Im Bundesland Hessen verfolgt und verleumdet ein staatlich finanziertes Beratungsnetzwerk Initiativen aller Art, Friedensaktivisten, Kandidaten der Basis-Partei als «rechts-extrem» – mit erheblicher Rufschädigung für die Betroffenen.
Sind Sie auch rechtsextrem? Ich bin es anscheinend – trotz jahrelangem Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Es gibt mindestens sieben Anzeichen dafür:
1. Ich gendere ungern. (Damit bin ich anschlussfähig zu Antifeminismus.)
2. Ich war auf der Friedensdemonstration von Sahra Wagenknecht (= anschlussfähig zur AFD).
3. Ich versuche immer, alle Seiten zu sehen (= anschlussfähig zu ganzheitlichem Gedankengut).
4. Ich sehe die Corona-Massnahmen kritisch (= anschlussfähig zu Antisemitismus).
5. Ich meditiere – nun ja – manchmal (= anschlussfähig zu Esoterik).
6. Ich bin gern in der Natur (= anschlussfähig zu Naturromantik und Heimatideologie).
7. Und ausserdem: Ich bin – zumindest überwiegend – Vegetarierin. (Warum das rechtsextrem sein soll, ist nicht näher erläutert – vielleicht weil Hitler auch Vegetarier war?)
Mit solchen Attributen ist man heutzutage – gemäss einer von hessischen Steuergeldern mitfinanzierten Broschüre – Teil eines neuen Rechtsextremismus. Also mitverantwortlich für rechte Gewalt. Ich überlege eine Selbstanzeige.
Die Gefahr beginnt, wenn die Mitte der Gesellschaft von Links-Alternativen rechts unterwandert wird.
Klingt absurd? Ist aber Realität. Einzelpersonen, Initiativen und Vereine erleben derzeit massive und existenzielle Rufschädigung. In Hessen aktuell durch eine 32-seitige Hochglanzbroschüre des MBT (Mobiles Beratungsteams gegen Rassismus und Rechtsextremismus – für demokratische Kultur in Hessen). Mitfinanziert vom Land Hessen, wird sie öffentlich ausgelegt und Kooperationspartnern der erwähnten Initiativen ohne Nachfrage zugeschickt. Sie heisst: «Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie & Esoterik. Ein Einblick in ländliche Räume Nordhessens».
In der ersten Auflage erschien die Broschüre im Februar 2022. Fotos und Gestaltung assoziieren Zusammenhänge zwischen Nazis mit Kampfanzügen mit Lagerfeuer, Wald im Gegenlicht und erdige Rübchen von der Solawi. Ach ja, auch Solidarische Landwirtschaften werden als rechtsextrem geoutet.
Extreme Rechte – das war für mich bisher Nationalismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Oder, wie es auch im Vorwort heisst: «autoritär», «demokratie- und menschenfeindlich». Wir kennen Fackelmärsche, Springerstiefel und Glatzenträger.
Doch die eigentliche Gefahr, so erfährt der erschrockene Leser, beginne, wenn die Mitte der Gesellschaft von Links-Alternativen rechts unterwandert wird. Denn deren heimliche Neigung zu Verschwörungsmythen, Antisemitismus und Antifeminismus böten – vor allem seit den Corona-Protesten und der Querdenker-Bewegung – «Anschlussfähigkeit» zur extremen Rechten. Und dadurch würden sie irgendwie selbst rechtsextrem. So in etwa die Logik der Autor*innen. Namentlich wollen diese nicht erwähnt werden. Damit suggerieren sie: Sie entlarven extreme Rechte. Das ist mutig. Und gefährlich.
Aber wieso eigentlich Antisemitismus? Ich habe bei normalen Corona-Kritikern nichts von Judenfeindlichkeit gemerkt. Was in aller Welt hat Corona mit Juden zu tun?
Hier kommt der typisch deutsche argumentative Rösslsprung: Wenn jemand Demokratieverlust mit der Entwicklung in den Nationalsozialismus von vor fast 100 Jahren vergleicht, verharmlost er den Holocaust. Denn der ist singulär in seiner Grausamkeit. Und er darf nicht mit irgendetwas verglichen werden.
(Kleine Frage: In Israel demonstrieren derzeit Hunderttausende gegen ihre neue rechte Regierung. Unter anderem mit Schildern, auf denen die Zahl 1933 steht. Sie rufen Parolen wie «Nie wieder 1933!» Sind diese Israelis auch Holocaustleugner und Antisemiten?)
Das Wort «anschlussfähig» ist der Schlüssel. Denn damit brandmarkt man letztlich alles, was man irgendwie mit Neonazis gemeinsam haben könnte. Die Merkmale für Anschlussfähigkeit sind nämlich weit gefasst: Dazu gehört man z.B., wenn man auf dem Land lebt oder sich nach Natur sehnt (Stichwort «Heimatscholle»). Oder wenn man spirituelles oder ganzheitliches Denken pflegt. Oder einfach oder bio-vegan leben möchte, Alternativmedizin befürwortet, Impfungen kritisiert und ausserdem bisher zur alternativen oder linken Szene gehörte. All diese Menschen seien – so das Postulat – potentiell anschlussfähig. Und damit seien sie irgendwie mitverantwortlich für rechte Gewalt. Diese wird daraufhin explizit erwähnt: Zum Beispiel der Mord an einem jungen Tankwart. Er wurde erschossen, nachdem er seine Kunden zum Maskentragen auffordert hatte. Warum bin ich mitschuldig? Klar, weil ich mich nicht impfen lassen möchte.
Im Ernst – geht’s noch? Wer Kritik an staatlichen Massnahmen übt oder einem anderen Lebensentwurf folgt als Karriere machen, ist Demokratiefeind und Gewaltförderer? Und diese Behauptung gilt als demokratische Initiative und wird vom Staat bezahlt?
Das ist übrigens derselbe deutsche Staat, in dem 1972 der Radikalenerlass in Kraft trat. 1,4 Millionen Bewerber für den Öffentlichen Dienst wurden damit auf ihre Staatstreue überprüft. Das staatliche Berufsverbot für Linke traf etwa 1100 von ihnen – zum Beispiel weil sie Mitglied in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) waren. Die «Gesinnungsschnüffelei», wie Herbert Wehner es damals nannte, scheint heute eine Renaissance zu erleben. Diesmal lautet der Verdacht nicht links-, sondern rechtsextrem.
Weiter in der Broschüre: «Zahlreiche Akteur*innen fallen jedoch auf den ersten Blick nicht als solche auf. Sie verschleiern bzw. verharmlosen ihren ideologischen Hintergrund, um einerseits negative Reaktionen und Sanktionen zu vermeiden, aber vor allem, um sich möglichst viele Handlungsspielräume zu erhalten.»
Aha – Idealisten aller Arten sind untereinander vernetzt und planen Böses! Na, wenn das keine Verschwörungstheorie ist!
Die Broschüre wird schliesslich sehr konkret. Unter der Überschrift «Antiemanzipatorisches Gedankengut & Ökospiritualität» werden Vereine und Gruppen namentlich genannt und als rechtsextrem bzw. anschlussfähig diffamiert. Eine Gruppe tritt z.B. für ein «Europa der Regionen» ein: Sie schlägt vor, in Europa überschaubarere Einheiten in dezentraler Selbstverwaltung zu schaffen. So ein Gedanke sei, so informiert uns die Broschüre, anschlussfähig mit dem Konzept des «Ethnopluralismus» der Neuen Rechten.
Zwei andere Vereine beschäftigen sich mit dem Geschlechterverhältnis. Ja, sie verwenden sogar die Worte «Mann» und «Frau». Damit sind sie des Antifeminismus überführt. Aus der Broschüre: «Hier wird ein essentialistisches Geschlechterbild gezeichnet, welches von den binären Kategorien `Mann´ und `Frau´ ausgeht.»
Schon allein der Gebrauch der Worte Frau und Mann wird damit als «anti-emanzipatorisch» und extrem rechts angeprangert. Es wird sogar behauptet: «In einem solchen binären und essentialistischen Geschlechterverhältnis gibt es keinen Raum für Homosexualität oder nicht-binäre Genderidentitäten.»
Was fehlt, ist ein Hinweis darauf, dass in diesen Vereinen auch nur ein einziges Mal Schwule und Lesben ausgegrenzt worden seien.
Ein anderer diffamierter Verein beschäftigt sich mit Tiefenökologie. Aus der Broschüre: «Tiefenökologie beschreibt eine spirituelle Natur-Philosophie, in dessen Kern ein sogenanntes biozentristisches Weltbild steht.»
Das Urteil? Klar: Anschlussfähig. Warum, führt die Broschüre nicht näher aus. Ich schlage bei Wikipedia nach. «Biozentrismus ein ethisches Modell, das allem `Lebendigen´ einen ethischen Eigenwert zuordnet.» Verwiesen wird dabei auf Albert Schweitzer und seine «Ehrfurcht vor dem Leben». Als kritische Position gegenüber Biozentrismus wird erwähnt, dass darin jedes Leben als gleich wertvoll erachtet werde. Im Umkehrschluss sei ein Mensch damit ebenso viel oder wenig wert wie eine Maus oder ein Bakterienstamm.
Tatsächlich bieten solche Gedanken interessanten Diskussions- oder Kritikstoff. Die Broschüre aber übt keine Kritik: Sie diffamiert, stigmatisiert, versucht, Andersdenkende als gewaltverherrlichend zu brandmarken, ihnen die möglichen Kooperations- und Gesprächspartner zu entziehen und sie vom gesellschaftlichen Dialog auszugrenzen. Mit existenziellen Folgen für die Betroffenen.
Gandalf Lipinski ist einer von ihnen. Er hat mit dem Verein «Gesellschaft in Balance e.V.» einen der diffamierten Vereine gegründet. Als Patriarchatskritiker ist er in der politischen Erwachsenenbildung seit Jahrzehnten mit vielen Projekten aktiv. Als Linker war er gewohnt, die staatlichen Positionen zu hinterfragen, so auch die Corona-Strategie. Seit einigen Jahren wird er dafür massiv angegriffen: früher von rechten Gruppen, dann von sich links nennenden Positionen, inzwischen von offiziellen Stellen.
Wir haben dieses Dilemma, weil sich die Linke in den wesentlichen Fragen der letzten Jahre weggeduckt hat.
«Ich habe bisher noch nie Angst gehabt, meine Meinung zu sagen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass kritisch denkende Bürger letztlich ihr Recht erstreiten werden. Doch jetzt erlebe ich zum ersten Mal Angst.»
Nicht grundlos: Er habe seit zwei Jahren de facto Berufsverbot und werde von öffentlichen Aufträgen und Subventionen ausgeschlossen.
«Alles begann mit meiner Position zum Thema Impfzwang», erzählt Lipinski. Während einer öffentlichen Diskussion sagte er, dass Zugangsbeschränkungen an öffentliche Orte für Nicht-Geimpfte ihn an den Judenstern in Nazi-Deutschland erinnerten. Sofort hörte er auch von politischen Freunden: Das dürfe man nicht sagen.
Lipinski: «Sie sagten sogar, dass sie das selbst auch denken. Aber man dürfe es trotzdem nicht laut sagen. Seit wann darf man nicht sagen, was man denkt? Und was macht das mit unserer Demokratie?»
In der Broschüre wird weiter analysiert: So wie die Lebensreformbewegung und die Anthroposophie «nach rechts offen» waren, so sind es auch die Corona-Proteste. Waren daran anfangs noch mehrheitlich Wähler linker Parteien beteiligt, so nahm im 2. und 3. Jahr der Anteil der AfD-Wähler zu.
Lipinski: «Wir haben dieses Dilemma, weil sich die Linke in den wesentlichen Fragen der letzten Jahre weggeduckt hat. Es gab kaum linke, regierungskritische Positionen zu Corona. Damit wurde die Opposition weitgehend der Rechten überlassen.»
So entstand eine gemischte Widerstandsbewegung, die die Broschüre so beschreibt: «In dieser antidemokratischen Bewegung überschneiden sich extrem rechte und linke Interessen und Forderungen.» Das Ergebnis nennt sich «Querfront» – ein bekannter Vorwurf.
Zusammengefasst könnte die Kernaussage der Broschüre so lauten: Wenn unterschiedliche oder politisch gegensätzliche Lager gemeinsame Schnittmengen oder Interessen finden, ist das auf jeden Fall antidemokratisch.
Vorsichtige Gegenfrage: Könnte es vielleicht – ganz theoretisch – Positionen geben, die vor allem menschlich sind? Die nichts mit rechts und links zu tun haben? Denen viele Menschen zustimmen – ohne dabei Gewalt, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus zu befürworten? Darf ich nicht für Waffenstillstandsverhandlungen und Frieden eintreten, weil es AfD-Wähler gibt, die das auch wollen?
Nein. Denn dass Rechts und Links in Einzelfragen gemeinsame Interessen haben könnten, ist das absolute No-Go für … ja, für wen eigentlich? Wer hat ein so ein brennendes Interesse daran, dass eine breite oppositionelle Bewegung im Keim erstickt wird? Wer möchte das um jeden Preis verhindern? Wer steht hinter dieser Broschüre – und vielen weiteren «Aktivitäten gegen rechts»?
Wer steht dahinter?
Eine sehr interessante Frage. Co-finanziert vom Land Hessen, gebe der Inhalt der Broschüre nicht die Meinung der Landesregierung wieder, so heisst es auf dem Disclaimer. Verschiedene Quellen, Initiativen und Journalistenbüros sind genannt. Unter `weitere Dokumente´ taucht auch der Name der Amadeo Antonio Stiftung (AAS) auf. Wer ein wenig recherchiert, erkennt diese als eigentlichen Urheber der Broschüre.
Wenn man die auf der Webseite verlinkte «Beltower News» öffnet, findet man exakt den gleichen Text wie in der Broschüre. Das MBT (Mobile Beratungsteam) bestätigt auf Nachfrage, den Text aus der «Beltower News» entnommen zu haben. Die «Beltower News» ist das Öffentlichkeitsorgan der Stiftung, die viele deutschlandweite Aktionen «gegen rechts» koordiniert und finanziert: die Amadeo Antonio Stiftung.
In Deutschland findet, sobald das Wort Antisemitismus auftaucht, jeder inhaltliche Dialog ein Ende.
Wer war Amadeo Antonio, nach dem die Stiftung benannt wurde? Amadeo Antonio Kiowa war ein junger Angolaner. Er emigrierte in die DDR und erlebte Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit vor allem in der Nachwendezeit. Schliesslich wurde er von Neonazis brutal überfallen und erschlagen. Er war eines der ersten Opfer rechtsextremer Gewalt nach der deutschen Wiedervereinigung.
Man kann seine Geschichte nicht lesen, ohne wütend und traurig zu werden. Und er ist kein Einzelfall. Was ist das für eine Gesellschaft, in der solche Gewalt zugelassen und geschützt wird? Die Polizei griff nur sehr zögerlich ein. Die Täter wurden nur wegen Totschlags verurteilt und erhielten eine sehr geringe Strafe! Ich verstehe jeden, der sich einsetzt, damit so etwas nie wieder geschieht.
Aber was tut die Stiftung dazu? Wer betreibt sie und wer finanziert sie?
Gegründet 1998, erhält die Stiftung jährlich über 2 Millionen Euro staatliche Förderung, dazu mehr als eine Millionen Euro Spendengelder pro Jahr. Die Spendenaktionen werden von grossen Medien wie «Stern» und «ZEIT» unterstützt. Die «ZEIT» half z.B. beim Aufbau der «Beltower News» und einem Archiv «gegen rechts».
Nicht alle Aktivitäten der AAS sind unumstritten: 2018 veröffentlichte sie eine Broschüre für Kindertagesstätten, durch die rechtsextreme Eltern identifiziert werden könnten. Eltern und Erzieher fürchten, dass damit ein Klima gegenseitiger Verdächtigung eröffnet wird.
Gründerin der AAS und bis Mai 2022 ihre Vorsitzende war die Journalistin Annetta Kahane. Kahane war Ausländerbeauftragte im Magistrat von Ost-Berlin. Unter der Regierung von Angela Merkel wurden zivile Organisationen gesucht, die regierungsunabhängig und basisnah gegen rechte Gewalt arbeiten könnten. Die Amadeo Antonio Stiftung passte genau: Sie wurde ein perfekter Akteur für zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen rechts. Und ganz nebenbei ein passendes Gefäss für die Erlangung staatlicher Gelder.
Wer ist Annetta Kahane? Sie stammt aus einer jüdischen Familie der DDR. In ihrer Jugend erfuhr sie selbst antisemitische Feindseligkeit. Andererseits wurde sie inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin, horchte Andersdenkende aus und verriet sie an die Stasi. Darüber bewahrte sie auch nach der Wende zunächst Schweigen, bis es schliesslich aufgedeckt wurde. Durch ihre IM-Tätigkeit erhielt sie zahlreiche Privilegien wie vor allem Reiserechte. Doch schon 1982 kündigte sie ihre Mitarbeit bei der Stasi. Sie stellte 1986 einen Ausreiseantrag, worauf ihr die Privilegien wieder entzogen wurden.
Über ihre moralische Eignung für die Aufgabe eines politischen Gewissens könnte man zwei verschiedene Perspektiven einnehmen: Da ein Mensch mit ihren Erfahrungen beide Positionen – die der Opfer und die der Täter – intim kennt, könnte man im besten Fall eine besonders umsichtige und differenzierte Haltung erwarten. Im weniger guten Fall aber hätte ein Mensch mit diesem Hintergrund seine Erfahrungen nicht ausreichend verarbeitet. Er oder sie würde die Mechanismen von Verfolgung, Ausgrenzung und Anfeindung dann wiederholen.
Welchen der beiden Wege hat Annetta Kahane beschritten? Die Antwort gibt sie selbst bei ihren vielen Auftritten und Analysen. Im November 2020 tritt sie etwa bei der Bundespressekonferenz gemeinsam mit dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Kevin Kühnert in Berlin auf. Darin warnt sie vor antisemitischer «Eskalation», «Verdichtung» und Bedrohung durch Corona-Proteste. Das Netz von Antisemitismus, so behauptet sie, werde immer enger. Wörtlich sagt sie: «Verschwörungsideologien haben Konjunktur bekommen. Und Verschwörungsideologien haben immer ein antisemitisches Betriebssystem. Es geht um die Idee vom bösen Juden, den man für alles beschuldigen kann. Verschiedene Gruppen aus der gesellschaftlichen Mitte finden sich in einer Auflehnung gegen die Errungenschaften der Moderne, gegen die Vernunft und gegen alles, was jüdisch ist.»
Dazu habe ich Fragen: Wieso sollte jede Verschwörung per se von Juden begangen werden? Es gibt doch zahlreiche tatsächliche Verschwörungen, die gar nichts mit Juden zu tun haben. Nehmen wir den Reichstagsbrand von 1933: Es gilt heute als wahrscheinlich, dass nicht ein angeblicher Alleintäter, sondern Nazis das Feuer legten. Um die Grundrechte der Weimarer Verfassung ausser Kraft zu setzen und die Verfolgung politischer Gegner zu legalisieren. Was unterscheidet diese Annahme von anderen Verschwörungstheorien? Und wo ist sie antisemitisch?
In Deutschland findet, sobald das Wort Antisemitismus auftaucht, jeder inhaltliche Dialog ein Ende. Dazu zitiere ich aus einem Offenen Brief einer Vereinigung namens «Juden für Aufklärung»: «Es gibt kaum eine schlimmere Beleidigung für einen anständigen Menschen als die, ein Antisemit genannt zu werden. Wenn die Verfechter der herrschenden Meinung oder besser gesagt der Meinung der Herrschenden grundlos die Antisemitismuskeule schwingen, nehmen sie den Schmerz und die Verzweiflung, die sie damit verursachen, zumindest billigend in Kauf. Die Antisemitismus-Keule wird als Waffe gegen Kritiker der Regierungsmassnahmen eingesetzt. Wie jede Waffe verursacht sie Zerstörung. Wie jede Waffe ist sie ein Mittel der Unterdrückung und Gewalt.»
Wie konnte eine solche Haltung in die Mitte der Gesellschaft geraten? Warum stellen sich so viele bürgerliche Kräfte, Medien und offizielle Gelder dahinter?
Und ich frage mich, was Amadeo Antonio dazu gesagt hätte. Wäre es ihm recht gewesen, was in seinem Namen geschieht? Oder hätte er sich – wieder einmal – in Deutschland missbraucht und benutzt gefühlt?
* Inzwischen, Ende März 2023, hat das MBT die Broschüre von seiner Webseite genommen. Was ist geschehen? Es gab ein Gespräch zwischen Vertretern des MBT und des Vereins «Gesellschaft in Balance e.V.». Evtl. hat das Unsicherheit geschaffen und vielleicht auch die Fronten etwas aufgeweicht. Die Gegendarstellung des Verein wurde allerdings bisher nicht veröffentlicht. Der Verein stellte deshalb vor einigen Tagen die Strafanzeige. Ich versuche, Sie auf dem Laufenden zu halten.
Die Broschüre «Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie und Esoterik»
Von Christa Leila Dregger und auf Zeitpunkt.ch erstveröffentlicht.
Christa Dregger-Barthels (auch unter dem Namen Leila Dregger bekannt). Ich bin Redaktionsmitglied des Zeitpunkt, Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Ich lebte fast 40 Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera/Portugal – inzwischen wieder in Deutschland. Meine Themengebiete sind Frieden, Gemeinschaft, Mann/Frau, Geist.