Wir alle sollten es begrüßen, dass der Vatikan nach fast sechs Jahrhunderten die Entdeckungsdoktrin verwirft.
Vor genau zwei Jahrhunderten wurde die Entdeckungsdoktrin in das amerikanische Rechtssystem aufgenommen – im selben Jahr, in dem auch die Monroe-Doktrin geschaffen wurde.
Die Entdeckungsdoktrin besagt, dass eine europäische Nation jedes Land beanspruchen kann, das noch nicht von anderen europäischen Nationen beansprucht wurde, unabhängig davon, welche Menschen dort bereits leben. Sie wurde 1823, im selben Jahr wie Monroes schicksalhafte Rede, in das US-Gesetz aufgenommen. Formuliert wurde sie von Monroes lebenslangem Freund, dem Obersten Richter am Obersten Gerichtshof der USA, John Marshall. Die Vereinigten Staaten waren der Meinung, dass sie – vielleicht als einzige außerhalb Europas – die gleichen Entdeckungsprivilegien besaßen wie die europäischen Nationen. Es ist nicht klar, ob dieses Denken gänzlich verschwunden ist.
Montreal for a World BEYOND War betont:
„Die Entdeckungsdoktrin ist so tief in der Psyche und den Gesetzen Kanadas verwurzelt, dass die kanadische Regierung weiterhin ohne Zustimmung Rohstoffgewinnungsprojekte auf indigenem Land durchsetzt.“
„Während seines Besuchs in Kanada im vergangenen Juli wurde Papst Franziskus von indigenen Gruppen unter Druck gesetzt, die päpstlichen Bullen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, mit denen die europäischen Mächte den Landraub an den Ureinwohnern rechtfertigten, offiziell zu verwerfen. Die Entdeckungsdoktrin, auch bekannt als Terra nullius, ist das Thema von Nummer 49 der 94 Aufrufe zum Handeln, die aus den Wahrheits- und Versöhnungsanhörungen von 2015 hervorgegangen sind. Der Aufruf lautet,
„49. Wir rufen alle religiösen Konfessionen und Glaubensgemeinschaften, die dies noch nicht getan haben, dazu auf, Konzepte wie die Entdeckungsdoktrin und Terra Nullius abzulehnen, mit denen die europäische Herrschaft über indigenes Land und indigene Völker gerechtfertigt wird.
„Was genau bedeuten diese Begriffe? Terra Nullius ist lateinisch für ‚Niemandsland‘ und bezeichnet ein Prinzip, das im internationalen Recht manchmal zur Rechtfertigung der Kolonisierung verwendet wird. Terra Nullius hat es der westlichen Welt bis heute ermöglicht, Gemeinschaften, die nicht in ihr ideologisches Weltbild passen, als illegitim abzutun und ihre eigene Religion dazu zu benutzen, den Diebstahl von fremdem Land zu entschuldigen. Mit anderen Worten: Der Westen berief sich auf seinen eigenen Gott als Rechtfertigung dafür, dass er sich das Eigentum anderer Menschen aneignete und sie dafür tötete. Und schliesslich fand diese ideologische Rechtfertigung als Entdeckungsdoktrin im Jahr 1823 Eingang in das Völkerrecht.“
„In der Erklärung des Vatikans heißt es, die katholische Kirche habe in den letzten Jahren die Geschichte der indigenen Völker erkundet, im Versuch Versöhnung zu fördern. Wichtige Ereignisse auf diesem Weg waren die Wahrheits- und Versöhnungsanhörungen im Jahr 2015 und der Besuch von Papst Franziskus in Kanada im Juli 2022.“
In Bezug auf die päpstliche Bulle „Doktrin der Entdeckung“ stellt der Vatikan fest,
„Die Kirche ist sich auch bewusst, dass der Inhalt dieser Dokumente von konkurrierenden Kolonialmächten zu politischen Zwecken manipuliert wurde, um unmoralische Handlungen gegen indigene Völker zu rechtfertigen, die manchmal ohne Widerstand der kirchlichen Behörden verübt wurden. Es ist nur gerecht, diese Fehler einzugestehen, die schrecklichen Auswirkungen der Assimilationspolitik und das Leid der indigenen Völker anzuerkennen und um Vergebung zu bitten. Darüber hinaus hat Papst Franziskus gemahnt: „Nie wieder darf die christliche Gemeinschaft sich von der Idee anstecken lassen, dass eine Kultur anderen überlegen sei oder dass es legitim sei, Mittel und Wege zu nutzen, um andere zu unterjochen.“
In einem Gespräch mit der katholischen Zeitschrift Crux sagte der kanadische Kardinal Michael Czerny, dass die Erklärung, die gemeinsam von seinem eigenen Dikasterium (Kirchenamt) für integrale menschliche Entwicklung und dem vatikanischen Dikasterium für Kultur und Bildung herausgegeben wurde, „einen großen Beitrag“ dazu leisten wird, die Forderungen der indigenen Völker bezüglich der Entdeckungsdoktrin zu erfüllen. Czerny fügte hinzu, dass es wichtig sei, «zu erkennen, dass die eigentliche Frage nicht historisch, sondern aktuell ist»:
„‚Montreal for a World BEYOND War‘ teilt Kardinal Czernys Überzeugung, dass es noch viel zu tun gibt. Zum Beispiel verursachen Projekte wie die Coastal Gas Link (CGL) Pipeline in Kanada keine Aufregung, weil die kanadischen Siedler in gewisser Weise die Entdeckungsdoktrin und alles, was sie impliziert, verinnerlicht haben. Es ist an der Zeit, das zu ändern!“
Übersetzung aus dem Englischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!