Deutschland und andere NATO-Staaten stellen Kiew zwei Panzerbataillone mit Kampf-, Schützenpanzern und mehr zur Verfügung. Damit operiert künftig eine NATO-Panzertruppe in der Ukraine.
Mit der Entscheidung, Kiew westliche Kampfpanzer zu liefern, tritt faktisch eine von ukrainischen Militärs gesteuerte NATO-Panzertruppe in den Ukraine-Krieg ein. Kanzler Olaf Scholz hat die Entsendung von 14 Leopard 2A6 zugesagt, eines der modernsten Modelle. Gemeinsam mit Verbündeten werde man „rasch zwei Panzerbataillone“ bilden, teilt Scholz mit; das wären 80 bis 90 Kampfpanzer. Militärexperten urteilen, mit zweien dieser Bataillone könne es gelingen, an Teilen der Front Durchbrüche zu erzielen – etwa im Rahmen der geplanten ukrainischen Frühjahrsoffensive, von der manche fordern, sie solle die Rückeroberung der Krim anstreben. Zusätzlich werden weitere Waffensysteme im großen Stil geliefert, die laut NATO-Doktrin „im Gefecht einen Verbund“ mit den Kampfpanzern bilden: Schützenpanzer, Artillerie und Flugabwehr. Die Bundesregierung, die USA und weitere Länder stellen eine große Zahl an Schützenpanzern bereit, darüber hinaus neue Flugabwehrsysteme – etwa das Modell Patriot. In Verbindung mit Ausbildung kann die Lieferung von Kampfpanzern als Kriegsbeteiligung gewertet werden. Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert im nächsten Schritt Langstreckenraketen.
Kampfpanzer für Kiew
Mit der Entscheidung, der Ukraine moderne westliche Kampfpanzer zu liefern, tritt faktisch eine NATO-Panzertruppe in den Krieg ein, die statt von westlichen von ukrainischen Militärs gesteuert wird – nach gemeinsamer Planung und in enger Abstimmung mit dem Westen: In der vergangenen Woche waren hochrangige Militärs aus der Ukraine und den USA in der Bundesrepublik zusammengetroffen, um die bevorstehende ukrainische Frühjahrsoffensive zu planen und den Waffenbedarf dafür zu eruieren.[1] Nun wird offenkundig für die Deckung des Bedarfs gesorgt. Großbritannien hat bereits rund ein Dutzend Exemplare des Modells Challenger 2 fest zugesagt. Die Vereinigten Staaten werden laut Auskunft von US-Präsident Joe Biden 31 Kampfpanzer vom Modell M1 Abram zur Verfügung stellen. Deutschland hat 14 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 versprochen; dabei handelt es sich um eines der modernsten Modelle. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt an, es werde wohl gemeinsam den Lieferungen weiterer verbündeter Staaten gelingen, „rasch zwei Panzerbataillone“ zusammenzustellen; das wären 80 bis 90 Kampfpanzer.[2] Polen wird Kiew wohl 14 Leopard 2 liefern, die Niederlande 18; Spanien und mehrere skandinavische Staaten prüfen eine Beteiligung an der „Panzerallianz“.
Verbund im Gefecht
Kampfpanzer bilden, wie ein Brüsseler Korrespondent konstatiert, „gemäß der Nato-Doktrin im Gefecht einen Verbund“ mit Schützenpanzern, „Artillerie und Luftabwehr“.[3] Über NATO-Artillerie – die Panzerhaubitze 2000, den Mehrfachraketenwerfer HIMARS – verfügt die Ukraine bereits seit geraumer Zeit. Zudem hat sie im Herbst aus der Bundesrepublik das Flugabwehrsystem Iris-T SLM erhalten. Vor wenigen Tagen haben Deutschland, die USA und die Niederlande die Lieferung von jeweils einer Flugabwehrbatterie Patriot versprochen. Hinzu kommen Späh- und Schützenpanzer, deren Bereitstellung gleichfalls vor kurzem angekündigt wurde. Frankreich wird Spähpanzer vom Typ AMX 10-RC liefern, die USA 59 Bradley-Schützenpanzer; die Bundesrepublik hat 40 Schützenpanzer des Modells Marder zugesagt.[4] Weitere Schützenpanzer – bis zu 50 Exemplare des Modells CV 90 – sollen aus Schweden kommen, das zudem neue Artilleriesysteme des Typs Archer in Aussicht gestellt hat. Die Vereinigten Staaten wiederum haben zuletzt 90 Radpanzer Stryker, 50 gepanzerte Mannschaftstransporter M113 sowie hunderte weitere Militärfahrzeuge zugesagt.
Kriegspartei
Zu der Frage, ob bzw. inwiefern die Bundesrepublik in den Schlachten gegen Russland bereits Kriegspartei ist, hat sich kurz vor seinem Amtsantritt Verteidigungsminister Boris Pistorius geäußert. Deutschland sei in der Ukraine am „Krieg beteiligt …, indirekt“, erklärte Pistorius am Dienstag vergangener Woche.[5] Eine völkerrechtliche Einschätzung der Lage haben bereits im März vergangenen Jahres die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vorgenommen. Sie kamen zu dem Ergebnis, unterstützende Waffenlieferungen an die Ukraine seien zunächst unbedenklich – sogar unabhängig vom „Umfang“ der Lieferungen und von der „Frage, ob es sich dabei um ‘offensive‘ oder ‘defensive‘ Waffen handelt“.[6] Wenn jedoch „neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde“, hieß es weiter, „würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“ Ukrainische Soldaten werden seit dem vergangenen Frühjahr an den westlichen Waffensystemen ausgebildet, die die Ukraine aus Beständen der NATO-Staaten erhält. Aktuell steht nun die Ausbildung an den Leopard 2-Kampfpanzern bevor. Denkbar ist laut Berichten die Ausbildung an der Panzertruppenschule in Munster und der Technischen Schule des Heeres in Aachen.[7]
Die Front durchbrechen
Dass die Materialforderungen der Ukraine in vollem Umfang erfüllt werden, ist kurzfristig noch nicht abzusehen: Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte hatte kürzlich für die geplante Frühjahrsoffensive einen Bedarf von 300 Kampfpanzern, 600 bis 700 Schützenpanzern und 500 Haubitzen angemeldet.[8] Allerdings sind zusätzliche Lieferungen in Zukunft jederzeit möglich, weil das Tabu, Kiew Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, jetzt gebrochen ist. Zudem gilt schon eine Bereitstellung von weniger als 100 Kampfpanzern unter Umständen als qualitativer Aufrüstungssprung – dann, wenn man sie nicht „hier und dort“ einstreue, sondern „komplette Brigaden mit dem neuen Gerät“ ausstatte, wird der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) zitiert.[9] Diese wiederum könnten „gemeinsam kämpfen und an strategisch wichtigen Orten gezielt eingesetzt werden“, um dort Durchbrüche zu erzielen. Möglich wäre es, sie an bestimmten Stellen der Front für die geplante Frühjahrsoffensive zu nutzen. Im Gespräch ist eine Offensive, die auf die Rückeroberung der im Jahr 2014 – mit überwältigender Zustimmung der Bevölkerung – von Russland übernommenen Krim zielt (german-foreign-policy.com berichtete [10]).
„Eine Mission für die NATO“
Wozu die Panzerlieferungen dienen, hat Verteidigungsminister Pistorius am Dienstag bestätigt: „Wir unterstützen die Ukraine, diesen Krieg … zu gewinnen gegen Russland“.[11] Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow wiederum hat kürzlich bekräftigt, die Ukraine vergieße Blut, während sie „eine Mission für die NATO“ erfülle.[12] Eigentlich sei sein Land längst „ein NATO-Mitglied“ geworden – nicht förmlich, aber „de facto“.[13] Präsident Wolodymyr Selenskyj hat unterdessen begonnen, den nächsten Schritt zu fordern: Sein Land benötige nun, erklärte er gestern, Kampfjets und Langstreckenraketen.[14]
[1] Helene Cooper, Eric Schmitt, Julian E. Barnes: U.S. Warms to Helping Ukraine Target Crimea. nytimes.com 18.01.2023. S. dazu Kampfpanzer für die Frühjahrsoffensive.
[2] Deutschland schickt vierzehn Leopard-Panzer in die Ukraine. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.01.2023.
[3] Thomas Gutschker: Der Abnutzungskrieg begünstigt Russland. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.01.2023.
[4] S. dazu Schlüsselfaktor im Offensivkrieg.
[5] Pistorius verspricht Stärkung der Bundeswehr. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.01.2023.
[6] Sachstand: Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 019/22. Berlin, 16.03.2022.
[7] Nils Metzger: So könnte Kiews neue Panzertruppe aussehen. zdf.de 25.01.2023.
[8] S. dazu Schlüsselfaktor im Offensivkrieg.
[9] Nils Metzger: So könnte Kiews neue Panzertruppe aussehen. zdf.de 25.01.2023.
[10] S. dazu Kampfpanzer für die Frühjahrsoffensive.
[11] Pistorius: Ukraine muss Krieg gegen Russland gewinnen. stern.de 24.01.2023.
[12] Ukraine pays with blood for agreement with NATO – ex-LPR envoy. tass.com 07.01.2023.
[13] Hugo Bachega: Ukraine defence minister: We are a de facto member of Nato alliance. bbc.co.uk 13.01.2023.
[14] Ukraine’s Zelensky wants long-range missiles and jets from the West. france24.com 25.01.2023.