaffnete Militärnation erfüllt Finnland bereits das NATO-Ziel, 2 % seines BIP für das Militär auszugeben. Außerdem verfügt das Land über eine bedeutende Rüstungsindustrie, die moderne Kriegsschiffe, Artillerie, Sturmgewehre und andere Waffen selbst herstellt.
Die NATO-Mitgliedschaft wird die finnische Rüstungsindustrie in den lukrativen Rüstungsmarkt der NATO einbinden und den Absatz finnischer Waffen ankurbeln. Gleichzeitig wird es aber auch die Möglichkeit bieten, mehr der neuesten amerikanischen und verbündeten Waffen für das eigene Militär zu kaufen und bei gemeinsamen Waffenprojekten mit Unternehmen in grösseren NATO-Ländern zusammenzuarbeiten. Da die Militärausgaben der NATO steigen und wahrscheinlich weiter steigen werden, steht die finnische Regierung eindeutig unter dem Druck der Rüstungsindustrie und anderer Interessen. Der eigene kleine militärisch-industrielle Komplex möchte nämlich nicht außen vor bleiben.
Seit dem Beginn seines NATO-Beitritts hat Finnland bereits 10 Milliarden Dollar für den Kauf amerikanischer F-35-Kampfflugzeuge als Ersatz für seine drei F-18-Staffeln bereitgestellt. Finnland hat auch Angebote für neue Raketenabwehrsysteme eingeholt. Und es versucht Berichten zufolge, sich zwischen dem indisch-israelischen Boden-Luft-Raketensystem Barak 8 und dem amerikanisch-israelischen David’s Sling-System zu entscheiden, das vom israelischen Unternehmen Raphael und dem amerikanischen Unternehmen Raytheon gebaut wird.
Nach finnischem Recht ist es dem Land untersagt, Atomwaffen zu besitzen oder sie ins Land zu lassen – im Gegensatz zu den fünf NATO-Ländern, die US-Atomwaffen auf ihrem Boden lagern: Deutschland, Italien, Belgien, Holland und die Türkei. Finnland hat seine NATO-Beitrittsunterlagen jedoch ohne die Ausnahmen eingereicht, auf denen Dänemark und Norwegen bestanden haben, um Atomwaffen verbieten zu können. Damit bleibt die nukleare Haltung Finnlands eindeutig unklar, obwohl Präsident Sauli Niinistö versprochen hat, dass «Finnland nicht die Absicht hat, Atomwaffen auf unseren Boden zu bringen».
Das Fehlen einer Diskussion über die Auswirkungen des Beitritts Finnlands zu einem explizit nuklearen Militärbündnis ist beunruhigend. Es wurde auf ein übereiltes Beitrittsverfahren im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sowie auf Finnlands Tradition des bedingungslosen Vertrauens der Bevölkerung in seine nationale Regierung zurückgeführt.
Am bedauerlichsten ist vielleicht, dass die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO das Ende der bewundernswerten Tradition des Landes als globaler Friedensstifter bedeutet. Der ehemalige finnische Präsident Urho Kekkonen, ein Architekt der Politik der Zusammenarbeit mit der benachbarten Sowjetunion und ein Verfechter des Weltfriedens, war an der Ausarbeitung der Helsinki-Vereinbarungen beteiligt. Das ist ein historisches Abkommen, das 1975 von den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Kanada und allen europäischen Staaten (mit Ausnahme Albaniens) zur Verbesserung der Entspannung zwischen der Sowjetunion und dem Westen unterzeichnet wurde.
Der finnische Präsident Martti Ahtisaari setzte die friedensstiftende Tradition fort und erhielt 2008 den Friedensnobelpreis für seine kritischen Bemühungen um die Lösung internationaler Konflikte von Namibia über Aceh in Indonesien bis zum Kosovo (das dann von der NATO bombardiert wurde).
In seiner Rede vor der UNO im September 2021 schien der finnische Präsident Sauli Niinistö bestrebt zu sein, diesem Erbe zu folgen. «Die Bereitschaft von Gegnern und Konkurrenten zum Dialog, zum Aufbau von Vertrauen und zur Suche nach gemeinsamen Nennern – das war die Essenz des Geistes von Helsinki. Genau diese Art von Geist braucht die ganze Welt und die Vereinten Nationen dringend», sagte er. «Ich bin überzeugt, je mehr wir über den Geist von Helsinki sprechen, desto näher kommen wir der Wiederbelebung dieses Geistes – und seiner Verwirklichung.»
Natürlich war es Russlands Entscheidung, in die Ukraine einzumarschieren, die Finnland dazu brachte, den «Geist von Helsinki» zugunsten eines NATO-Beitritts aufzugeben. Hätte Finnland jedoch dem Druck widerstanden, der auf das Land ausgeübt wurde, um eine NATO-Mitgliedschaft zu erzwingen, könnte es jetzt stattdessen dem «Friedensclub» beitreten. Dieser wurde vom brasilianischen Präsidenten Lula gegründet, um die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine wieder aufzunehmen. Zum Leidwesen Finnlands und der Welt sieht es so aus, als ob der Geist von Helsinki ohne Helsinki weitergehen muss.
Erstveröffentlichung bei Common Dreams, übersetzt aus dem Englischen von Christa Dregger für Zeitpunkt.