Nach fast 30-jährigem Bestehen hatte die russisch geführte Militärallianz „OVKS“ mit ihrem ersten Einsatz vor knapp einem Jahr international von sich reden gemacht. Im Rahmen einer Friedensmission hat das Bündnis maßgeblich dazu beigetragen, die blutigen Ausschreitungen in Kasachstan zu beenden und die konstitutionelle Ordnung des Landes wiederherzustellen. Ungeachtet dieses Erfolgs kämpft die OVKS nach wie vor mit enormen Problemen, die die Einheit der Partner zu gefährden scheinen.
Von Alexander Männer
Vor knapp einem Jahr hatte das von Russland geführte Militärbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) maßgeblich zur Niederschlagung der blutigen Ausschreitungen in Kasachstan beigetragen und damit seinen ersten Einsatz absolviert. Nur dank der Unterstützung der Bündnispartner waren die Militär- und Sicherheitskräfte des zentralasiatischen Landes in der Lage gewesen, eine weitaus gefährlichere Eskalation zu verhindern und die konstitutionelle Ordnung wiederherzustellen.
Für Moskau selbst gilt die OVKS deshalb zweifellos als ein zentraler Aspekt der russischen Sicherheitspolitik, die geprägt ist durch das Erbe der Sowjetunion und den Status als Militär- und Atommacht. Vor allem der Untergang der UdSSR läutete für die Russen die größte geopolitische Katastrophe der jüngsten Geschichte ein, deren Konsequenzen sie nach wie vor nicht überwunden haben. Denn der Zerfall des einstigen eng verflochtenen Staates hat nicht nur die jahrhundertealten Grundlagen für wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Beziehungen zerstört, sondern brachte vor allem schwerwiegende sicherheitspolitischen Herausforderungen, und zwar für die meisten Teilrepubliken.
Die Folgen davon waren Bürgerkriege, territoriale und ethnische Konflikte sowie der soziale und wirtschaftliche Niedergang, was den Nährboden für die Banden-Kriminalität der 1990er Jahre sowie den Terrorismus bereitete. Und unmittelbar darin begründet sich der aus Moskaus Sicht notwendige Kurs auf die Reintegration des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion. Diese ist für die Russen auch deshalb wichtig, weil sie künftig als Basis für ein noch größeres Kooperationsformat dienen und Russland und seine Partner mit asiatischen Ländern wie China oder Indien langfristig zu vereinen soll.
Funktion der OVKS
Um seine weltpolitischen Ziele angesichts der zunehmenden Herausforderungen auf der globalen Bühne zu erreichen, ist Russland zudem auf ein sicheres Umfeld angewiesen. Deshalb will es sowohl die bestehenden Spannungen und Konfliktherde in den angrenzenden Regionen beseitigen und neue verhindern, als auch gemeinsame sicherheitspolitische Interessen mit anderen Staaten finden und weiterentwickeln.
Diesbezüglich setzt die russische Führung große Hoffnungen in die militärische und sicherheitspolitische Partnerschaft im Rahmen des 1992 gegründeten Militärbündnisses OVKS, das heute als eine wichtige Grundlage für diverse Integrationsprozesse auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR gilt. Gemeinsam mit Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan kooperiert man unter anderem im militärischen Bereich sowie bei der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus und der Bekämpfung des Drogenhandels.
Der Einflussbereich der OVKS ist vor allem aus der zentralasiatischen Region, in die Moskau auch weitere Staaten einbeziehen will. Dort stationiert die OVKS auch ihre 2009 geschaffene „schnellen Eingreiftruppen“, die 20.000 Soldaten zählen und im Grunde die Streitkräfte der Allianz bilden.
Ihre erste und bis heute einzige offizielle Mission hatte die OVKS zwischen dem 6. und 10. Januar des vergangenen Jahres durchgeführt. Damals verhalf ein etwa 5.000 Mann starkes Kontingent der Regierung Kasachstans, die Sicherheitslage im Land angesichts der Gewalt unter Kontrolle zu bringen und die konstitutionelle Ordnung wiederherzustellen.
Dies verdeutlicht das Potential der OVKS als in der zentralasiatischen Region und auch die Tatsache, dass dieses Bündnis für die Sicherheit und das Überleben eines ihrer Mitglieder von entscheidender Bedeutung sein kann. Dennoch steht diese Allianz weiterhin vor enormen Herausforderungen, die es früher oder später zu bewältigen gilt. Dazu zählen übrigens nicht nur die äußeren Einwirkungen, wie etwa der Bergkarabach-Konflikt oder der wachsende Einfluss der USA und der Türkei in Zentralasien. Viel schwerer scheinen die internen Streitigkeiten und Unklarheiten in der OVKS zu wiegen.
Interne Herausforderungen
Wie die Journalistin Silvia Stöber in einem Bericht der Tagesschau anführt, siehe die OVKS-Partnerschaft zwar unter anderem einen militärischen Beistand vor, allerding werde diese Option in erster Linie unter dem Blickwinkel der jeweiligen Interessen der Mitglieder in Betracht gezogen. Wobei diese Vereinbarungen, die im Artikel 4 der OVKS-Charta festgeschrieben sind, ähnliche Mechanismen umfassen, wie etwa die Verpflichtungen bei der Nordatlantik-Allianz: „Im Falle einer Aggression (eines bewaffneten Angriffs, der die Sicherheit, die Stabilität, die territoriale Integrität und die Souveränität bedroht) gegen einen Mitgliedstaat leisten alle anderen Mitgliedstaaten auf Ersuchen dieses Mitgliedstaates diesem unverzüglich die erforderliche Hilfe, auch militärischer Art.“
Im Falle Armeniens jedoch, das im Frühjahr 2021 angesichts der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan im Bergkarabach-Konflikt um Beistand gebeten hatte, sind weder Russland noch eines der anderen Mitgliedsländer an der Seite der Armenier militärisch aktiv geworden. Das liegt unter anderem daran, dass Aserbaidschan seinerseits gute Beziehungen zu Moskau, Minsk & Co. unterhält und dass niemand daran etwas ändern will, zum Leidwesen Eriwans.
Dessen Führung missfällt es natürlich und darum äußerte sie im Dezember öffentlich den Unmut über Russland. Der armenische Premier Nikol Paschinjan warf den russischen OVKS-Friedenstruppen Angaben der Zeitung „Vzgljad“ zufolge vor, ihre Aufgaben in Bergkarabach nicht zu erfüllen. Seiner Ansicht nach verstößt es de facto gegen das trilaterale Abkommen zwischen Armenien, Russland und Aserbaidschan vom November 2020.
Moskau wies diese Vorwurf zuerück. „Die russischen Friedenstruppen tun alles in ihrer Macht Stehende, um in den Gebieten, in denen sie tätig sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und sie handeln ausschließlich nach dem Geist und dem Wortlaut der Dokumente, die zwischen den Parteien unterzeichnet wurden“, teilte der Kreml-Pressesprecher Dmitri Peskow mit.
Als ein weiteres internes Problem der OVKS, dass es bei der NATO übrigens nicht gibt, gilt die Tatsache, dass die OVKS-Partner – mit der Ausnahme Russlands – ihre Verantwortung nur für diejenigen Region teilen (wollen), in denen sie präsent sind und in denen ihre Interessen liegen. Diese Staaten betrachten die OVKS auch als eine Art Verpflichtung Moskaus, sie vor inneren Konflikten zu schützen, was etwa der besagte Einsatz in Kasachstan gezeigt hat. Die zentralasiatischen Mitglieder sind in hohem Maße auch daran interessiert, dass die OVKS vor allem im Kampf gegen den militanten Islamismus sowie bei der Sicherung der Grenzen zu Afghanistans aushilft. Und auch Armenien hat – aufgrund der Konfrontation mit Aserbaidschan und der Türkei – ein großes Interesse an der Sicherung seiner Grenzen.
Abgesehen davon gibt es noch zahlreiche andere Streitfragen innerhalb der Allianz, die in erster mit der Hilfe Russlands gelöst wurden – zuletzt auch im Konflikt zwischen Tadschikistan und Kirgisistan. Im vergangenen September war es an der Grenze zwischen diese beiden Ex-Sowjetrepubliken zu militärischen Zusammenstößen gekommen, bei denen Medien zufolge zahlreiche Menschen getötet wurden. Als Hauptgrund für die Auseinandersetzung zwischen Bischkek und Duschanbe gilt die Verteilung von Wasserressourcen in der Grenzregion. Vor allem das Fehlen einer klaren Abgrenzung hat zu Streitigkeiten über die Nutzung von Land und Wasser geführt, wobei es häufig zu Zusammenstößen zwischen den Grenzschutzbeamten der beiden Länder und zu Kämpfen zwischen den nach der Auflösung der UdSSR getrennten Gemeinden kam.
Es ist fraglich, ob der tadschikisch-kirgisische Konflikt endgültig beigelegt wurde. Klar ist jedoch, dass die OVKS einen immensen Imageschaden in dieser Angelegenheit davontrug. Nicht zuletzt wegen den Berichten, wonach Kirgisistan den Wunsch geäußert haben soll, die Organisation wegen ihrer angeblichen Untätigkeit zu verlassen.