G7-Außenminister kündigen weitere Verschärfung der Russland-Sanktionen an. Brasiliens Präsident Lula dringt auf Verhandlungslösung – mit Unterstützung aus dem Globalen Süden.

Die Außenminister der G7-Staaten kündigen eine weitere Verschärfung ihrer Maßnahmen gegen Russland an und geraten in immer stärkeren Gegensatz zu mehreren Staaten des Globalen Südens, die Friedensgespräche fordern. Auf ihrem gestrigen Treffen im japanischen Karuizawa kamen die G7-Minister überein, die Sanktionen gegen Russland zu „intensivieren“, ihre penible Einhaltung auch durch Drittstaaten durchzusetzen sowie vor allem wirksame Schritte gegen die Lieferung von Waffen – faktisch vor allem iranische Drohnen – an die russischen Streitkräfte zu ergreifen. Der Beschluss erfolgte, während insbesondere Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei Besuchen in China und in den Vereinigten Arabischen Emiraten über Möglichkeiten diskutierte, eine Verhandlungslösung zwischen Moskau und Kiew herbeizuführen. Die USA müssten „aufhören, zum Krieg zu ermutigen, und anfangen, über Frieden zu reden“, verlangte Lula, der auch die EU zu Friedensgesprächen aufforderte. Der Streit zwischen dem Westen und dem Globalen Süden um den Umgang mit dem Ukraine-Krieg gewinnt prinzipiellen Charakter; Staaten wie Brasilien dringen auf ein Ende der westlichen Dominanz.

Sanktionen „nachschärfen“

Bereits vor dem Beginn des Außenministertreffens der G7-Staaten in dem japanischen Ferienort Karuizawa hatte Außenministerin Annalena Baerbock eine erneute Intensivierung der Maßnahmen gegen Russland angekündigt. Die G7 hätten im vergangenen Jahr „als Krisenteam im Dauereinsatz … Russlands Aggression eine Schranke nach der anderen entgegengesetzt“, erklärte Baerbock: „mit der Winterhilfe für die Menschen in der Ukraine, mit den Russlandsanktionen und dem Ölpreis-Deckel“. „Mit unserer Unterstützung“ habe „die Ukraine Russlands Energiekrieg und der Winteroffensive standgehalten“. Nun werde man „beim Treffen in Japan … unser Engagement nachschärfen“.[1] Dabei gehe es „darum, Putin unsere Entschlossenheit zu zeigen, dass er seine Ziele auch nicht durch Zermürbung und Ermüdung erreichen wird“, teilte Baerbock mit. Die Kriegsbeteiligung des Westens durch die Lieferung von Waffen, die Ausbildung ukrainischer Soldaten, die Bereitstellung von Aufklärungs- bzw. Zieldaten durch die USA und die Präsenz von NATO-Militär in der Ukraine, die durch das jüngste US-Datenleak bekannt geworden ist, ließ die Ministerin unerwähnt. Laut einem geleakten Papier halten sich Soldaten aus Großbritannien, Lettland, Frankreich, den USA und den Niederlanden plus 100 Vertreter von Pentagon und State Department in der Ukraine auf.[2]

„Geschlossenheit wahren“

Gestern kamen die G7-Außenminister nach ausführlichen Gesprächen offiziell überein, ihre „starke Unterstützung“ für die Ukraine fortzusetzen und ihre Maßnahmen auszuweiten. Von Verhandlungen über einen Waffenstillstand oder gar Friedensgesprächen war nicht die Rede; die Minister forderten stattdessen Moskau auf, seine Truppen „sofort“ vollständig aus der Ukraine abzuziehen.[3] Zudem hieß es, man werde die Sanktionen gegen Russland nicht nur „koordinieren und umsetzen“, sondern auch „intensivieren“. Dabei sei es „wichtig, Geschlossenheit zu wahren“. Zudem müsse man sich stärker bemühen, die „Umgehung von Sanktionen“ zu unterbinden, und unbedingt verhindern, dass Waffen aus Drittstaaten nach Russland gelangten. Mit ersterem ist die Lieferung westlicher Waren, die Russland nach den Sanktionsbestimmungen nicht erhalten darf, über Länder etwa im Südkaukasus oder in Zentralasien gemeint. Bei letzterem geht es besonders um die Lieferung iranischer Drohnen. Wie beides in Zukunft gestoppt werden soll, wurde allerdings nicht näher erläutert.

Vermittlungsbemühungen

Während Deutschland und die G7-Staaten sich weiterhin als Kriegspartei auf der Seite der Ukraine betätigen, treiben Länder jenseits des transatlantischen Blocks die Bemühungen um eine Beendigung des Krieges voran. In der Vergangenheit hatten schon eine ganze Reihe von Staaten versucht, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln – bereits in den ersten Wochen und Monaten des Krieges Israel und die Türkei [4], später unter anderem Indien und Saudi-Arabien [5]. Dabei konnten einige Erfolge erzielt werden, etwa die Neuaufnahme der ukrainischen Getreidetransporte über das Schwarze Meer und ein Gefangenenaustausch. Am 24. Februar legte China ein Zwölf-Punkte-Papier „zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ vor, das von der ukrainischen Regierung relativ wohlwollend kommentiert wurde [6] und Gegenstand der Gespräche der Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin am 20. und 21. März in Moskau war. Im Westen stößt es allerdings auf Ablehnung. Erste Anzeichen, die ukrainische Regierung könne sich auf Verhandlungen einlassen, hatte es vor zwei Wochen gegeben, als der stellvertretende Leiter des Kiewer Präsidialamtes, Andryj Sybiha, mitteilte, man sei offen für Verhandlungen, sofern es den ukrainischen Streitkräfte gelinge, mit ihrer lange angekündigten Frühjahrsoffensive bis an die Grenze zur Krim vorzustoßen.[7]

„Der einzig mögliche Weg“

Die wohl umfassendste Verhandlungsoffensive hat Brasilien gestartet. Nach ersten Vorstößen von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Außenminister Mauro Vieira, der am 1. März am Rande des G20-Außenministertreffens mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zusammenkam, traf Ende März Lulas außenpolitischer Berater Celso Amorim, ein einstiger Außenminister, zu Gesprächen mit Lawrow und Putin in Moskau ein.[8] Gestern ist Lawrow von Vieira und Lula in Brasília empfangen worden. Zuvor hatte Lula Ende vergangener Woche bei einem Besuch in Beijing mit Präsident Xi über den Ukraine-Krieg gesprochen. Beide waren sich darin einig, „Dialog und Verhandlungen“ seien „der einzig mögliche Weg“, den Krieg zu beenden, und sie verabredeten, in der Angelegenheit „in Verbindung zu bleiben“.[9] „Es ist nötig, eine Gruppe von Staaten zu bilden, die dazu bereit sind, einen Weg zu finden, um Frieden zu schließen“, erklärte Lula in Beijing.[10] Am Sonntag setzte er bei einem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten entsprechende Gespräche fort. Er versuche weiter, Staaten zusammenzuführen, die es „vorziehen, über Frieden statt über Krieg zu sprechen“, äußerte er in Abu Dhabi; dazu gehörten neben Brasilien unter anderem China und die Vereinigten Arabischen Emirate.[11]

„Aufhören, zum Krieg zu ermutigen“

In China hat Lula gegenüber dem Westen die bislang deutlichsten Worte gefunden. „Die Vereinigten Staaten müssen aufhören, zum Krieg zu ermutigen, und anfangen, über Frieden zu reden“, forderte Brasiliens Präsident. Auch die EU müsse „anfangen, über Frieden zu reden“, damit „wir Putin und Selenskyj überzeugen können, dass Frieden im Interesse aller liegt“.[12]

Lulas universalistische Außenpolitik

Der Streit um den Umgang mit dem Ukraine-Krieg nimmt dabei immer offener prinzipielle Züge an. Die brasilianische Regierung weigert sich nicht nur, sich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen und der Ukraine Waffen zu liefern. Sie hat kürzlich trotz massiver Proteste aus den Vereinigten Staaten erlaubt, dass zwei Kriegsschiffe aus Iran in Rio de Janeiro vor Anker gingen. Bei seinem Besuch in China teilte Lula mit, er frage sich ständig, „warum alle Länder ihren Handel in Dollar abwickeln müssen“.[13] Brasilien werde das Niveau seiner strategischen Partnerschaft mit der Volksrepublik aufstocken und gemeinsam mit China „die globale Geopolitik ausbalancieren“: ein implizites Bekenntnis zum Streben nach einem Übergang aus der Ära der globalen westlichen Dominanz zu einer multipolaren Welt. Lula verfolge, erläuterte Außenminister Vieira vor kurzem, „eine universalistische Außenpolitik“.

 

Mehr zum Thema: „Auf der Seite der Diplomatie“ (III) und Auf der Seite des Krieges.

 

[1] Außenministerin Baerbock vor ihrer Abreise nach Japan. auswaertiges-amt.de 16.04.2023.

[2] Sven Christian Schulz: Geleakte Geheimpapiere: Was machen Nato-Spezialkräfte in der Ukraine? rnd.de 13.04.2023.

[3] Daniel Stewart: G7 strengthens support for Ukraine and call for intensified sanctions on Russia. msn.com 17.04.2023.

[4] S. dazu „Auf der Seite der Diplomatie“ (II).

[5], [6] S. dazu „Auf der Seite der Diplomatie (III).

[7] Christopher Miller, Felicia Schwartz: Ukraine ‘ready‘ to talk to Russia on Crimea if counteroffensive succeeds. ft.com 05.04.2023.

[8] Carla Bridi, Elise Morton: Russia’s Lavrov travels to Brazil, as Lula pushes for peace. independent.co.uk 17.04.2023.

[9] President Xi Jinping Holds Talks with Brazilian President Lula da Silva. fmprc.gov.cn 14.04.2023.

[10] Duarte Mendonca: US should stop ‘encouraging’ Ukraine war, Brazilian president says. edition.cnn.com 15.04.2023.

[11] Brazil’s Lula calls for ‘peace group’ to broker Ukraine-Russia deal. uk.news.yahoo.com 16.04.2023.

[12] Duarte Mendonca: US should stop ‘encouraging’ Ukraine war, Brazilian president says. edition.cnn.com 15.04.2023.

[13] Bryan Harris, Joe Leahy: Lula vows partnership with China to ‘balance world geopolitics’. ft.com 15.04.2023.

Der Originalartikel kann hier besucht werden