Die Ozeane sind voll mit Plastikmüll. Einige Ideen, wie man ihn wieder rausbekommt.
Von Sarah Brockhaus (fluter.)
Als Boyan Slat mit 17 Jahren zum Tauchen nach Griechenland fuhr, hatte er eigentlich vor, möglichst viele Fische zu beobachten – stattdessen aber sah er unter Wasser vor allem Müll an sich vorüberziehen. Dieser deprimierende Anblick war die Geburtsstunde einer großen Vision: Ich werde die Weltmeere vom Plastikmüll befreien, sagte sich der junge Niederländer. Für die einen war Boyan damit ein Genie, für die anderen schlicht größenwahnsinnig.
Mittlerweile hat das von ihm 2013 mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne gegründete Unternehmen The Ocean Cleanup 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Idee dahinter ist eigentlich recht einfach: Eine schlauchähnliche Barriere bildet auf der Meeresoberfläche ein großes U, in das die natürlichen Strömungen des Meeres den Müll hinein treiben. Versorgungsschiffe sammeln den Müll dann ein und transportieren ihn zum Recyceln. Allerdings schwimmen nur fünf Prozent des Plastikmülls im Meer auf der Wasseroberfläche, der Rest sinkt in die Tiefe. Selbst im Marianengraben, mit etwa 11.000 Metern die tiefste Stelle der Welt, wurde schon Plastik gefunden. Ein Großteil des Plastiks zerfällt unter dem Einfluss von UV-Strahlen zu Mikroplastik. Teilweise wird der Plastikabfall auch direkt als Mikroplastik ins Meer gespült. Mit Shampoos, Seifen oder Kosmetika, die Plastik enthalten, oder in Form von Synthetikfasern, die über die Waschmaschine im Abwasser landen.
Auf dem Wasser treiben hochgerechnet wahrscheinlich 269.000 Tonnen Plastik. Vor allem in den fünf besonders großen Müllstrudeln in den Meeren. Sie befinden sich im Atlantik und im Indischen Ozean, alle in der Nähe des Äquators. Der größte ist wohl der „Great Pacific Garbage Patch“ mit einer Fläche etwa dreimal so groß wie Frankreich. Erst vor Kurzem verkündete The Ocean Cleanup, hier einen weiterentwickelten Meeresstaubsauger einsetzen zu wollen.
Für das eine Lebewesen mag ein Stück Plastik harmlos sein, für das andere kann es tödlich werden
Wie viel Plastik tatsächlich schon im Meer gelandet ist, dazu gibt es bestenfalls Hochrechnungen. Ein Forschungsteam um die Umweltingenieurin Jenna Jambeck hat versucht, die Menge anhand der Plastikproduktion und -entsorgung von 192 Ländern zu schätzen. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr rund fünf bis 13 Millionen Tonnen Plastik im Meer landen, Tendenz steigend.
So wenig man über die genaue Menge des Plastikmülls im Meer weiß, so unerforscht sind auch die Auswirkungen des Plastiks auf die Lebewesen im Meer. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Plastikmüll nicht gleich Plastikmüll ist. Deshalb mag ein Stück Plastik für das eine Lebewesen zwar harmlos sein, aber für ein anderes genau das entscheidende, an dem es erstickt oder mit dem es sich vergiftet. Es gibt auch Mikroorganismen, die Plastik als Lebensraum für sich entdeckt haben und sich auf den schwimmenden Plastikteilen ansiedeln.
Fakt ist aber, dass viele Vögel und Fische mit Mägen voller Plastik verenden. Bei fast 70 Prozent der Seevogelarten wurde bei einer Untersuchung Plastik im Magen gefunden. Auch Mikroplastik kann Tiere töten und über den Fischfang in den Mägen der Menschen landen. Hinzu kommt, dass es sich zu noch kleineren Partikeln zersetzt, dem sogenannten Nanoplastik. Über dessen Verbreitung und Auswirkungen gibt es praktisch keine Daten. Es ist so klein, dass es sogar die Zellmembran durchdringen kann.
Allerdings weiß man ziemlich genau, woher das Plastik im Meer stammt. Ein vergleichsweise geringer Anteil stammt von Schiffen, der Großteil des Plastikabfalls kommt vom Land. Dabei spielen Flüsse eine große Rolle: 2017 fand eine Studie heraus, dass gerade mal zehn Flüsse rund 90 Prozent des Plastikmülls befördern, der über Flüsse in die Ozeane gelangt. Am meisten transportiert der Jangtse in China, aber auch der Nil und der Ganges in Indien gehören zu den traurigen Top Ten.
Auf das Problem der Flüsse ist auch The Ocean Cleanup gestoßen: Deshalb arbeiten die Ingenieure des Projekts seit 2015 an einer Lösung für die 1.000 am stärksten verschmutzten Flüsse. Mittels Barrieren wird der Müll zu einem Katamaran gelenkt und durch die Strömung auf ein solarbetriebenes Transportband befördert, das ihn aus dem Wasser holt. Der Müll sammelt sich automatisch in großen Müllcontainern. Wenn sie voll sind, sendet das Schiff ein Signal, und die Container werden abgeholt. Ziel ist es, den Plastikabfall schon abzufangen, bevor er überhaupt ins Meer gelangen kann.
Reinigungsschiff „SeeKuh“ macht die maritime Müllabfuhr
Vor wenigen Wochen bekam The Ocean Cleanup Unterstützung: Das Aachener Startup everwave hat im Juli 2021 mit seiner eigens entwickelten Müllsammelplattform einen ersten Feldversuch in der Weser bei Bremen gestartet. „HiveX“ nutzt ähnlich wie das System von The Ocean Cleanup die natürliche Strömung der Flüsse, um Plastik zu sammeln, und speichert es ebenfalls, bis der Müll zum Festland ab transportiert wird.
Auch der Verein One Earth – One Ocean hat sich der Säuberung der Ozeane verschrieben und ein Konzept für eine „maritime Müllabfuhr“ entwickelt. Mithilfe von Netzen fischt das Reinigungsschiff „SeeKuh“ Plastikmüll aus bis zu zwei Metern Tiefe in Küstengebieten und Mündungsregionen, ein weiteres Schiff, der „SeeElefant“, sortiert und recycelt das Plastik. Pro Fahrt können so bis zu zwei Tonnen Müll ge sammelt werden. Die Maschen des Netzes sind 2,5 Zentimeter groß, sodass kleine Meereslebewesen durch das Netz passen. Größere können dank der geringen Geschwindigkeit entkommen. Die erste „SeeKuh“ war schon in der Ostsee und vor Hongkong im Einsatz. Zukünftig sollen ihre Schwesterschiffe mit Solar und Windenergie betrieben werden.
„Wenn wir große Mengen an Müll absammeln, dann müssen wir unweigerlich auch große Mengen an Biologie absammeln“
Wenn es Mülleimer an Land gibt, warum nicht auch im Meer? Diese Frage stand hinter der Erfindung der „Seabins“. Die Meeresmülleimer werden in Häfen installiert und saugen dort mithilfe einer Pumpe den Müll aus dem Oberflächenwasser an. Andere Initiativen animieren Fischer, Plastik aus dem Meer zu fischen, schicken Taucher zum Meeresgrund, um Müll zu sammeln, oder organisieren große Küstenaufräumaktionen.
Können diese Initiativen die Lösung sein? Der Biologe Lars Gutow, der am Alfred-Wegener-Institut zur Ökologie des Meeresbodens forscht, reagiert zurückhaltend auf die Frage: „Grundsätzlich ist jedes Stück Müll, das aus dem Ozean entnommen wird, gut.“ Doch es gebe mehrere große „Aber“: Der Müll, der am Meeresboden liege, könne nicht entfernt werden, ohne dabei die Ökosysteme zu schädigen. Denn in der Regel würden bei der Reinigung mit Netzen etliche Lebewesen mit heraufgeholt – wie bei den Schleppnetzen der Fischer. Und auch direkt an der Meeresoberfläche gibt es Leben – das sogenannte Neuston bezeichnet die Gesamtheit der dortigen Organismen, über deren Funktion man noch wenig weiß. „Wenn wir große Mengen an Müll absammeln, dann müssen wir unweigerlich auch große Mengen an Biologie absammeln“, sagt Lars Gutow und plädiert für ein verstärktes Müllsammeln in Küstenbereichen oder Flussmündungen. So ließe sich eine Schädigung des Ökosystems begrenzen.
Manche Ökologen und Meeresbiologen warnen ein dringlich davor, überstürzt Plastik aus dem Meer zu fischen, weil der Schaden deutlich größer sein könnte als der Nutzen – und sowieso nur ein Bruchteil des Problems gelöst würde: Der Teil, der am Meeresgrund liegt oder als Mikroplastik im Meer schwimmt, ist bei den derzeitigen technischen Möglichkeiten ohnehin unwiederbringlich verloren. Die Lösung liegt also auf der Hand: Statt innovative Projekte zu entwickeln, wie wir den Müll wieder aus dem Meer holen können, sollten wir dringend daran arbeiten, dass er gar nicht erst hineingelangt.
Dieser Text wurde am 27.09.2021 auf fluter.de unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine nicht-kommerzielle Weiterverwendung unter Namensnennung des*der Urheber*in sowie ohne Bearbeitung.