China und Russland verhandeln über Beendigung des Ukraine-Kriegs. Westen weist Lösungsansätze zurück. Hintergrund sind Bemühungen, die globale Dominanz des Westens zu verteidigen.
Stark divergierend reagieren Politiker weltweit auf das gestern zu Ende gegangene Treffen zwischen den Präsidenten Chinas und Russlands und auf deren Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs. Ukrainische Regierungsmitglieder geben sich weiterhin offen für Gespräche mit Beijing. Brasiliens Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva nennt Berichte über das Treffen eine „gute Nachricht“ und wird nächste Woche in China an die Verhandlungen anknüpfen. Negative Reaktionen kommen aus dem Westen, unter anderem von Außenministerin Annalena Baerbock, die behauptet, Beijings Vorstoß in Richtung auf Friedensgespräche sei gänzlich ungeeignet. Hintergrund ist, dass Xi Jinping und Wladimir Putin in Moskau nicht nur die Möglichkeit zu einer Beendigung des Ukraine-Kriegs ausgelotet, sondern auch eine Ausweitung ihrer Kooperation in die Wege geleitet und die bisherige westliche Dominanz über die Welt in Frage gestellt haben. Weil vor allem China „sowohl die Absicht“ als auch das Potenzial habe, „die internationale Ordnung neu zu gestalten“, müsse Washington es „niederkonkurrieren“, heißt es in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA.
Gegen Dominanz, für Multipolarität
China und Russland haben auf dem Treffen ihrer Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin, das am Montag in Moskau begann und gestern zu Ende ging, den weiteren Ausbau ihrer Zusammenarbeit beschlossen. So wollen beide Staaten wirtschaftlich noch enger kooperieren als bisher. Bereits jetzt erhält die Volksrepublik deutlich mehr Erdöl und Erdgas aus Russland als zuvor – Volumina, die einst nach Deutschland flossen –, während sie zugleich erheblich mehr Waren exportiert; so kommen Chinas Kfz-Konzerne in Russland mittlerweile auf einen Marktanteil von rund einem Drittel und ersetzen dabei auch deutsche Produzenten. Beijing und Moskau wollen darüber hinaus ihre strategische Zusammenarbeit intensivieren und haben dazu Vereinbarungen unterzeichnet. Selbst eine engere Militärkooperation, so etwa bei Manövern, ist geplant. Verbunden wird dies mit dem Anspruch, die überkommene globale Dominanz des Westens, die ohnehin bereits schwächer wird, zu überwinden. So übte Xi etwa in einem Namensbeitrag, der vor dem Treffen in einer russischen Zeitung erschien, massive Kritik am Streben nach „Hegemonie“ und „Dominanz“ und auch am „Drangsalieren“ anderer Staaten. Der „historische Trend“ hin zu „Multipolarität, wirtschaftlicher Globalisierung und mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen“ sei längst „unumkehrbar“.[1]
Zu Friedensverhandlungen bereit
Ein wichtiges Thema in den Moskauer Gesprächen waren nicht zuletzt der Ukraine-Krieg und chinesische Überlegungen, wie er beendet werden könne. Beijing hat dazu am 24. Februar ein Zwölf-Punkte-Papier „zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ präsentiert, das beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt. So räumt es der „Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Länder“ den ersten Stellenwert ein, verlangt aber auch, „die Sicherheit eines Landes“ müsse stets im Einklang mit den „legitimen Sicherheitsinteressen und -bedenken anderer Länder“ verfolgt werden. Ersteres ist eine ukrainische, letzteres eine russische Forderung.[2] Putin bekräftigte nun in Moskau, man habe das chinesische Papier „sorgfältig studiert“, begrüße es, dass Beijing „eine konstruktive Rolle“ zur Beendigung des Krieges spielen wolle, und sei auch zu Friedensverhandlungen bereit [3] – „so bald wie möglich“, wie es nach Abschluss der Moskauer Gespräche hieß [4]. Xi warnte vor überzogenen Hoffnungen und wies darauf hin, es gebe „keine einfache Lösung für eine komplexe Angelegenheit“. Allerdings erwähnte er auch, „die meisten Länder“ unterstützten den Abbau von Spannungen und die Einleitung von Friedensverhandlungen und sprächen sich dagegen aus, immer weiter Öl ins Feuer zu gießen. Die Stimmen, die „Frieden und Rationalität“ forderten, nähmen zu.
„Gute Nachricht“
Die Reaktionen auf den chinesischen Vorstoß fallen unterschiedlich aus. Die Ukraine gibt sich bislang offen. Bereits nach der Veröffentlichung des chinesischen Zwölf-Punkte-Papiers teilte Außenminister Dmytro Kuleba mit, Kiew lehne zwar eine sofortige Aufhebung der Sanktionen, wie China sie vorschlage, ab, stimme aber in anderen Punkten überein und wolle das Dokument genau prüfen.[5] Am Donnerstag vergangener Woche tauschten sich Kuleba und der chinesische Außenminister Qin Gang telefonisch über eine mögliche Friedenslösung aus.[6] Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mehrfach bekräftigt, an Verhandlungen mit der Volksrepublik interessiert zu sein. Ein Telefonat zwischen ihm und Xi im Anschluss an das Moskauer Treffen gilt seit einigen Tagen als möglich.[7] Als „gute Nachricht“ hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Berichte über die Gespräche zwischen Xi und Putin eingestuft. Lula hat bereits vor einigen Wochen angekündigt, Staaten, die im Ukraine-Krieg neutral sind, für Friedensverhandlungen gewinnen zu wollen, und mitgeteilt, zu diesen Staaten müssten seiner Auffassung nach unter anderem Indien, Indonesien und China zählen. Am Sonntag wird Lula in Beijing eintreffen und dort in der kommenden Woche mit Xi sprechen, nicht zuletzt über eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Krieg.[8]
„Kein Beitrag zum Frieden“
Gegenteilige Reaktionen sind aus den westlichen Staaten zu hören. Schon am Sonntag hatte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, mitgeteilt, sollten Xi und Putin während ihres Treffens einen Waffenstillstand vorschlagen, dann sei dies für die USA „inakzeptabel“: Es zementiere Russlands Geländegewinne.[9] Dieser Position entspricht, dass der Westen auf eine ukrainische Frühjahrsoffensive setzt und diese unter anderem mit der Lieferung von Waffen und Munition unterstützt; Großbritannien will dafür sogar Uranmunition zur Verfügung stellen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hatte vorab noch geäußert, er hoffe, Xi könne Putin „überzeugen, … an den Verhandlungstisch zu kommen“.[10] Nachdem Putin seine Bereitschaft dazu erklärt hatte, gab Außenministerin Annalena Baerbock bekannt, sie sei „enttäuscht“ über die Ergebnisse des Moskauer Treffens: Das von China vorgelegte Zwölf-Punkte-Papier, das als Grundlage der Gespräche zwischen Xi und Putin fungierte, könne „keinen wirklichen Beitrag zum Frieden leisten“, da in ihm Russland nicht explizit als Aggressor benannt worden sei.[11] Weder Kirby noch Baerbock erläuterten, weshalb sie das Verhandlungsinteresse der Ukraine, deren politische Pläne sie sonst offiziell zur Norm erheben, in diesem Fall für nichtig erklären.
„China niederkonkurrieren“
Dabei räumen westliche Politiker offen ein, dass es in dem aktuellen Konflikt längst nicht mehr bloß um die Ukraine geht, sondern um die bisherige globale Dominanz der westlichen Mächte. Dies zeichnet sich ab, seit sich drei Viertel aller Staaten weltweit im vergangenen Frühjahr weigerten, sich den Russland-Sanktionen des Westens anzuschließen; daran halten sie bis heute fest.[12] Kirby erklärte am Wochenende, Russland und China wollten „die Spielregeln weltweit neu schreiben“; er ließ keinerlei Zweifel daran, dass Washington sich dem entgegenstellen werde.[13] Dass die Volksrepublik „sowohl die Absicht“ wie auch das Potenzial besitze, „die internationale Ordnung neu zu gestalten“, ist als zentrale Auffassung in der neuen, im Oktober veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten festgehalten; in dem US-Dokument heißt es weiter, es gelte daher künftig, China „niederzukonkurrieren“.[14] Die Dringlichkeit hat sich aus US-Sicht erheblich verschärft, seit es Beijing kürzlich gelungen ist, im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran zu vermitteln und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Staaten zu erreichen – eine Leistung, die als ein weltpolitischer Durchbruch eingestuft worden ist (german-foreign-policy.com berichtet in Kürze). Ein möglicher Erfolg bei der Beendigung des Ukraine-Kriegs wäre ein erneuter weltpolitischer Durchbruch für Beijing. Der Westen wird ihn verhindern wollen.
[1] Xi Jinping: Forging Ahead to Open a New Chapter of China-Russia Friendship, Cooperation and Common Development. fmprc.gov.cn 20.03.2023.
[2] S. dazu Auf der Seite des Krieges.
[3] President Xi Jinping Meets with Russian President Vladimir Putin. fmprc.gov.cn 21.03.2023.
[4] President Xi Jinping and Russian President Vladimir Putin Sign Joint Statement of the People’s Republic of China and the Russian Federation on Deepening the Comprehensive Strategic Partnership of Coordination for the New Era and Stress Settling the Ukraine Crisis Through Dialogue. fmprc.gov.cn 22.03.2023.
[5] Kuleba on China’s peace plan: We disagree with at least one point. en.interfax.com.ua 25.02.2023.
[6] China foreign minister in rare call with Ukraine counterpart. apnews.com 17.03.2023.
[7] Veronika Melkozerova: Call me anytime: Zelenskyy plays the long game with Xi Jinping. politico.eu 21.03.2023.
[8] À TV 247, Lula diz que vai conversar com Xi Jinping sobre Ucrânia e aprova encontro entre Rússia e China. brasil247.com 21.03.2023.
[9] David Cohen: Russia and China want to disrupt the world order, NSC spokesperson says. politico.com 19.03.2023.
[10] Pistorius hofft auf Fortschritte durch Xi-Besuch in Moskau. handelsblatt.com 20.03.2023.
[11] Außenministerin äußert sich enttäuscht über Xi-Besuch bei Putin. stuttgarter-zeitung.de 21.03.2023.
[12] S. dazu „Russland isolieren“, „Russland isolieren“ (II) und „Russland isolieren“ (III).
[13] David Cohen: Russia and China want to disrupt the world order, NSC spokesperson says. politico.com 19.03.2023.
[14] National Security Strategy. Washington, October 2022.