Thomas Kesselring für die Onlinezeitung Infosperber
Der hektische Verkauf der Credit Suisse ruft den Milliarden-Kreditskandal der CS in Mosambik in Erinnerung.
Red. Thomas Kesselring berichtete auf Infosperber seit 2016 über den Kreditskandal in Mosambik, in den die Credit Suisse verwickelt war. Es ist eine der noch nicht verdauten Altlasten, welche die UBS übernehmen muss und für welche die Steuerzahler jetzt teilweise haften. Kesselring unterrichtete jahrelang an einer Universität in Mosambik.
Die Nichtaufarbeitung des Mosambik-Skandals in der Schweiz wirkt im Nachhinein wie ein Vorbote des Unglücks, das nun die CS selber ereilt hat.
Es war einer der grössten Skandale, in welche die Credit Suisse verwickelt war. Und er gilt als der am schwersten wiegende Wirtschaftsskandal in Schwarzafrika der letzten Jahrzehnte.
Schönfärberische Worte als Teil der Firmenkultur
Als Erstes fiel der Widerspruch auf zwischen den öffentlichen Verlautbarungen der Bank und ihrer tatsächlichen Geschäftstätigkeit.
Die an Mosambik vergebenen Kredite verstiessen gegen die Verfassung Mosambiks. Sie hätten vom dortigen Parlament abgesegnet werden müssen, aber das Parlament war umgangen worden. Trotzdem verkündete die CS in ganzseitigen Zeitungsinseraten, sie halte sich «an die Gesetze aller Länder».
Im Namen von Rat Kontrapunkt publizierte Ende 2016 der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich mit mir zusammen ein Inserat mit einem offenen Brief an die CS-Spitze mit Fragen zu den Umständen der Kreditvergabe in Mosambik. Fünfzig bekannte Persönlichkeiten aus der Schweiz haben den Brief mitunterzeichnet. Reaktion der Credit Suisse: Schweigen.
Mehrfach stellte ich an CS-Generalversammlungen Fragen an den Verwaltungsrat. Die Antworten von Präsident Urs Rohner klangen so, als nähme er die Fragen gar nicht wirklich ernst. An einer Aktionärsversammlung, in der es um die Zustimmung zu einer Kapitalaufstockung ging (im Mai 2017), wies ich auf die aus dem Mosambik-Debakel resultierenden Sammelklagen aus den USA hin. Präsident Rohner unterbrach mich: Das tue jetzt nichts zur Sache, es gehe lediglich um die Kapitalaufstockung.
Zwei Jahre später – drei Investmentbanker der CS London waren inzwischen von einem New Yorker Gericht in der Mosambik-Angelegenheit angeklagt – wollte sich Rohner nicht mehr an meine Interventionen erinnern: Er sei schockiert über das Vorgefallene, er habe aber erst aus der amerikanischen Anklageschrift davon erfahren. Die drei Banker hätten selbständig und kriminell gehandelt, man sei von ihnen arglistig getäuscht worden.
Zu den Betrügereien des Genfer Kundenberaters Patrice Lescaudron hatte Rohner ähnlich reagiert.
Rohners vorgegaukelte Unwissenheit war offensichtlich typisch für eine Kultur des Leugnens, Wegsehens und Aussitzens.
Schwache Reaktionen der juristischen Behörden
Die Aufsichtsbehörde Finma und die Bundesanwaltschaft hüllten sich jahrelang in Schweigen. Die Finma äusserte sich erstmals im Oktober 2021 – fünfeinhalb Jahre, nachdem ein Artikel im Wall Street Journal international Ausmass und Tragweite des Skandals bekannt gemacht hatte. Die Finma versteckte sich im Windschatten der Bankenaufsichts-Organe der USA und Englands. Diese auferlegten der CS zeitgleich eine Busse von 500 Millionen Dollar wegen Täuschung der Bonds-Käufer plus eine Senkung der Schuldforderungen an Mosambik von 200 Millionen wegen der Schmiergelder, die die Kredite ermöglicht hatten. Die Finma beschränkte sich auf einen Rüffel.
Im April 2019 hatte Public Eye in Sachen Mosambik eine Strafanzeige gegen die Credit Suisse eingereicht. Einige Monate später meldete die Bundesanwaltschaft, sie ermittle gegen unbekannt. Viel mehr als das hat sie meines Wissens auch später nicht mehr verlauten lassen.
Die Reaktion der Medien: Desinteresse und Überforderung
Die Medien verlangten von der Credit Suisse nie, den Skandal aufzuklären und den angerichteten Schaden zu begrenzen. Im Gegensatz dazu informierten und kommentierten die Medien breit über die Abstürze mit Greensill und Archegos. Es ging um den Verlust von einigen Milliarden. Im Fall Mosambik geriet ein ganzes Land mit 31 Millionen Einwohnern in eine jahrelang anhaltende wirtschaftliche Schieflage. Mindestens eine Million Menschen rutschten in die absolute Armut ab. An Schulen und im Gesundheitswesen wurde gespart, die Sterblichkeit nahm zu. Die Auswirkungen des Mosambik-Skandals waren wesentlich grösser als die Folgen von Greensill und Archegos.
Auch in den jetzigen Rückblicken auf die Management-Fehler der CS-Führung erwähnen die Medien den Mosambik-Skandal fast nie.
Viel Druckerschwärze über die Beschattungsaffäre
Noch problematischer war das Verhalten der Medien im Zusammenhang mit der Beschattungsaffäre Thiam-Khan. Mehrere Wochen lang widmeten sie sich der Empörung und dem Klatsch – bei gleichzeitiger Funkstille zum Mosambik-Skandal. Dabei litten viel mehr Menschen, als in der Schweiz leben, noch immer unter den Folgen. Erst kurz zuvor hatten die drei bankinternen Hauptverantwortlichen an einem New Yorker Gericht ein Schuldgeständnis abgelegt. Auf den Deutsch- und Westschweizer Fernsehkanälen liefen damals halbstündige Interviews mit Tidjane Thiam und Bankfachleuten zur Bespitzelungsaffäre, ohne dass nur eine Silbe zur ungleich gewichtigeren Tragödie um die illegitimen Mosambik-Kredite fiel.
Massiver Druck auf kritische Medien
Der Mosambik-Skandal hat andererseits einmal mehr gezeigt, wie grosse mächtige Firmen versuchen, eine kritische Berichterstattung abzuwürgen. Wegen der Berichte zum Mosambik-Debakel haben Infosperber und ich als Autor Drohberiefe erhalten, allerdings nicht von der Credit Suisse, sondern von der in den Skandal involvierten libanesischen Schiffbaufirma Privinvest. Infosperber erhielt eingeschriebene Post und E-Mails von zwei der teuersten internationalen Anwaltskanzleien sowie zwei grossen PR-Unternehmen in London. Den vollständigen Druckversuch dokumentierte Infosperber im Artikel «Konzernbesitzer Iskandar Safa wollte Infosperber einschüchtern».
In den letzten Monaten musste sich auch in Acht nehmen, wer Schlechtes über die Credit Suisse berichtete. Im Dezember 2022 verklagte CS-Präsident Axel Lehmann die Plattform Inside Paradeplatz und kurz darauf auch noch die Medien, die am 20. Februar 2022 unter Swissleaks eine Zusammenstellung mehrerer CS-Skandale in Erinnerung riefen. Als klar wurde, dass das schlingende Schiff nicht mehr auf Kurs zu bringen war, suchte man Sündenböcke bei den Medien.
Parallelen zwischen der Mosambik-Affäre und der Abwicklung der Credit Suisse
Zwischen dem Milliarden-Kreditskandal und dem CS-Untergang fallen Gemeinsamkeiten auf: die Passivität in der Schweiz und das Handeln auf Druck aus dem Ausland.
Bei den Enthüllungen zum Mosambik-Skandal kamen sämtliche Hinweise von ausserhalb der Landesgrenzen – meistens aus den USA, obwohl diese am Skandal gar nicht aktiv beteiligt waren: vom Wallstreet Journal, von der Audit-Firma Kroll, vom US-Justizministerium, von der US-Finanzmarktaufsicht (in diesem Fall wirkte die englische Börsenaufsicht mit).
Die zuständigen Schweizer Institutionen hingegen – Finma, Bundesverwaltung, Bundesrat – lehnten sich jahrelang zurück. Ihre wenigen Statements waren zahnlos. Noch immer befassen sich in mehreren Ländern – USA, England, Südafrika, Mosambik – Gerichte mit der Mosambik-Affäre. In der Schweiz – Sitz der CS und zweier weiterer in den Skandal verwickelter Firmen – befasst sich kein Gericht mit den Ereignissen.
Ein ähnliches Bild bietet sich, wenn man das Schicksal der CS in ihren letzten Wochen betrachtet: Das Vertrauen in die Bank ist im Ausland viel früher geschwunden als in der Schweiz, wo noch zwei Tage vor dem Grounding CS-Aktien gekauft wurden. Die massiven Geldabflüsse, bis zu 10 Milliarden pro Tag, gingen offensichtlich vom Ausland aus – vor allem von südostasiatischen Ländern. Als es brenzlig wurde, traten die Wirtschaftsminister diverser Länder in Aktion und instruierten den Bundesrat, was er zu tun habe. Die angekündigte Too-Big-To-Fail-Regel wurde im Interesse der Finanzmärkte der USA und der EU in der Schublade gelassen und eine ganz andere, nie zuvor diskutierte «Lösung» mit Notrecht durchgesetzt.
Eine weitere Parallele: So wie die Aufklärung der CS-Mosambik-Kredite praktisch ausschliesslich vom Ausland geleistet wurde, war auch der CS-Sofortverkauf vom letzten Wochenende offensichtlich massgeblich vom Ausland diktiert worden zu sein. Unsere Institutionen erwiesen sich nicht als stark genug, um richtungsweisende Veränderungen eigenständig zu erarbeiten.
Die hektische, ja eigentlich panische Entscheidung, die Bundesrat, Finma und Nationalbank am Sonntagabend, 19. März, der Nation verkündeten, ist die Folge des jahrelangen Wegsehens und Verdrängens. 259 Milliarden Franken riskiert unsere Regierung, um den Scherbenhaufen zu überdecken.
Der CS-Mosambik-Skandal im Überblick
2013: Die CS London vergibt einen Kredit von 1004 Millionen Dollar an die libanesische Schiffbaufirma Privinvest, die angeblich eine Fischereiflotte, vor allem aber ein militärisches Küstenschutzprojekt in Mosambik bauen will. Die russische Staatsbank beteiligt sich mit weiteren 1003 Millionen an diesem Deal. An zwei von drei Krediten sind die CS und VTB beide beteiligt.
Ein hoher Mitarbeiter der Londoner CS-Filiale, der gegen die Kreditvergabe an Privinvest von Anfang an mit guten Gründen sein Veto einlegt, wird entlassen. „Wegen einer internen Umstrukturierung“, wie es im Banken-Jargon heisst.
Für das Kreditgeschäft fliessen 200 Millionen Dollar an Schmiergeldern, davon ein ansehnlicher Teil an die drei verantwortlichen Investmentbanker der CS London. Diese verlassen im August 2013 die Bank und gründen in der Zürcher Altstadt eine Zweigfirma von Privinvest, welche die finanziellen Transaktionen im Zusammenhang mit dem Mosambik-Projekt abwickelt. Sie wird Ende 2016 aufgelöst.
Die CS- und VTB-Kredite auf Rechnung von Mosambik sind allesamt verfassungswidrig und werden vor dem mosambikanischen Parlament geheim gehalten. Auch die Gläubigerländer, IWF und Weltbank sind entgegen den Vereinbarungen nicht informiert.
2016: Im April wird die Existenz der Kredite durch das Wallstreet Journal aufgedeckt. Die Verwicklung der CS wird jetzt international publik. IWF, Weltbank und die Geberländer frieren ihre Entwicklungshilfe an Mosambik ein. Das Land muss Insolvenz anmelden, und die Bevölkerung begibt sich in eine jahrelange Hungerkur. Schätzungsweise eine Million Menschen versinken in absoluter Armut.
Ab 2016: Privinvest liefert Fischerei- und Küstenschutzboote aus. Sie gelten aber als unbrauchbar und verrosten im Hafen von Maputo. Die Audit-Firma hält sie zudem für massiv überteuert.
2019: Die drei verantwortlichen CS-Banker bekennen sich vor einem New Yorker Gericht schuldig. In Mosambik werden an die zwanzig am Skandal beteiligte Personen festgenommen.
2021/22: In einem ausgedehnten Gerichtsverfahren in Maputo werden die meisten Angeklagten verurteilt. So auch die Sekretärin des vormaligen Präsidenten Guebuza und sein Sohn, der eine saftige Gefängnisstrafe erhält (es ist unklar, ob er sie je verbüssen wird). Zwei Präsidenten – Guebuza und Nyusi – sind tief in den Skandal verwickelt, sind aber nicht angeklagt worden. Um einer Strafe zu entgehen, will Nyusi die Verfassung ändern, damit er länger an der Macht bleiben kann. Er regiert das Land zunehmend autokratisch.
Ab 2017: Am Genfer See hat eine weitere Filiale des Schiffbauers Privinvest ihren Hauptsitz. Ihr Präsident gehört zu den Ideengebern des Küstenschutzprojekts, das sich zum Skandal auswuchs.
2023: Der Londoner High Court befasst sich mit den eingegangenen Klagen und Gegenklagen. Die Gläubiger, die einen Teil der Kredite finanzierten und von der CS getäuscht wurden, bereiten eine Sammelklage gegen die verantwortliche Schweizer Bank (vermutlich jetzt die UBS) vor. Die Verhandlungen sind auf September/Oktober 2023 angesetzt. Die Forderungen werden auf 500 bis 1000 Millionen Dollar geschätzt.
Mosambik geht es heute noch schlechter als zur Zeit des Skandals. Der Norden ist Kriegsgebiet, deswegen verzögert sich auch die seit Jahren geplante Extraktion grosser Offshore-Gasvorkommen. Das Land wird zudem immer wieder von verheerenden Taifunen heimgesucht. Es gilt als eines der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder. Hurrikan «Fredi» hat dieses Jahr gleich zweimal zugeschlagen. Unter diesen Umständen erscheint eine Rückzahlung der Kredite ziemlich illusorisch. Daher werden die Gläubiger, die einen Teil der Kredite finanzierten, demnächst vermutlich bei der Schweiz anklopfen.