Nein. Damit könnte das Thema erledigt sein. Nur fragt man sich dann doch, und sei es heimlich: Warum eigentlich nicht? Bevor ich mich mit der bzw. einer möglichen Antwort beschäftige, steht eine weitere Frage im Raum: Was ist das, die perfekte Liebe? Und ich hege den Verdacht, dass die Antwort auf letztere Frage erstere gleich mitbeantwortet.
Also: Was ist das, die perfekte Liebe? Darauf ließe sich philosophisch reagieren, was aber letztlich niemanden ernstlich interessiert. Dann also lebenspraktisch, sprich: Was bedeutet das für mich oder für dich oder sonst jemand? Wenn ich mich betrachte, dann wäre die Antwort im Alter von sechzehn Jahren garantiert anders ausgefallen als mit 40 oder mit 60 Jahren. Aber unabhängig vom Lebensalter hätte ich mir gewünscht, das Fremdsein zusammen mit einer Frau vergessen zu können; die kleinen Reste von Trauer, die im Hintergrund mitschwingen, wenn man aus dem Liebestaumel erwacht und die Hormone sich eingeheimst haben, wozu sie die Evolution bestimmt hat. Dann nämlich war immer noch neben mir die Andere; eine andere mit einer anderen, schwer zugänglichen Lebensgeschichte, mit anderen, gelegentlich befremdenden Interessen, mit anderen Vorlieben und Abneigungen, Wünschen und Visionen. Und irgendwann ging es mehr darum, die Spannung, die sich aus dieser Schere ergab, nicht überhandnehmen zu lassen.
Spätestens in mittleren Jahren habe ich mir ganz nüchtern gewünscht, in mehr als der Hälfte der Fälle zu bestimmten Lebensthemen gemeinsam zu schwingen. Das wäre mir schon ziemlich perfekt erschienen. Aber auch das hat nicht funktioniert. Trotzdem bin ich noch mit derselben Frau zusammen, seit weit über 40 Jahren. Da drängt sich mir der Verdacht auf: Irgendetwas muss da perfekt sein, sonst hätten wir nicht so viel Leben miteinander geteilt. Klar, man könnte auch sagen: Ihr wart zu feig, euch zu trennen. Aber so ist es nicht. Wir sind, auch erotisch, durchaus mal getrennte Wege gegangen, aber das hat uns nicht auseinandergebracht. Immer noch, und vielleicht mehr denn je, verstehen wir uns als Paar.
Vielleicht ist also die menschliche Antwort auf die doch sehr hoch angesetzt Frage: Perfekt ist die Liebe, wenn man sich echt um einander sorgt, wenn die Luft zwischen einem weder kalt ist noch heiß, sondern lind und mit einem gelegentlichen Frühlingsduft oder einem Geruch nach Kartoffelfeuer; das ist dann eine Luft, die man lange mögen kann; perfekt ist die Liebe, wenn man sich berühren kann und es nach so langer Zeit immer noch guttut; wenn man den Blick des anderen auffängt und ohne Worte weiß, was er meint. Perfekt ist die Liebe, wenn man sich für den anderen nicht verbiegen muss und doch respektiert wird in seinem Anderssein. Denn spätestens nach dem verflixten siebenten Jahr war uns klar: Die Hormonsprudel haben sich weitgehend ausgezischt. Wollen wir jetzt das köstliche Getränk ausschütten oder arbeiten wir an der bodenlosen Liebes-Tasse. Allein das gewollt zu haben und immer noch zu wollen, scheint mir schon ziemlich perfekt.
„Ziemlich perfekt“ gefällt mir ohnehin besser als „perfekt“. Perfektes wollen Jugendliche, Diktatoren und Geisteskranke. Erwachsene wissen, dass das Leben – und folglich auch die Liebe – genau betrachtet aus 1.000 Grautönen besteht. 1.000 Grautöne sind vielmehr Reichtum als ein einmaliges Tiefrot. Wobei mir, ehrlich gesagt, das Wort „Rosatöne“ besser gefällt.
Und ein letzter Gedanke: Kann man diese große Frage unabhängig von ihrem Umfeld stellen? Wäre die Antwort außerhalb einer Konsumgesellschaft eine andere? Wie fiele die Antwort in Krieg, Armut oder Not aus? Ist nicht die Antwort die gültigste, die unter allen Umständen standhalten könnte, auch den widrigsten?