Die Sache, um die es geht, ist ein Stück kapitalistischer Alltagspolitik: die per Gesetz verfügte Räumung eines Dorfs für den Braunkohletagebau.
Gleichzeitig ist sie ein Beispiel dafür, wie dieser Alltag unter grüner Herrschaft funktioniert. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Note Beeindruckend! Maximale Punktzahl für die Politdarsteller in Grün, die in der Sache kompromisslos das durchsetzen, was der Standort braucht, und es zugleich schaffen, ihre Taten in bester Manier „weisszuwaschen“, so dass die stets grossgeschriebenen WERTE noch als Produktivkraft, als „soft power“, beim Baggern und Räumen wirken. Im Einzelnen.
Eine grüne Ministerin
Mona Neubaur ist die erste grüne NRW-Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie. Als solche hat sie die Aufgabe, die benötigte Energie für die Wirtschaft, d.h. vor allem für Industrie, bereit zu stellen. Dafür soll – Klimawandel hin, Umweltschutz her – im rheinischen Revier weiter Braunkohle abgebaggert werden; der „Kohledeal“ vom Oktober 2022 sieht dazu vor, dass das bis 2030 weiter gehen und dafür ein weiteres Dorf, Lützerath, geräumt und abgebaggert wird, weil sich gerade hier die Kohle sehr rentabel gewinnen lässt.[1] Nach Auskunft der Regierenden ist das „rechtsstaatlich“ final beschlossen und deshalb umzusetzen, auch wenn eine neue Studie des DIW zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es dafür weder „eine energiepolitische noch eine klimapolitische Rechtfertigung gibt“. So weit, so normal: Man bestellt sich Gutachten, benützt die passenden, ignoriert die unpassenden…
Weil Mona Neubaur aber eine Grüne ist, schafft sie es, die 280 Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe, die bis 2030 aus der rheinischen Landschaft gebaggert und anschliessend verstromt werden sollen, im Sinne höherer Werte umzudeuten. Ihre Empfehlung an Klimaschützer lautet, die Sache so zu sehen: Man habe hier nicht 280 Millionen Tonnen mehr Braunkohle vor sich, die in den nächsten Jahren verheizt werden und entsprechende CO2-Emissionen verursachen, sondern 280 Millionen Tonnen weniger als ursprünglich mal geplant und deshalb ist das, was da in den nächsten Jahren an Baggern und Verheizen passiert, ein – Zitat Neubaur in der „Welt“ – „grosser klimapolitischer Erfolg und auch ein Erfolg der Klimaschutzbewegung.“
So geht der Umgang mit der eigenen Wählerbasis, von der man weiss, dass sie beim Kreuzchenmachen auf was anderes gehofft hat. Grossartig, wie die der Sache nach hundertprozentig konträre Praxis ungerührt als Umsetzung der Wahlversprechen zurechtgebogen wird.
Weiter im Text: „Dass die Kohle unterhalb von Lützerath kurzfristig für die Verstromung gebraucht wird, ist schmerzlich, aber auch rechtlich und durch Fachgutachten eindeutig geklärt. Unser Ziel bleibt die Transformation hin zu einer klimaneutralen Produktionsweise, und das ohne Wohlstandsbrüche. (…) Wir müssen den Beschäftigten von RWE Respekt zollen und dafür danken, dass wir in der jetzigen Übergangsphase die notwendigen Stromkapazitäten kurzfristig in den Energiemarkt bekommen!“
Hier kommt die grüne Spezialität mit voller Wucht zum Einsatz: Stets kommt als erstes „die Realität“ mit einem ganz grossen „Leider, leider, leider“; nicht selten verbunden mit Seitenhieben auf die vorgefundene, von anderen zu verantwortende „Lage“. Das „schmerzt“ sehr, Zerknirschung, Dackelblick, Stirn in Falten. Es folgt das mit festen Worten vorgetragene Bekenntnis zu den gemeinsamen Fernzielen im Klimaschutz, dem Ideal, dem man weiterhin mit vollem Herzen verpflichtet ist. Dann, wieder relativierend, der „Respekt“ vor den vielen gesellschaftlichen Interessen und Sachzwängen (wie dem „Energiemarkt“), derentwegen man sich nun mal nicht 1:1 durchsetzen könne: „Wohlstandsverluste“ drohen nämlich, als deren Sinnbild in diesem Fall die RWE-Arbeiter mit ihren national wichtigen Arbeitsplätzen aufmarschieren, mit denen indirekt auch noch die „Versorgungskrise“ „dank Putin“ angespielt wird – all das natürlich wesentlich geschickter als über die Gewinne von RWE zu sprechen, die sich laut Oxfam in 2022 verdoppelt haben.
Wer jetzt noch keine Einsicht zeigt und verstockt auf irgendeinem Schnee von gestern besteht, kann nach so viel vorbildlicher PR keine weitere Unterredung erwarten: „Am 12. Januar besetzten Aktivisten das Grünen-Büro in Düsseldorf. Sie wollten ein Gespräch mit NRW–Wirtschaftsministerin Mona Neubaur über ihr Versprechen, dass Lützerath bestehen bleibe, erzwingen. Neubaur erschien nicht, dafür in den frühen Morgenstunden am 13. Januar ein grosses Polizeiaufgebot, das das Büro kurzerhand räumte.“ (Terz, Düsseldorfer Stattzeitung, Februarausgabe)
Die grüne Ministerin nimmt also die Hilfe der Polizei in Anspruch, um zu verhindern, dass sie mit den Protestierenden reden muss. Gleichzeitig lässt sie verkünden weiter, „gewaltfreien und kreativen“ Protest unterstützen. Dieser Frau ist offenbar nix zu peinlich (und ihrer Anhängerschaft anscheinend auch nicht). Aber sie muss sich ja auch „zeitgleich um die Zukunftschancen dieser Region kümmern, die zwischen den Hochschulstandorten Aachen, Düsseldorf und Köln mit vielen starken Unternehmen traumhaft gelegen ist.“ Ja klar, liebe Mona, zwischen „Hochschulstandorten“ und „vielen starken Unternehmen“ ist eine Region wirklich traumhaft gelegen, schöner könnte es gar nicht sein!
Ein grüner Polizeichef
Federführend beim Einsatz der Polizei in Lützerath ist Dirk Weinspach, Aachener Polizeipräsident und ebenfalls Grüner. Auch er ist im Herzen selbstverständlich ein Klimaschützer, und zwar einer mit grossen Sorgen. Zitat: „Zuallererst ist es mir wichtig festzuhalten, dass ich grosse Achtung vor dem Einsatz derer habe, die sich an dieser Petition beteiligt haben, vor den über 32.000 Unterstützerinnen und Unterstützern und allen, die sich im Klimaschutz engagieren. Ich teile deren Sorge vor einer weiteren Erderwärmung und vor den Folgen, die es haben wird, wenn es nicht gelingt, das völkerrechtlich vereinbarte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten“.
Da aber nicht die Polizei, sondern die zuständigen Behörden die Entscheidungen treffen, muss jetzt eben – wir können es uns schon denken: leider, leider, leider und mit viel „Achtung vor dem Einsatz“ der Klimaschützer! – geräumt werden. „Dabei ist für uns das Wichtigste, dass die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet wird.“ Wenn das Bedauern des Polizeichefs vielleicht sogar ehrlich gemeint war, ist es dieser Satz gewiss nicht. Denn natürlich ist der Zweck des Polizeieinsatzes nicht die Gewährleistung der „Sicherheit aller Beteiligten“, sondern die staatlich verfügte Räumung des Geländes. Und dabei setzt die Polizei die Gewaltmittel ein, die ihr Chef für geboten hält, und kalkuliert damit selbstverständlich auch Verletzungen ein – die in aller staatlichen Nüchternheit so genannten „Kollateralschäden“. So rechnet der grüne Staatsdiener und setzt es dann „professionell“ durch – über die Etappen berichtet anschaulich die Süddeutsche Zeitung.
Zehn bis fünfzehn bürgerkriegsmässig ausgerüstete Hundertschaften aus 14 Bundesländern räumen dann seit dem Morgen des 11.1. im Schichtbetrieb 24/7 das Dorf. Die Polizei setzt offenbar auf eine riesige zahlenmässige Überlegenheit, mit der die Besetzer nicht gerechnet haben. Über das Vorgehen berichtet die Düsseldorfer Stattzeitung Terz in ihrer Februarausgabe: „Die Polizeiführung mit ihrer Übermacht an Einsatzkräften hatte jedoch auch ihr Konzept. In kleinen Gruppen sprachen sie einzelne Dorfbesetzer an, klärten sie über die Rechtslage auf und begleiteten sie mit der Drohung, bei Weigerung, das Gelände zu verlassen, Gewalt anzuwenden, hinaus aus dem Dorf.“
Mit anderen Worten: Die Leute, die sich im Dorf aufhalten, werden vor die Wahl gestellt, aufzugeben oder eine Anzeige wegen Landfriedensbruch zu kassieren; wer sich weigert, hat darüber hinaus erst mal mit unmittelbarer Gewaltanwendung durch die massiv ausgerüsteten Polizisten zu rechnen.
Das sieht dann für Dirk Weinspach so aus (Tagesthemen vom 11.1.23): „Überwiegend ist es friedlich verlaufen, über den Tagesverlauf. Darüber bin ich froh und was mich besonders befriedigt, dass über 200 Besetzerinnen und Besetzer das Angebot genutzt haben, hier freiwillig und ohne polizeiliche Massnahmen den Einsatzraum zu verlassen.“
Der Mann hat Humor. „Friedlich“ und „freiwillig“ – das ist wirklich spassig angesichts der polizeilichen Machtdemonstration, die er hat auffahren lassen. Der Aufmarsch seiner gesammelten Polizeikräfte zählt für ihn offenbar nicht als „Massnahme“. Und von Einschüchterung kann bei Tausenden schwer ausgerüsteten Polizisten gegen ein paar Hundert Jugendliche erst recht nicht die Rede sein – so etwas können Grüne nur in den schlimmen „autoritären Regimen“ sehen, aber niemals in unserer bis an die Zähne bewaffneten „wertebasierten“ Demokratie.
Weinspach gibt sich insofern „persönlich sehr befriedigt“ angesichts des Wirkens seiner Deeskalationsstrategie durch eine ungeheure polizeiliche Übermacht, registriert „lediglich“ 124 Festnahmen mit Anzeigen wegen Landfriedensbruch und gibt höchstpersönlich vor den Kameras eine perfekt gegenderte Stellungnahme ab. Das Dorf ist so gut wie geräumt, die Häuser sind schon abgerissen und RWE verhindert mit schnell gebauten Zäunen, dass nochmal jemand aufs Gelände kommt.
Am Samstag verdirbt die Demonstration mit mehr als 35.000 Teilnehmern (die Polizei will allen Ernstes 8.000 gezählt haben! soviel zu Polizeiberichten als „privilegierter Quelle“ für Journalisten) die tolle Bilanz ein wenig. Das macht aber nichts, weil sich daran gleich wieder die gute alte Debatte über die schreckliche „Gewalt“ aufziehen lässt. Damit ist natürlich nicht die Staatsgewalt mit ihren Hundertschaften samt schwerem Gerät gemeint, sondern die „gewaltbereiten Protestierer“, die es gewagt haben, von der vorgeschriebenen Route abzuweichen. Sie „mussten“ mit Polizeiknüppel und Pfefferspray von weiteren Straftaten abgehalten und auch vor Unfällen „an der Abbruchkante“ geschützt werden – in ihrem eigenen Interesse natürlich!
Fazit
Die Staatsgewalt in Grün hat in Lützerath demonstriert, dass sie „es“ kann. Den etwas heiklen Fall dieses „Symbols“ der Klimabewegung, an dem diese zeigen will, wie wenig ernst es Deutschland mit seiner Klimapolitik meint, hat das grüne Duo geschmeidig bewältigt – und das vermutlich durchaus besser als es andere (bei der Klima-Bewegung verhasste) Figuren aus dem liberalen Lager oder von der Christenpartei gekonnt hätten.
Mit ihren ausgereiften PR-Techniken – der schmerzhaften Abwägung von Idealen und Realität, der Äusserung von ganz viel Respekt vor allen betroffenen Interessen, der unverfrorenen Berufung auf das Recht (das sie dauernd ändern) als fixe Grösse usw. – beanspruchen die grünen Staatsfunktionäre in von keinem Zweifel angekränkelter Selbstgerechtigkeit, ihre Wählerbasis bei der Stange zu halten.
Sie lassen den Protest gegen die Durchsetzung der von ihnen ausgemachten Staatsnotwendigkeiten gewaltsam wegräumen und fordern gleichzeitig dazu auf, „gewaltfrei und kreativ“ weiter zu protestieren. Wow! – und Frage an die grünen Wähler, auf wie viel dreiste Heuchelei sie auch in Zukunft noch reinfallen wollen…
PS: Die Mainstream-Medien machen sich wie gewohnt zum kompetenten Helfer bei der Sortierung des Klimaprotestes. Sie behandeln die hehren Anliegen der jugendlichen Klimaschützer wesentlich wohlwollender als manch andere Proteste: Klimaschutz, Rettung der Menschheit und des Planeten – das sind Ziele, die in Ordnung gehen und dem deutschen Führungsanspruch gut zu Gesicht stehen. Dass man dafür demonstriert, auch. Spätestens nach der (erlaubten) Demonstration müssen die Protestierer allerdings auch nach Hause gehen und sich den rechtsstaatlich angeordneten Massnahmen beugen.
Das erwartet man in den deutschen Redaktionen einfach. Wer sich dem nicht beugt und etwa die Klimarettung so ernst nimmt, dass er sich mit erzwungenen Braunkohletagebau unter grüner Regie nicht abfinden will, gehört für sie dann auch sehr schnell zu den „gewaltbereiten Chaoten“, die zurecht die Härte eines Polizeiknüppels oder einer Strafanzeige zu spüren und dann natürlich auch eine ziemlich schlechte Presse bekommen (Tagesthemen vom 11.1.23 / Anne Will vom 15.1.23).
PPS: Die Klimaschützer, die am Samstag noch einmal in grosser Zahl demonstriert haben, könnten an Lützerath eine Menge lernen. Über ihre eigene Rolle als Wähler_innen in einer Demokratie zum Beispiel, deren grüne Repräsentanten keinen Zweifel daran lassen, dass sie die deutsche Staatsräson und die Interessen ihrer Profiteure mit aller (Polizei)Gewalt durchzusetzen bereit sind. Darüber, dass grüner Kapitalismus eben grüner Kapitalismus und grüne Herrschaft vor allem Herrschaft in grün ist.
Dafür müssten sie sich allerdings zunächst von ihrem Lieblings-Gedanken verabschieden, dass es sich ein ums andere Mal um staatliches Versagen handelt, wenn ihre Anliegen unter die Räder ihrer geliebten Herrschaft kommen…
Renate Dillmann
Fussnoten:
[1] Der Energiekonzern RWE hat sich auf diesen Vorschlag eingelassen, weil steigende CO2-Preise die Profitabilität bereits vor 2030 gefährden können. https://www.wwf.de/2023/januar/luetzerath-neuer-tiefpunkt-in-sachen-klimaschutz