SOS Mitmensch hat erstmals einen umfassenden Prüfbericht über die Probleme und Missstände sowie den laufenden Reformprozess bei der MA 35* erstellt. Fazit: Die bisherigen Reformschritte seien „bei weitem“ nicht ausreichend, um „die erdrückenden Probleme, Verzögerungen und Schikanen“ zu lösen, so die Menschenrechtsorganisation.
„Die Wiener Stadtregierung hat bei der MA 35 zweifelsohne kleine Verbesserungen umgesetzt, aber die Probleme und Missstände sind weiterhin enorm. Unerträgliche Wartezeiten, unzureichende oder gänzlich fehlende Kommunikation und teilweise auch Fehlverhalten von Mitarbeiter*innen sind noch immer an der Tagesordnung“, so Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Laut Pollak sei bei vielen Antragsteller*innen die Angst groß, monate- oder sogar jahrelang auf wichtige Bescheide warten und dadurch schwerwiegende Konsequenzen für das Arbeits- und Familienleben, die Teilhabe und die Aufenthaltssicherheit in Kauf nehmen zu müssen.
Die Rechtsanwältin Julia Ecker fasst ihre bisherigen Erfahrungen mit der MA 35 so zusammen: „Meine Erfahrungen sind kurz gesagt durchwachsen. Vor einiger Zeit habe ich im Scherz einmal gesagt: ‚Bei der MA 35 kann wirklich alles passieren, aber ganz oft passiert auch einfach nichts.‘ Und tatsächlich kann man diese Einschätzung leider auch weiterhin noch aufrechterhalten.“ Eine betroffene Person bringt das Unbehagen gegenüber der Behörde folgendermaßen auf den Punkt: „Von der MA 35 wünsche ich mir, nie wieder etwas mit ihr zu tun zu haben. Das ist ein zusätzlicher Grund, warum ich die Staatsbürgerschaft beantrage, weil ich dann als Staatsbürger*in keinen Schritt mehr in die Behörde setzen muss.“
SOS Mitmensch hat für den Prüfbericht insgesamt 22 Expert*innen, Betroffene und MA 35-Verantwortliche befragt. Der Bericht beleuchtet sowohl die Missstände in der Behörde als auch den laufenden Reformprozess. Letzterer sei noch nicht abgeschlossen, daher handle es sich um einen Zwischenbericht, so SOS Mitmensch. Insgesamt identifiziert der Bericht fünfzehn Problembereiche in der MA 35, die zu erheblichen Schwierigkeiten für Antragsteller*innen führen. Dazu zählen unter anderem Wartezeiten von bis zu zwei Jahren bis zum effektiven Start eines Staatsbürgerschaftsverfahrens, die mangelhafte Kommunikation der Behörde, der Verlust von Dokumenten, die unübersichtliche und nicht barrierefreie Online-Aufbereitung von Informationen sowie unprofessionelles und als diskriminierend empfundenes Verhalten einzelner Mitarbeiter*innen.
Kleine Fortschritte durch den Reformprozess habe es laut SOS Mitmensch nur in Teilbereichen gegeben. So seien 50 zusätzliche Mitarbeiter*innen eingestellt, ein Digitalisierungsprozess gestartet und der Behörde durch eine Telefon-Hotline ein freundlicheres Gesicht verpasst worden. Doch zugleich habe sich die Wartezeit auf Termine weiter erhöht und konkrete fallbezogene Auskünfte zu erhalten sei mit der ausgelagerten Telefon-Hotline teilweise sogar noch schwieriger als zuvor, erklärt Maiko Sakurai, die für SOS Mitmensch den Prüfbericht koordiniert hat.
Rechtsanwältin Ecker zur weiterhin unbefriedigenden Kommunikationssituation: „Früher war es so, dass man häufig keine Informationen bekommen hat – nun bekomme ich weiterhin keine Information, dies aber auf eine freundlichere Art und Weise. Wir haben zwar eine Hotline, aber erreichen in den seltensten Fällen jemanden, der eine Auskunft zu einem anhängigen Verfahren geben kann.“ Ein*e Antragsteller*in beschreibt das Kommunikationsproblem mit der Behörde so: „Da ist sozusagen einfach eine Wand und man hat keine Ansprechperson und kann mit niemandem dort reden. Ich finde, man wird nicht wie ein Mensch behandelt, weil es normal sein sollte, dass man mit der anderen Seite sprechen kann.“
Der Bericht von SOS Mitmensch übt aber nicht nur Kritik an der Behörde, sondern kritisiert auch das schwierige gesetzliche Umfeld. „Die restriktive und komplizierte österreichische Gesetzeslage stellt im internationalen Vergleich extrem hohe Anforderungen sowohl an Betroffene als auch an die Behördenverfahren. Der Anspruch einer Behörde muss jedoch sein, aus einer schwierigen Gesetzeslage das Beste zu machen und nicht Klient*innen zum Verzweifeln zu bringen“, betont die Menschenrechtsorganisation.
Die Beratungsstelle „Ehe ohne Grenzen“ kritisiert den Umgang der MA 35 mit Härtefällen: „Das Recht auf Privat- und Familienleben ist einer der Grundpfeiler der europäischen Gemeinschaft. Trotz der gesetzlichen Spielräume, Artikel 8 EMRK in Härtefällen anzuwenden, werden diese von der MA 35 jedoch kaum ausgeschöpft. Restriktive innerstaatliche Sicherheitskonzepte wiegen für die Behörde schwerer als das Recht auf Familienleben.“
Rechtsanwältin Ecker anerkennt die Verbesserungsbemühungen der Leitung der MA 35, aber sieht dennoch viel Luft nach oben: „Ich empfinde die Bemühungen als sehr ernsthaft und aufrichtig, aber dennoch habe ich den Eindruck, dass noch vieles getan werden müsste.“
SOS Mitmensch nennt insgesamt fünfzehn Forderungen zur Behebung der Missstände bei der MA 35. Gefordert werden etwa die ausreichende personelle Ausstattung der Behörde, fallbezogene Auskünfte, ein effizientes Dokumentenmanagement, ein übersichtlicher und barrierefreier Online-Auftritt sowie Anti-Diskriminierungs-Schulungen für Mitarbeiter*innen. „Unser Bericht zeigt klar, dass minimalistische Reformschritte angesichts der Fülle an Problemen und Missständen nicht genug sind. Die MA 35 muss umfassend neu aufgestellt werden, um wirklich zu funktionieren“, erklärt SOS Mitmensch-Projektleiterin Sakurai.
Der gesamte Prüfbericht befindet sich auf der Webseite von SOS Mitmensch: https://www.sosmitmensch.at/bericht-ueber-missstaende-bei-ma-35
*Die MA 35 ist das Magistrat für Einwanderung und Staatsbürgerschaft.