Nein, um Himmels Willen, nicht was Sie jetzt denken, viel schlimmer! Ich weiss, die Sprachpolizei ist mir auf den Fersen, wegen des Titels, der gemeinen Überschrift, und die ausgerechnet hier und von mir! Denn das Wort „Zigeuner“ ist bääh, ist eng, ja untrennbar verbunden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich, über Jahrhunderte reproduziert, zu einem geschlossenen und aggressiven Feindbild verdichtet haben, das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt ist.
Ach, wie schön wär’s doch, wenn wir an anderer Stelle ebenso konsequent protestierten – etwa, weil Sinti und Roma immer wieder mir nichts – dir nichts über Nacht aus Deutschland abgeschoben werden – und damit Kommunen wie Länder auf die Menschenrechte pfeifen. Natürlich haben wir die Erklärung der Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention und die Kinderrechtskonvention der UNO und ein paar Dutzend weitere internationale Abkommen unterzeichnet – wir unterschreiben grundsätzlich alles.
Wenn’s drauf ankommt, ob jemand ausgewiesen oder nur diskriminiert werden soll, prüfen wir genau: Ist es ein Flüchtling, der sein Land aus Furcht vor Verfolgung (wegen seiner Rasse, seiner Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung) verlassen hat? Oder ist es eine kinderreiche Sinti-Familie aus Serbien, die unsere Willkommenskultur unberechtigterweise ausnutzt? Ist es ein Rom? Natürlich haben wir weder die Zeit noch das Personal, um im Einzelfall zu prüfen, ob nun die Verfassung des Landes-Baden-Württemberg oder etwa das Grundgesetz oder gar die Kinderrechtskonvention greift, ob Kinder samt Eltern abgeschoben werden. Klar, kein Kind darf benachteiligt werden – daher wird ja die ganz Familie abgeschoben. Ich verstehe die Einwände: Kinder hätten das Recht, gesund zu leben, Geborgenheit zu finden und keine Not zu leiden. Kinder hätten das Recht zu lernen, sie hätten das Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht.
Ja, weiß ich. Die Gesetze. Aber da darf man auch nicht päpstlicher als der Papst sein.
Bis heute lebt ein Großteil der Sinti und Roma in der EU am Rande der Gesellschaft – in den letzten 20 Jahren ist sogar eine Verschlechterung ihrer Situation festzustellen. Und wenn’s nach den PopulistInnen geht, werden Rassismus und Nationalismus nicht nur in Europa weiter zunehmen. Soviel weiß man schon lange: Bei fast der Hälfte der Menschen haben die Kinder Diskriminierung erfahren, meist mit Gewalt – oft im Unterricht, häufig von LehrkräftInnen und Lehrkräften.
Schärft den Blick, schärft die Sprache.
Peter Grohmann’s „Wettern der Woche“
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.