Die Zahlen sprechen für eine kürzere Normalarbeitszeit. Trotzdem stellen sich viele Unternehmen und deren Interessensvertretung quer. Woran liegt das?

Ein Kommentar von Josef Stingl

Die Bundesarbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl nimmt in der Pressestunde bei der Teilzeitarbeit die Unternehmen in die Pflicht. Richtigerweise meinte sie, dass „wir nicht so tun sollen, als wenn die Frauen das freiwillig machen“. Schuldig blieb sie allerdings allerdings weitgehend einen Ausweg durch eine deutlichen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Laut einer Studie der Uni Wien sind nur 28 Prozent aller Befragten mit der derzeitigen Normalwochenzeit zufrieden. Mehr als die Hälfte aller Befragten würde gerne kürzer arbeiten. Zwischen diesen beiden Meinungsgruppen befinden sich jene, die bereits jetzt eine verkürzte Wochenarbeitszeit – aber ohne Lohnausgleich – haben und sie werden immer mehr. Laut „Agenda Austria“ sind es bereits 150 Prozent mehr als vor dreißig Jahren. Aktuell liegt die Teilzeitquote in Österreich bei 29,4 Prozent. Um 18,7 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt und hinter den Niederlanden am zweitmeisten EU-weit.

Anders als beim „Europameister Niederlande“, wo auch die Männer gerne kürzertreten, ist Teilzeit in Österreich Frauensache. Denn bei können sich nur wenige „den Luxus ein verbesserten Work-Life-Balance“ leisten. Ebenso wenige können sich über eine betriebliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn freuen.

Teilzeitarbeit ist weiblich

Fast jede zweite Frau (47 Prozent) arbeitet in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis, vor 20 Jahren war es nur jede vierte. Bei Müttern mit Kindern liegt die die Teilzeitquote sogar bei 70 Prozent. Die meisten von ihnen haben diese Form der Arbeitszeitverkürzung – nämlich mit klarem Lohnverlust – nicht freiwillig gewählt.

Kindererziehung, Familienarbeit und Familienpflegeaufgaben werden in unserer Gesellschaft noch immer vorwiegend den Frauen angelastet. Diese Doppel- und Dreifachbelastung gemeinsam mit den fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen zwingen Frauen – insbesondere Alleinerziehende – zum Lohnverzicht durch Teilzeit. Dazu kommt noch, dass in beispielsweise im Pflege- und Gesundheitsbereich Arbeitsdruck und -belastung so extrem sind, dass Teilzeit das einzige „Hilfsmittel“ gegen physische oder psychische Erkrankungen ist. Oder, im Handel gibt es de facto keine Chance mehr, eine Vollzeitbeschäftigung zu ergattern.

Also kürzer arbeiten bei vollem Lohn?

„Geht absolut nicht“, meinen Industriellenvereinigung und WKO als auch Regierung: Arbeitskräftemangel, geburtenarme Jahrgänge und die Mehrkosten lassen das nicht zu. Sinnvoller sei Teilzeitbeschäftigte mit gekürzten Sozial- und Familienleistung noch zusätzlich zu bestrafen und im Alter länger arbeiten zu dürfen oder müssen. Natürlich nicht zu den höheren Einkommen im Alter, wie es jetzt üblich ist.

„Her mit der Arbeitszeitverkürzung“ verlangen im Gegensatz dazu Arbeiterkammer, ÖGB und seine sieben Gewerkschaften. Denn, ein Zukunftsarbeitsmodell mit verkürzter Arbeitszeit und bei vollem Lohn bringt den Berufstätigen neben mehr Freizeit, mehr Freiheit und mehr Zufriedenheit auch mehr Gesundheit. Von allem profitiert auch die Wirtschaft ebenso.

Sind diese unterschiedliche Auffassungen von der Länge der Arbeitszeit unter einen Hut zu bringen oder muss dafür eine eierlegende Wollmilchsau geboren werden? Verkürzte Arbeitszeit wird angesichts gesundheitlicher Belastungen am Arbeitsplatz, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gendergerechtigkeit, Erreichen ökologischer Grenzen und die Integration der vielen geflohenen Menschen in unser Gesellschaftsgefüge immer bedeutender.

Immer mehr Unternehmen – auch in Österreich – erkennen das im Gegensatz zu ihren Interessensvertretungen. Beispielsweise durch die Einführung einer verkürzten Arbeitszeit durch eine Viertagewoche und oft auch bei vollem Lohn. Einhellig erklären sie, dass sich dieser Schritt gelohnt hat und sie ihn nicht mehr rückgängig machen werden.

Statistik verlangt nach kürzerer Arbeitszeit

Laut Statistik Austria liegt in Österreich das durchschnittlich geleistete Pro-Kopf-Gesamtarbeitsvolumen wöchentlich bei 30 Stunden. Und das, obwohl im Gesamtvolumen auch die unzähligen Überstunden – die es auch noch gibt – miteingerechnet sind. Eine gesetzliche Normalarbeitszeit von 30 Wochenstunden würde also bei gleichzeitig gerechterer Verteilung der Arbeitszeit kaum etwas an der Kopfanzahl verändern.

Das Unternehmensargument der Mehrkosten durch den zusätzlichen Personalbedarf, aber auch jenes, das dies der vorhandene Arbeitskräftemangel nicht zulässt, ist somit obsolet. Auch der Lohnausgleich ist kein Hindernisgrund. Er amortisiert sich rasch, durch weniger Krankenstände und bei gerechterer Neuverteilung der Arbeitsplätze durch die Ersparnis aus den nicht mehr anfallenden Überstunden-Zusatzkosten.

Warum viele Unternehmen trotzdem Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich verdammen? Ganz einfach, solange sie kürzere Arbeitszeit über Teilzeit verteilen können, streifen sie die daraus entstehenden Produktivitätsgewinne doppelt ein.


Dieser Beitrag erschien auch auf dem Blog unseres Autors: stingls-blog.news

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