Die Rückkehr tausender auf der ganzen Welt verstreuter afrikanischer Kunstwerke ist ein brisantes Thema. Man muss wissen, dass es im damaligen Afrika wie auch im Rest der Welt Kriegsbeuten gab, jedoch nur wenige historische Quellen zu den Werken damaliger afrikanischer Museen existieren.
Die Sieger haben die Besiegten zusammen mit ihren Mythen und ihren Religionen eingenommen, wie das Wasser oder das heilige Feuer sind sie nicht ausgelöscht, sondern einverleibt worden. So findet sich zum Beispiel Shango, eine Gottheit der Yoruba, bei anderen Völkern wieder. Man kann also eher von Kriegen um Territorien als von Religionskriegen sprechen. Wie bei allen Völkern auf der Welt hat auch Afrika seine Ursprungsmythen mit Ritualen, zu denen Kultobjekte gehören und die zu tausenden vorhanden sind. So existierten zum Beispiel lebensgroße Statuen, die über die Felder oder die Dörfer wachten und die zu den Initiierten gehörten.
Anfangs sahen die westlichen Eroberer in diesen Werken lediglich heidnische Darstellungen, doch sehr schnell waren die britischen Soldaten überwältigt von ihrer Schönheit – wie im Fall der Benin-Bronzen (Benin war die Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs im Süden des heutigen Nigeria). Sie konnten nicht glauben, dass es sich dabei tatsächlich um afrikanische Werke handelte. Jedoch änderte sich dies schnell, je mehr Werke gestohlen und in Museen des Westens gebracht wurden. Bei all dem zeigte sich ein großer Widerspruch: einerseits war die Anthropologie bestrebt, die Überlegenheit der weißen Rasse gegenüber den afrikanischen Völkern zu zeigen, andererseits veranlassten diese Werke von großer Schönheit die Kolonialherren dazu, sie zu stehlen, um damit Geld zu verdienen.
Laut einiger HistorikerInnen datieren einige der Werke aus der Zeit nach der Konvertierung zu den Religionen des Westens und der arabischen Welt und zeigen eine Tendenz zum Synkretismus. So hat zum Beispiel König BaKongo Nzinga Mvuemba dem Vatikan ein Kruzifix mit einem schwarzen Jesus geschenkt. In Timbuktu wurden mehrere Exemplare des Koran gefunden, die mit Materialien aus der Mande-Region geschrieben wurden sowie auch andere Objekte, die eine lokale Interpretation des Islam veranschaulichen.
Ein Kampf mit zahlreichen Protagonisten
Der Kampf um die Rückgabe der gestohlenen Kunstwerke an die afrikanischen Länder ist nicht neu und besteht aus dem Zusammenwirken verschiedener Protagonisten: der Diaspora, den afrikanischen HistorikerInnen und AnthropologInnen, den VertreterInnen des Panafrikanismus, Staaten wie Nigeria, Senegal, Elfenbeinküste, Äthiopien, Tschad, Mali und Madagaskar, den KünstlerInnen sowie den NGOs, die sich für die Rückgabe einsetzen, nachdem man sich des immensen Erbes des Kontinents bewusst geworden war. An ihrer Seite stehen westliche und arabische AnthropologInnen, die sich moralisch verpflichtet fühlten, auf diese Problematik aufmerksam zu machen, ebenso wie junge EuropäerInnen und US-AmerikanerInnen, die 2020 als Reaktion auf den brutalen Mord an George Floyd damit begonnen haben, Denkmäler von Kolonialisten und Sklavenhaltern als Symbole einer gewaltsamen, abgeschlossenen und verfälschten Vergangenheit zu zerstören. Das bedeutet nicht das Vergessen, sondern das Neuschreiben dieser dunklen Seite der Geschichte und die Aufdeckung der Wahrheit, damit sich die Dinge ändern können und die begangenen Fehler sich nicht wiederholen.
Warum die Rückgabe wichtig ist
Es ist wichtig für die AfrikanerInnen, dieses immense Erbe wiederzuerlangen, denn es repräsentiert ihre Zivilisation. Es ermöglicht, das fehlende Teil zu ergänzen, das seit Jahrhunderten verborgen war. Wir werden damit in der Lage sein, die Strukturen der Gesellschaft und die Rolle, die jede und jeder darin innehat, besser zu verstehen. Die Wiedererlangung dieser Schätze könnte auch mit der Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze einhergehen. Einige der Werke sind wahre „Objekte“, wie der Schädel des kongolesischen Anführers Lusinga Iwa Ng’ombe, der 1884 während eines blutigen Aufstands gegen König Leopold II enthauptet und anschließend in ein belgisches Museum gebracht wurde. Ein anderes Beispiel ist der Galamantel und die goldene Krone des äthiopischen Kaisers Theodor, die nach seiner Niederlage und seinem Tod zusammen mit zahlreichen anderen Stücken und Möbeln in Museen, Bibliotheken und privaten Sammlungen in England gelandet sind. Zu den 26 Werken, die als „Schätze von Abomey“ bekannt wurden, von der französischen Armee gestohlen und 2021 nach Benin zurückgegeben wurden, gehören hölzerne Statuen von menschlicher Gestalt, die auf die Schlachtfelder, Königsthrone und heilige Altare gebracht wurden. Und schließlich zählen dazu auch verschiedene traditionelle Werkzeuge, rituelle Masken, Artefakte, Werke, die aktuell in den Museen identifiziert werden sowie viele andere, die in die Hände privater Sammler gegangen sind.
Zur Veranschaulichung der Enteignungen während des Kolonialismus genügen einige Zahlen: man schätzt, dass sich zwischen 85 und 90% des künstlerischen Erbes Afrikas außerhalb des Kontinents befinden. Laut Schätzung einiger Experten befinden sich noch mehr als 90.000 Kunstwerke in Frankreich, ohne die Werke von Bakongo zu zählen, die von Portugal gestohlen wurden sowie weitere, die im Vatikan aufbewahrt werden.
Wo stehen wir?
Während einer internationalen Konferenz in Südafrika im Jahr 2000 forderte Nelson Mandela, dass die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt werden müsse. Die Verurteilung dieser Gräueltaten durch den Westen reichte allerdings nicht bis zum Aufgreifen der Problematik der Rückgaben und der Entschädigung, auf die die afrikanischen Länder jedes Recht haben, obwohl Frankreich, Deutschland und Großbritannien einige kleine Schritte in diese Richtung unternommen haben. Es gibt jedoch noch viel zu tun, und angefangen von Zeremonien zur historischen Anerkennung, Vergebung und Aussöhnung wäre ein solcher Akt der Zivilisation auch von Nutzen, damit die jungen AfrikanerInnen besser den immensen Wert ihres künstlerischen Erbes erfassen können.
Weitere Artikel in der Reihe „Afrika, eine Geschichte zum Wiederentdecken“ sind hier zu finden.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!