„Wie erbärmlich war es, den Tod an den Rand des Lebens zu drängen, wo er doch im Zentrum von allem stand.“ Elif Shafak
Wir von REHUNO Gesundheit eröffnen eine Reihe von Artikeln, die die wichtigsten Aspekte des Berichts zusammenfassen, der dieses Jahr vom Lancet Journal zum Thema Wert des Todes veröffentlicht wurde.
The Lancet Review (www.lancet.com), eine Zeitschrift von großem wissenschaftlichem Ansehen, veröffentlichte im Februar 2022 den Bericht einer ihrer Studien- und Forschungskommissionen mit dem Titel: „The Value of Death: Bringing Death to Life (Der Wert des Todes: Den Tod ins Leben bringen)“. Dieser 48-seitige Bericht ist das Ergebnis der Arbeit eines Expertenteams, das den derzeitigen Umgang der Gesellschaft mit dem Tod und die daraus resultierenden direkten und indirekten Folgen untersucht hat. [1]
Wir bedanken uns für die Beiträge von Dr. Enric Benito in seinen Interviews mit REHUNO Gesundheit und mit der Organisation ‚Al final de la Vida‘, die für diese Artikelserie sehr hilfreich waren.
Wir fassen die relevanten Aspekte des Berichts zusammen:
- Das unausgewogene und widersprüchliche Bild von Tod und Sterben ist die Grundlage dieser Kommission.
- Die Geschichte des Sterbens im 21. Jahrhundert spiegelt ein Paradoxon wider: Während viele Menschen in Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen überbehandelt werden, bleiben viele weitere unbehandelt und sterben an vermeidbaren Krankheiten, ohne Zugang zu elementaren Medikamenten.
- Tod und Sterben haben sich aus dem familiären und gemeinschaftlichen Umfeld in den Bereich der Gesundheitswesen verlagert. Vergebliche oder potenziell unangemessene Behandlungen werden in diesem Kontext in der Regel bis zu den letzten Stunden des Lebens fortgeführt.
- Die Rolle der Familie und der Gemeinschaft ist im Rückzug begriffen. Tod und Sterben werden zu etwas Fremdem, und Fähigkeiten, Traditionen und Wissen dazu gehen verloren.
- In Ländern mit hohem Einkommen liegt der Schwerpunkt auf übermäßigen klinischen Interventionen („Übermedikalisierung“) zum Nachteil von angemesseneren Interventionen und Begleitung. Dieser Trend beginnt sich auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbreiten.
- Nach der COVID19-Pandemie waren die Gesundheitssysteme überfordert, und der Tod wurde wie ein „makabres Objekt“ in den täglichen Krankenhaus- und Medienberichten thematisiert. Die Menschen starben auf hochgradig medizinalisierte Weise, oft in Einsamkeit, in einer Umgebung von „maskierten Personen“ in Krankenhäusern und Intensivstationen, unfähig, mit ihren Angehörigen zu kommunizieren. Diese Situation hat die Angst vor dem Tod weiter geschürt und die Vorstellung verstärkt, dass die Gesundheitsdienste als Wächter und Vorzimmer des Todes fungieren.
- Der Klimawandel, die COVID19 -Pandemie, die Umweltzerstörung und die Einstellung zum Tod in Ländern mit hohem Einkommen haben ähnliche Wurzeln: die Vorstellung, dass wir die Kontrolle und Macht über die Natur haben, anstatt dass wir Teil von ihr sind.
- Große Summen werden investiert, um das Leben dramatisch zu verlängern und sogar zu versuchen, Unsterblichkeit für eine kleine Minderheit zu erreichen, während wir gleichzeitig in einer Welt leben, in der große Teile der Bevölkerung an vermeidbarem Hunger leiden und/oder an vermeidbaren Faktoren sterben.
Im Laufe der Geschichte haben Philosophen und Theologen der unterschiedlichsten Kulturen den Wert des Todes anerkannt, den er für das menschliche Leben hat – als wesentlicher Teil des Lebens und der persönlichen Biografie, als Moment des Geheimnisses, des Übergangs und der Verwandlung. Das Gleiche gilt für das Erbe der verschiedenen menschlichen Traditionen und Zivilisationen. Heutzutage scheint es dem Gesundheitswesen und den Menschen jedoch schwer zu fallen, die Unvermeidbarkeit des physischen Todes zu akzeptieren.
Der Tod erinnert uns auch an unsere Zerbrechlichkeit und unser Selbstverständnis: „Wir werden alle sterben“. Die Betreuung von Sterbenden ist ein Geschenk, wie einige Philosophen und viele Pflegende, sowohl Laien als auch Profis, erkannt haben. Aber ein Großteil des „Wertes“, der dem Sterbeprozess innewohnt, der innere Reichtum, der diesen Prozessen zugrunde liegt, wird in der modernen Welt nicht mehr anerkannt. Die Wiederentdeckung dieses Wertes kann dazu beitragen, die physische Endphase des Lebens neu zu würdigen und damit das Leben insgesamt zu verbessern.
Wir kommen zu der ersten Schlussfolgerung, die Teil des Berichts der Lancet-Kommission ist:
„Der Tod und der Sterbeprozess müssen als etwas Normales, ja sogar „Wertvolles“ anerkannt werden. Die Betreuung von Sterbenden und Hinterbliebenen muss neu gewichtet werden, und die Menschen in der ganzen Gesellschaft sind aufgerufen, sich dieser Herausforderung zu stellen“
(Fortsetzung in einem zweiten Artikel).
Übersetzung aus dem Italienischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
[1] Der vollständige Bericht der Kommission ist verfügbar unter: (The Lancet Commissions: Report of the Lancet Commission on the Value of Death: bringing death back into life. www.thelancet.com – Vol. 399 February 26, 2022)