Die Titelfrage beinhaltet zwei Gedanken: Einerseits, dass wir üblicherweise Bewusstsein für etwas Menschliches halten, und andererseits, dass das möglicherweise gar nicht so ist.
Meistens ist für uns Bewusstsein der Zustand, in dem wir uns befinden, wenn wir nicht schlafen oder ohnmächtig sind: Wir sind bei Bewusstsein. Das geht einher mit der Vorstellung – oder Illusion –, wir könnten in diesem Zustand freie Entscheidungen treffen, was wir im Schlaf definitiv nicht können. Eine sehr vorsichtige Definition würde Bewusstsein also als einen Zustand bezeichnen, in dem wir freier handeln können als im Schlaf. Was allerdings auch auf alle Tiere zuträfe.
Wie aber nun, wenn es Lebewesen gäbe, die gar nicht schlafen. Befinden sich diese in einer Art Dauerbewusstsein? Pflanzen beispielsweise oder Regenwürmer.
Im Englischen würde man so ein Thema als „tricky“ bezeichnen. Abzugrenzen wäre Bewusstsein (consciousness) von Bewusstheit (awareness), also das Wissen darum, dass man ein Bewusstsein hat. Wie aber kann ich wissen, ob das Gänseblümchen darum weiß, dass es ist? Dazu müsste ich die Gänseblümchensprache erlernen. Leider ist der Kosmos der Gänseblümchen von dem der Menschen so weit entfernt, dass ich keine Chance habe, auch nur annähernd die Syntax der Gänseblümchensprache zu erahnen, sofern es eine gibt.
Vollends problematisch wird die Sache mit der Frage, woher ich weiß, ob jemand über Bewusstheit verfügt oder nicht, zumal wir aus eigener Erfahrung wissen, dass es Grade bzw. Schattierungen von Bewusstheit gibt? Beispielsweise tendieren wir zu einem hohen Grad von Bewusstheit, wenn uns eine Gefahr droht. Dann nehmen wir selbst feinste Geräusche oder Gerüche wahr, mit denen wir sonst nachlässig umgehen. Fühlen wir uns sicher, empfinden wir keine Notwendigkeit für eine solche Bewusstheit. Eine eigenartige Ausnahme bildet der Zustand der Meditation, der in aller Regel in einem sicheren Umfeld eintritt, aber mit hoher Bewusstheit verbunden ist (bzw. sein sollte). Wenn uns jemand sagt, sie oder er sei ein sehr bewusster Mensch, dann bleibt uns nur übrig, das zu glauben. Messen können wir es nicht. Vielleicht stehen wir einer künstlichen Intelligenz mit menschlichem Äußeren gegenüber?
Philosophen haben Tausende von Bänden zu den Fragen des Bewusstseins verfasst. Für den Alltag helfen sie wenig weiter. Hilfreich dagegen erscheint der Aspekt der Subjektivität des Lebendigen. Wir können äußerlich völlig cool wirken, aber in uns kocht es vielleicht oder wir würden uns am liebsten im nächsten Mauseloch verkriechen. Wir alle wissen, dass die Menschen um uns herum ein Innenleben haben, einen subjektiven Blick auf die Welt, den man als Bewusstsein bezeichnen könnte. Das sind unsere Gefühle, Hoffnungen, Ängste, Lüste, Ahnungen, Absichten, Intuitionen, Neigungen etc. Unser Innenleben ist so reich, dass Partner einander noch nach Jahren damit überraschen können, positiv wie negativ.
Doch Gefühle gehen nicht zwangsläufig mit Bewusstheit einher. Nach einer durchzechten Nacht wachen wir mit einem dicken Kopf auf, der uns schmerzlich bewusst ist; doch mit Bewusstheit hat das nichts zu tun. Auch in völlig panischen Situationen, in denen wir „hirnlos“ reagieren, verfügen wir über ein Innenleben; ja vielleicht sogar mehr und stärker als sonst. Es wird uns heißt und kalt, es wird und flau im Magen, unser Herz schlägt wie verrückt, die Ohren sausen, wir haben Angst. All das sind von jeder Bewusstheit unabhängige Innenwahrnehmungen, Bewusstseinsinhalte. Auch kleine Kinder, deren Bewusstheit noch gering bis gar nicht ausgeprägt ist, sind ein Kaleidoskop an Gefühlen. Sie verfügen über Bewusstsein, aber noch nicht über Bewusstheit. Wer je in seinem Leben näher mit Tieren zu tun hatte, weiß, dass auch Tiere über ein Innenleben verfügen, sich freuen, sich wohlfühlen, sich ängstigen, schmusen oder ihre Ruhe haben wollen. Subjektivität scheint also ein Merkmal von uns Tieren zu sein. Alles spricht dafür. Bewusstsein haben wir alle, aber Bewusstheit in einem nennenswerten Grad haben wohl nur wir Menschen.
Wenn aber allen Tieren Bewusstsein zu eigen ist, dann folgt die entscheidende Frage: Gilt das für alle, wirklich alle Tiere? Also auch für Küchenschaben und Eintagsfliegen? Die Tatsache, dass uns die Vorstellung vom Bewusstsein einer Küchenschabe schwerfällt, ja undenkbar erscheint, sollten wir nicht damit verwechseln, dass es ein solches Bewusstsein nicht gibt. So mancher Biologie würde eine solche Annahme jedenfalls bejahen, denn schon Einzeller „fürchten sich“ und ziehen sich schnell vor einer Gefahr zurück. Und nun die zweite Frage: Gilt die Annahme von Subjektivität auch für Pflanzen? Es gibt keinen faktischen Grund, der dagegen spricht. Warum reagieren Pflanzen auf die Knabbergeräusche von Raupen, auch wenn sie ihnen nur vorgespielt werden? Offenbar haben sie ein „inneres“ Auswertungsorgan, um eine solche Gefahr zu beurteilen und angemessen zu reagieren.
Es geht hier nicht darum, Sie als Leserin von einem allgemein vorhandenen Bewusstsein zu überzeugen. Vielmehr geht es darum, die Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen, mit der wir ausschließlich Menschen Bewusstsein zusprechen. Und natürlich geht es auch um die damit verbundenen moralischen Implikationen. Letzten Endes stellt sich auch die Frage: Wenn wir denn eventuell allem tierischen Leben die Möglichkeit von Bewusstsein zubilligen, warum dann nicht auch dem Megaorganismus namens Erde?
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