Aufstand der Franzosen am 7.März gegen die Rentenreform von Macron. Mehr als 70% der Franzosen sind gegen die Reform, die nichts anderes als eine Breitsalve auf die Lebensinteressen der breiten Bevölkerung ist. Zulasten besonders der Ärmsten und ganz zugunsten der in Frankreich prosperierenden Kapitaleliten. Macron und seine Anhänger wollen das Gesetz um jeden Preis durchsetzen, notfalls auch am Parlament vorbei mit miesen undemokratischen Tricks durch Verordnung.
Die Wut der Franzosen über die geplanten Angriffe auf ihre Renten[1] und die undemokratisch arrogante Machtdemonstration der Macronclique, sich über alles und jeden hinwegzusetzen, war nie so groß wie heute seit 1968. Über 3,5 Millionen demonstrierten laut Angaben der Gewerkschaften am 7. März auf den Straßen und Plätzen der V. Republik. Sie blockierten Zugänge, streikten in Fabriken und legten die gesamten öffentlichen Einrichtungen lahm. Auch über den 7. März hinaus werden etliche Aktionen fortgesetzt. Und die nächsten großen Aktionstage stehen an, Schlag auf Schlag am 11. und 15. März. Es zeichnet sich mitten in Europa ein offener Machtkampf ab zwischen einer elitär kapitalistischen Staatsmacht und der breiten Mehrheit der Bevölkerung unter Führung von Gewerkschaften, linken Parteien und einem bunten Bündnis sozialer und ökologischer Bewegungen der Zivilgesellschaft. Man sollte sich keine Illusionen machen. Der Ausgang ist ungewiss. Aber tun wir alles dafür, dass die richtige Seite gewinnt oder zumindest Terrain gewinnen kann.
Die besondere Stärke des französischen Protestes besteht in zweierlei. Die Gewerkschaften und damit die arbeitende Bevölkerung nehmen eine führende Rolle auch in Sozialprotesten wie der Bewegung gegen die Rentenreform ein. Dabei steht zweitens der Zusammenschluss aller gegen das Kapital im Mittelpunkt. Auch die Jungen haben über die Perspektive Lebensarbeitszeit die Rente auf dem Schirm und beteiligen sich massenhaft an den Protesten. Migranten, Frauen, Umwelt- und Friedensaktivisten nehmen ihre Anliegen ernst und kämpfen gemeinsam!
Solidaritätskundgebung in Berlin – Deutschland ist kein Rentenvorbild
In Berlin riefen der Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin gemeinsam mit Vertretern der Gewerkschaften und linken Parteien aus dem Bündnis NUPES der französischen Community in Berlin zu einer Solidaritätskundgebung auf. Nachrichten und Stimmung aus Frankreich übertrugen sich auf die fast 100 Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor. Deutsche und französische Redner*innen machten umfassend klar, warum die von Macron mit Gewalt vorangetriebene Reform die Lebensperspektive der Franzosen drastisch verschlechtert. Besonders Arme und Frauen und Minderheiten werden abgestraft. Es wäre ein Leichtes, das an die Wand gemalte Rentendefizit durch eine angemessene Besteuerung in Höhe von 2% der superreichen Milliardäre zu vermeiden. Aber das passt nicht zum System Macron, das den Franzosen Bernard Arnault in kürzester Zeit zum reichsten Mann der Welt, noch vor Jeff Bozz oder Elon Musk, befördert hat.
Deutschland ist Vorbild für Macron, aber für uns ist “Altersarmut” nichts Erstrebenswertes. Über 20% der Deutschen Rentner leben in Altersarmut, Tendenz steigend. In Frankreich leben „nur“ 10 Prozent der Rentner in Armut. Verglichen mit Deutschland ein hehrer Wert, verglichen mit dem Ziel, dass jeder in Würde altern und sterben soll, noch viel zu hoch. In Deutschland wird die Debatte eröffnet, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre heraufzusetzen. Die Menschen in Frankreich stemmen sich jetzt gegen die Einführung eines Renteneintrittsalters von 64. Sie wollen Ihren Lebensabend nach Jahren harter Arbeit noch erreichen und lebenswert verbringen können und nicht dem Profit- und Hegemoniestreben einer reichen Minderheit zum Fraß vorwerfen.
Wie die Franzosen sich ihr Streikrecht nehmen und gegen die Heraufsetzung des Rentenalters anrennen, das nützt auch uns! “Deutschland muss Französisch lernen”, ruft uns der Linkenpolitiker Ferat Kocak zu. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst führen gerade einen erbitterten Kampf um 10,5 % mehr Lohn und Gehalt, um ihren Lebensstandard bei der aktuellen Inflation zu halten. Bei der Post, wo die Basis sich direkter einmischt, sind es sogar 15 %. In Deutschland steigen die Renten, wenn die Löhne steigen. Dies ist ganz praktische Solidarität. Ein Kollege von der CGT forderte uns letzte Woche auf: „Sorgt dafür, dass bei Euch in Deutschland die Einkommen der Beschäftigen und Rentner nicht weiter sinken und das Renteneintrittsalter wenigstens nicht weiter erhöht wird. Wichtig ist, wenn in Europa um uns herum das Niveau hoch ist und unser Kampf Schule macht! Das hilft uns am meisten! Tut Euren Job Kollegen!“ Das tun die Kollegen von Ver.di gerade.
Die Ereignisse im Nachbarland kommen selbst am 7.März in den meisten deutschen Nachrichtensendungen erst an dritter oder vierter Stelle. Lediglich der ADAC hält aus pragmatischen Erwägungen die Reisenden nach Frankreich wirklich aktuell auf dem Laufenden.
Sebastian Chwala führt [2] Tagebuch zu den Ereignissen.
Ihr seid eingeladen, mit zu lesen!
7. März 23: “3,5 Millionen Menschen haben heute in Frankreich erneut gegen die von der “macronitischen” Regierung geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters demonstriert. Hatten im Vorfeld dieses 7.März schon die “Sicherheitsorgane” die größte Massenaktion seit Jahrzehnten prophezeit, haben die Menschen in Frankreich diese Befürchtung der Geheimdienste nun in die Tat umgesetzt.
Die Bewegung hat inzwischen das ganze Land und alle gesellschaftlichen Gruppen erfasst. Mehrere dutzend Universitäten sind blockiert. Auch wenn heute wieder die Großstädte wieder die massivsten Proteste melden (Paris: 700.000 Menschen; Marseille: 245.000 Menschen; Toulouse: 120.000 Menschen; Bordeaux:100.000 Menschen; Lille: 100.000 Menschen) manifestiert sich der Widerstand auch weiterhin in den Klein- und Mittelstädten, dem Frankreich der “Unterpräfekturen”, wo der Anteil an Arbeiter*innen deutlich höher als in den durch den öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor liegt und die hohe körperliche Belastung durch eine längere Lebensarbeitszeit auf besonders hohe Ablehnung stößt.
Dieses Frankreich beteiligte sich heute Morgen auch an zahlreiche Blockaden der Gewerkschaften von Industriezonen, Kreisverkehren und Autobahnen. Stark präsent waren die Gelbwesten. Mindestens bis zum Ende der Woche werden sämtliche Flüssiggasterminals und Gasspeicher bestreikt, dies gilt ebenso für sämtliche Raffinerien. Das Benzin dürfte also wieder knapp werden. Bis morgen wird auch noch der Streik der Bahnbeschäftigten weitergehen.
Trotz dieses massiven Gegenwinds bleibt die Regierung (Macron selbst ergreift in dieser Debatte nicht das Wort und ist auf Staatsbesuch in Afrika) hart. Die Macron-Partei „Renaissance“ (Ex-Marschierer) drohte heute noch einmal explizit allen Kritiker*innen in den eigenen Reihen mit dem Ausschluss aus der Parlamentsfraktion, die sich in irgendeiner Weise gegen die “Reform” engagieren.
Diese Ignoranz gegenüber den Protesten dürfte die Aktionen in den nächsten Tagen weiter anheizen. Schon heute ging es bei den Demos deutlich aggressiver zu, als bei den letzten Aktionstagen. Die Frage für die Gewerkschaften, die gerüchteweise für den kommenden Samstag zu einem erneuten Protesttag aufrufen werden, bleibt, ob die soziale Bewegung gegen die geplante Rentenpolitik noch einmal weiter verschärft werden kann.”
8. März 23: „Auch am heutigen Tag gehen die Proteste in Frankreich gegen die „Rentenreform“ Macrons weiter. Zahlreiche Industriezonen, ÖPNV-Depots und Kreisverkehre wurden erneut besetzt. Zudem werden alle wichtigen Häfen und die Müllabfuhr in der Île-de-France bestreikt. Mehrere dutzend Universitäten bleiben blockiert.
Auf den weiter wachsenden Protest reagiert der “Macronismus” offenbar mit einer weiterer Verschärfung seiner Gangart. Offensichtlich ist man nun bereit, den von mir bereits mehrfach erwähnten Artikel 49.3 der Verfassung zu nutzen, um jede Form der parlamentarischen Debatte endgültig zu beenden. Forderungen nach einem Dialog zwischen Staatspräsidenten bzw. der Premierministerin und Gewerkschaften wurde von Regierungsseite eine Absage erteilt. Die Gewerkschaften rufen deswegen zu zwei weiteren Aktionstagen am 11. und 15. März auf.”
9. März 23: “Die Proteste gegen die “Macroniten” und ihre Rentenreform ebben nicht ab. Heute gibt es einen Aktionstag der Schüler*innen und Studierenden gegen das Gesetzesprojekt zu vermelden. Zahlreiche Universitäten und Oberschulen sind blockiert.”
[1] https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/frankreich-unbefristete-streiks-ab-dem-7-maerz/
[2] Sebastian Chwala ist linker Politologe und lebt in Marburg. Er ist ein mit den Protestbewegungen in Frankreich eng vernetzter Autor, der regelmäßig über die Ereignisse in den Social Media berichtet. Wir danken ihm, seine Berichte hier veröffentlichen zu dürfen.