Die europäischen NATO-Staaten und Chinas asiatische Rivalen haben ihre Waffenimporte massiv gesteigert. Globale Rüstungstreiber sind damit die Machtkämpfe des Westens gegen Russland und China.
Die europäischen NATO-Staaten und die asiatisch-pazifischen Verbündeten des Westens im Machtkampf gegen China haben ihre Großwaffeneinfuhr in den vergangenen Jahren stärker gesteigert als jede andere Weltregion. Das geht aus den jüngsten Waffenhandelsstatistiken des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Während etwa Afrika, Südamerika und sogar der Nahe und Mittlere Osten ihre Großwaffenimporte im Fünfjahreszeitraum von 2018 bis 2022 gegenüber dem vorigen Fünfjahreszeitraum (2013 bis 2017) teils deutlich reduzierten, nahmen die Einfuhren der europäischen NATO-Staaten um 65 Prozent zu; sie bestanden zu beinahe zwei Dritteln aus Waffenkäufen in den USA. Die USA stellten zwei Fünftel aller Waffenexporte weltweit. Deutschland liegt auf der Rangliste der Großwaffenexporte auf Platz fünf; es verzeichnet starke Auftragsbestände, darunter 29 Kriegsschiffe – mehr als jedes andere Land. Weiteres Rüstungswachstum ist vor allem in der NATO zu erwarten, wo ein Zielwert für die Militärhaushalte in Höhe von drei Prozent der Wirtschaftsleistung diskutiert wird. Dramatische Steigerungen ihrer Wehretats kündigen auch asiatisch-pazifische Rivalen Chinas an.
Waffenimporte: plus 65 Prozent
Die Staaten Europas haben ihre Einfuhr von Großwaffen stark aufgestockt und damit den globalen Rückgang des Waffenhandels spürbar gebremst. Wie das Forschungsinstitut SIPRI aus Stockholm berichtet, wurden im Fünfjahreszeitraum [1] von 2018 bis 2022 weltweit 5,1 Prozent weniger Großwaffen verkauft als von 2013 bis 2017 [2]. Stark zurück gingen etwa die Waffenimporte der Staaten Afrikas (minus 40 Prozent) und der Staaten Südamerikas (minus 34 Prozent). Der globale Rückgang fiel jedoch nicht stärker aus, weil die Staaten Europas ihre Waffenkäufe massiv steigerten. In ganz Europa zusammengenommen nahmen die Waffenkäufe von 2018 bis 2022 gegenüber dem vorherigen Fünfjahreszeitraum um 47 Prozent zu, in den europäischen NATO-Staaten gar um 65 Prozent. Hauptlieferant waren dabei mit deutlichem Abstand die Vereinigten Staaten, die ihre Großwaffenlieferungen nach Europa deutlich steigern konnten. Die europäischen Staaten bezogen von 2018 bis 2022 56 Prozent ihrer Waffeneinfuhren aus den USA; bei den europäischen NATO-Staaten waren es sogar 65 Prozent. Lediglich 8,6 Prozent der Waffen, die die europäischen NATO-Staaten kauften, kamen aus Frankreich, 4,9 Prozent aus Südkorea. Letzteres geht fast ausschließlich auf den Kauf von fast 1.000 südkoreanischen Kampfpanzern und von 48 südkoreanischen Kampfjets durch Polen zurück.[3]
USA: Rüstungsexporteur Nr. 1
Mit Abstand größter Waffenexporteur der Welt sind die Vereinigten Staaten, die ihren Anteil an der globalen Großwaffenausfuhr von 33 auf 40 Prozent steigern konnten. Hält dieser Trend an, dann wird schon bald sogar die Hälfte der weltweit gehandelten Waffen aus den USA stammen. Rasant in die Höhe geschnellt ist zudem der Anteil Frankreichs, das von 2018 bis 2022 elf Prozent der globalen Großwaffenexporte abwickelte. Deutschland behauptete Platz fünf, wobei sein Anteil von 6,1 Prozent auf 4,2 Prozent sank und SPIRI auch von einem absoluten Rückgang um 35 Prozent gegenüber 2013 bis 2017 berichtet. Dies läuft scheinbar den Angaben aus den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung zuwider, die eine Steigerung von 30,77 Milliarden Euro in den Jahren von 2013 bis 2017 auf 36,37 Milliarden Euro in den Jahren von 2018 bis 2022 verzeichnen. Die Differenz erklärt sich daraus, dass SIPRI konkret gelieferte Großwaffen registriert, während der Rüstungsexportbericht die von der Bundesregierung erteilten Genehmigungen für sämtliche Rüstungsgüter aufführt. Bei den Großwaffen zeichnet sich für die kommenden Jahre ein Anstieg der deutschen Exporte ab: Laut SIPRI haben deutsche Waffenschmieden eine hohe Zahl an Aufträgen für gepanzerte Fahrzeuge und vor allem 29 besonders teure Kriegsschiffe in ihren Auftragsbeständen – mehr als jedes andere Land.
Chinas asiatisch-pazifische Rivalen
Unter den Importeuren ragen außer Europa bzw. den europäischen NATO-Staaten, die gegen Russland rüsten, Ostasien, Indien und – noch – der Nahe und Mittlere Osten heraus. Zwar stammen weiterhin drei der zehn Top-Waffenimporteure (Saudi-Arabien, Qatar, Ägypten) aus Nah- und Mittelost; doch sind die Waffeneinfuhren der Region inzwischen um 8,8 Prozent zurückgegangen. Indien ist zwar unverändert der bedeutendste Großwaffenimporteur der Welt mit einem Anteil von elf Prozent; doch sind auch seine Einfuhren um elf Prozent geschrumpft. Kriegsbedingt ist die Ukraine auf der Rangliste der Großwaffeneinfuhren aus dem Stand auf Platz 14 geschnellt und steht nun allein für rund zwei Prozent aller weltweiten Importe. Bemerkenswert ist daneben jedoch vor allem die Entwicklung in Ostasien und der Pazifikregion. China, dessen Großwaffeneinfuhr vor allem aus Russland stammt, befindet sich auf der Rangliste mit einem Anteil von 4,6 Prozent auf Platz fünf. Damit liegt es jedoch hinter einem der bedeutendsten Verbündeten der USA: Australien (Platz vier) steht allein für 4,7 Prozent der globalen Großwaffeneinfuhr. Südkorea steigerte seine Einfuhr um 61 Prozent und liegt nun mit einem Anteil an den globalen Importen von 3,7 Prozent auf Platz sieben; Japan (plus 171 Prozent) befindet sich mit 3,5 Prozent auf Platz neun.
Zwei, drei, fünf Prozent
Dabei wird der Rüstungsmarkt sowohl in den europäischen NATO-Staaten als auch bei den asiatisch-pazifischen Verbündeten des Westens weiter in hohem Tempo wachsen. In der NATO ist längst eine Debatte darum entbrannt, ob das Ziel, die nationalen Militärhaushalte sollten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen, nicht aufgestockt werden soll; Verteidigungsminister Boris Pistorius hat vorgeschlagen, die Zwei-Prozent-Schwelle als Mindestwert zu definieren, während andere eine Drei-Prozent-Schwelle fordern und Polen, als bislang einsamer Vorreiter, langfristig sogar einen Wehretat von fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung anstrebt (german-foreign-policy.com berichtete [4]). In Ostasien wollen Südkorea und Japan ihre Militärhaushalte ebenfalls stark erhöhen – Südkorea um jährlich 6,8 Prozent, Japan für den nächsten Fünfjahreszeitraum um 56 Prozent. Australiens Militäretat, der ebenfalls steigt, liegt aktuell bereits bei 2,11 Prozent der Wirtschaftsleistung; laut Berechnung der öffentlich-rechtlichen Australian Broadcasting Corporation (ABC) könnte er allein durch den gestern bekanntgegebenen Deal mit Großbritannien und den USA, der die Aufrüstung der australischen Marine mit atomar angetriebenen U-Booten vorsieht, um bis zu einem halben Prozentpunkt steigen.[5]
Europas Waffenschmieden
Der erbitterte Kampf um Anteile an dem im Westen boomenden Rüstungsmarkt ist unter den westlichen Waffenschmieden längst entbrannt. Dabei führen zwar die Vereinigten Staaten zur Zeit mit stolzen 40 Prozent. Europas Rüstungskonzerne schicken sich jedoch an, aufzuholen: Laut SIPRI kamen allein die fünf größten Waffenexportstaaten des Kontinents (Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, Spanien) zuletzt gemeinsam auf einen Marktanteil von 24 Prozent.
[1] Im internationalen Waffenhandel können die einzelnen Jahreswerte extrem schwanken, weil besonders teure Rüstungsgüter wie Kriegsschiffe oder High-Tech-Kampfjets zum Zeitpunkt ihres Verkaufs bzw. Erwerbs die Waffenhandelsstatistik massiv nach oben treiben. Um einen möglichst repräsentativen Durchschnitt angeben zu können, berechnet SIPRI Fünfjahreszeiträume.
[2] Trends in International Arms Transfers, 2022. SIPRI Fact Sheet. Solna, March 2023.
[3] S. dazu Die Schlacht um den Panzermarkt.
[4] S. dazu Das Scheitern der europäischen Autonomie.
[5] Mick Ryan: Nuclear submarine deal will deeply impact the Australian Defence Force. Has the government got it right? abc.net.au 14.03.2023.