ZUSAMMENFASSUNG
- Neuer Gesetzesentwurf zum Whistleblower*innen-Schutz geht kaum über die Mindeststandards der EU hinaus
- Der Umgang mit anonymen Meldungen ist unzureichend geregelt
- Verwaltungsstrafen für falsche Hinweise könnten abschreckenden Effekt auf potenzielle Hinweisgeber*innen haben
- Amnesty International und epicenter.works fordern eine breitere Auslegung des Schutzes und Ausweitung auf nationales Recht
Der heute im Nationalrat diskutierte Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie (HinweisgeberInnenschutzgesetz – HSchG) ist unzureichend, um einen umfassenden Schutz für Whistleblower*innen zu gewährleisten, so Amnesty International und epicenter.works heute in einem gemeinsamen Statement.
„Die Bundesregierung hat leider eine große Chance vertan, um schwere Missstände in Unternehmen und Behörden abzustellen. Anstatt Whistleblower*innen vor Repressionen zu schützen, bleibt diesen mutigen Menschen mit diesem Gesetz nur noch der Gang an die Medien oder zur WKStA. Bestenfalls ist hier von vorneherein totes Recht geschaffen worden. Schlimmstenfalls drohen sogar abschreckende Strafen bei Falschmeldungen“, sagt Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works.
„Es liegt im Interesse aller Menschen in Österreich, dass Missstände, wie etwa Fälle von Korruption, aufgedeckt werden. Whistleblower*innen leisten dabei einen wertvollen Beitrag, der nicht zu ihrem Nachteil sein darf. Wenn der Regierung die Bekämpfung von Korruption wirklich am Herzen liegt, muss der Gesetzesentwurf noch einmal gründlich überarbeitet werden“, so Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
KRITIK AN DEM GESETZESVORSCHLAG ZUM SCHUTZ VON WHISTLEBLOWER*INNEN
- Der Gesetzesentwurf schützt keine Hinweise über Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung, Straftatbestände außerhalb des Korruptionsstrafrechts (wie etwa sexuelle Belästigung, Untreue, etc.), allfällige Misswirtschaft oder Missstände im Bereich der nationalen Sicherheit, Verstöße gegen arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen, und vieles mehr.
- Die Einschränkung des Schutzes für Whistleblower*innen auf wenige Rechtsbereiche verhindert die effektive Aufdeckung grober Missstände und Rechtsverstöße. Dies stellt für viele Hinweisgeber*innen eine Hürde dar, da es die Einschätzung, ob ein Hinweis nun durch das neue Gesetz geschützt wird oder nicht, enorm erschwert. Auch die Möglichkeit Beratungseinrichtungen einzurichten, um Abhilfe zu schaffen, wurde nicht ergriffen.
- Ob und inwieweit die Behandlung anonymer Meldungen verpflichtend vorgesehen wird, ist im Gesetzesentwurf nicht eindeutig geregelt. Es mangelt dem Gesetz an konkreten Bestimmungen über den konkreten Umgang mit derartigen Meldungen. Damit wird riskiert, dass viele Missstände erst gar nicht ans Tageslicht kommen werden und auch wenn sie anonym gemeldet werden, ein Unternehmen sie einfach ignorieren könnte.
- Whistleblower*innen können bei Falschinformation bestraft werden. Der Entwurf sieht vor, dass Whistleblower*innen bei Abgabe eines Hinweises davon ausgehen müssen, dass dieser wahr ist, und, dass er einen Rechtsbereich betrifft, der durch das neue Gesetz geregelt wird. Sonst gibt es keinen Schutz. Bei einer wissentlichen Falschmeldung drohen sogar hohe Verwaltungsstrafen bis zu 20.000 Euro, im Wiederholungsfall sogar 40.000 Euro. Die Höhe dieser Strafen ist unverhältnismäßig und kann eine abschreckende Wirkung entfalten, bei Unsicherheit überhaupt einen Hinweis abzugeben.
HINTERGRUND
Weil Österreich die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie (17.Dezember 2021) versäumt hat, drohte die EU-Kommission bereits zweimal mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Der österreichische Gesetzesentwurf wurde von Arbeitsminister Kocher über fünf Monate nach Ende der von der EU-Kommission vorgegebenen Frist vorgestellt.
Zahlreiche Stellungnahmen vonseiten der Zivilgesellschaft aber auch der Justiz sind beim Arbeitsministerium eingelangt und haben den Entwurf als unzureichend kritisiert. Nun wurde der Entwurf dem Nationalrat zugewiesen – die Verbesserungsvorschläge vonseiten der Expert*innen aus Justiz und Zivilgesellschaft blieben jedoch unberücksichtigt.
Die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie sieht vor, dass Personen Missstände und Gesetzesverstöße innerhalb des Unternehmens oder der öffentlichen Institution, zu dem/der sie in einer beruflichen Verbindung stehen, melden können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Das Melden von Fehlverhalten, ist oftmals die einzige Möglichkeit, Missstände ans Licht zu bringen, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben würden. Dennoch werden in vielen Fällen nicht die Verantwortlichen für die Missstände verfolgt, sondern diejenigen, die sie aufgedeckt haben.
Whistleblowing wird als Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung betrachtet und ist somit durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt.