Worüber spricht die Atomwaffenindustrie, wenn sie zusammenkommt? Ich verbrachte drei Tage mit 530 Regierungsbeamten, Politikern und Unternehmern in einem Hotelkeller, um das herauszufinden.
Die Kurzfassung: Sie reden über „Abschreckung“, als ob es keine Alternative gäbe. Sie reden davon, immer mehr zerstörerische Waffen zu bauen, weil sie glauben, dass dies die USA und ihre Verbündeten vor aktuellen und zukünftigen nuklearen Gegnern schützt. Sie sind dankbar dafür, dass sie dank der ständigen Unterstützung durch beide Parteien gut finanziert sind.
Teil I: Glaubensartikel
An dem jährlichen Abschreckungsgipfel, der im Februar 2023 im Hyatt Regency Hotel in der Nähe des Pentagon stattfand, nahmen Vertreter der Bundesregierung, des Militärs, zahlreicher privater Unternehmen, des Weißen Hauses und zwei Mitglieder des Kongresses teil. Ich hatte den Ausdruck „Militärisch-Industrieller-Kongress-Komplex“ schon gehört, aber ich hatte nicht erwartet, dass er so transparent sein würde.
Das Energieministerium (Department of Energy, DOE) beaufsichtigt die halbautonome National Nuclear Security Administration (NNSA), die für den Bau und die Wartung von Atomsprengköpfen zuständig ist. Das DOE liefert die Sprengköpfe an das Verteidigungsministerium (Department of Defense, DOD), das für die „Triade“ der Bombenabwurfsysteme zuständig ist: abschussbereite Raketen aus Militärsilos, U-Boote und Flugzeuge. Private Unternehmen, die mit Steuergeldern bezahlt werden, übernehmen fast die gesamte wissenschaftliche und technische Arbeit sowie die Herstellung von Sprengköpfen in den Labors und Fabriken des Bundes. Ich habe den Vertretern der einzelnen Sektoren zugehört, und dies waren die 10 Themen, die sie alle gemeinsam hatten:
Thema 1. Die nukleare Gefahr für die USA und ihre Verbündeten wächst schnell, und wir müssen unser Arsenal schneller aufrüsten. Die Gipfelteilnehmer waren sich einig, dass Russland mit seinen säbelrasselnden Drohungen und seinem Fehlverhalten in der Nähe von Kernkraftwerken „rücksichtslos“ ist, dass der Iran Uran anreichert und Nordkorea seine nuklearen Fähigkeiten ausbaut – aber es ist China, um das wir uns wirklich Sorgen machen müssen.
Es wurde nicht erwähnt, dass die USA mit ihrem eigenen nuklearen Säbelrasseln, der NATO-Erweiterung oder illegalen Invasionen zur Entstehung dieser Gefahren beigetragen haben könnten. Niemand auf dem Gipfel fragte, ob diese Länder Arsenale aufbauen, um sich vor uns zu schützen.
Thema 2. Die einzige Möglichkeit, vor einem nuklearen Angriff „sicher“ zu sein, ist „Abschreckung“. Wir müssen das US-Atomwaffenarsenal schnell „modernisieren“, damit die Drohung mit Vergeltungsmaßnahmen so zuverlässig, glaubwürdig und furchterregend ist, dass niemand einen Angriff wagen würde.
Diese „Mission“, wie sie ehrfurchtsvoll genannt wurde, wird physisch an den 9 Standorten in 7 Staaten durchgeführt, die als „Nuclear Security Enterprise“ bekannt sind. (Das NSE wurde von dem weniger Trekkie-freundlichen Namen „Nuclear Weapons Complex“ umbenannt.)
„Wir sind uns alle einig, dass die Mission lebenswichtig und dringend ist, und wir sind alle besorgt darüber, wie sie durchgeführt werden kann“, sagte ein Diskussionsteilnehmer. „Wir halten nur den Vorrat am Laufen. Wir wollen Russland und China keine Angst einjagen“, sagte ein anderer.
War ich Zeuge der Geburt eines neuen Wettrüstens?
Ich schreibe „Abschreckung“ in Anführungszeichen, weil es sich weder um eine allgemein anerkannte Theorie handelt, noch ist die „Androhung des Einsatzes“ von Atomwaffen nach internationalen Normen akzeptabel. „Abschreckung funktioniert in der Ukraine“, sagte ein Diskussionsteilnehmer. Vielleicht – oder vielleicht gibt es auch andere Gründe für Russland, seinen nächsten Nachbarn oder seine Handelspartner nicht mit Atomwaffen anzugreifen oder eine unvorstellbare Katastrophe zu verursachen.
”Erschreckenderweise wird auf der Website des Strategischen Kommandos der USA (USSTRATCOM) eingeräumt, dass die Abschreckung versagen kann. Dort heißt es, dass die Priorität darin besteht, „strategische Abschreckung zu gewährleisten“, aber „wenn die Abschreckung versagt, sind wir bereit, eine entscheidende Antwort zu geben.“
Ich war davon ausgegangen, dass eine solche Reaktion ein gegenseitiger Atombombenabwurf sein würde. Aber der Diskussionsteilnehmer Corey Hinderstein von der NNSA merkte an: „Wir müssen auf Atomwaffen nicht mit Atomwaffen reagieren.“ Warum, so fragte ich mich, haben wir dann überhaupt Atomwaffen?
„Im Rahmen einer erklärenden Politik“, so ein anderer Diskussionsteilnehmer, „würden wir Atomwaffen nur unter extremen Umständen einsetzen. Unser Arsenal hat eine einzigartige, unersetzliche Abschreckungswirkung, die wir für die absehbare Zukunft brauchen werden.”
Die Teilnehmer des Gipfels schienen sich mit dem psychologischen Spiel der „kalkulierten Zweideutigkeit“ wohlzufühlen, d.h. die Gegner im Ungewissen zu lassen: Werden wir sie atomar angreifen oder nicht, wenn sie X, Y oder Z tun? Niemand sprach darüber, welche Art von „extremen Umständen“ das mögliche Ende der menschlichen Zivilisation rechtfertigen könnten.
Thema 3. Gibt es ein Leben nach der Atombombe? Dies war ein äußerst nebensächliches Thema, aber ich erwähne es, weil es mich hoffnungsvoll gestimmt hat.
Kimberly Budil, Direktorin des Lawrence Livermore National Laboratory, sagte: „Wir haben unsere Fähigkeiten durch die Arbeit mit Atomwaffen. Auf welche anderen Herausforderungen können wir unsere Fähigkeiten anwenden? Klima, Umwelt, Massenvernichtungswaffen? Wir können auf Veränderungen der nationalen Prioritäten reagieren. Wir können unsere wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten auf alles anwenden, was für die Nation wichtig ist.“
Ich traf auch einen Unternehmer, der mir sagte: „Wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass die Menschen auf dieser Konferenz ein gutes Gefühl in Bezug auf die Sicherheit des Landes haben könnten, ohne dass so viele Atomwaffen erforderlich wären, dann würden wohl fast alle Teilnehmer dies unterstützen. Sicherlich gibt es viel Know-how und Technologie, die in anderen Bereichen eingesetzt werden könnten, was für die Welt von Vorteil wäre.“
Ich bleibe zuversichtlich, dass das Geld, die Intelligenz und die Infrastruktur in wirklich nachhaltige Klimalösungen umgewandelt werden können. Ich hoffe, weitere Interviews führen zu können, um herauszufinden, wie offen diese Menschen für die Umwandlung der Ressourcen sind, da sie sehr wohl wissen, dass wir erst dann wirklich sicher sind, wenn alle Atomwaffen abgebaut sind und wir mit unseren derzeitigen „Gegnern“ zusammenarbeiten, um unsere Spezies am Leben zu erhalten.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!