12 Tage und Nächte – Nordvietnam im Bombenhagel. “Weihnachtsgrüße besonderer Art” aus den USA, der Vormacht der “christlich-westlichen” Wertegemeinschaft! Nicht vergessen, um aus der Geschichte zu lernen!
Für viele ältere Einwohner Hanois steht Ende Dezember ein Ereignis im Mittelpunkt, das sie niemals vergessen werden. Um die Weihnachtstage herum gedenken sie der Freunde und Verwandten, die vor 50 Jahren ums Leben kamen – im Dezember 1972, als die USA die grössten Luftangriffe jenes Krieges flogen, den man in Vietnam den Amerikanischen Krieg nennt. Die von der US Airforce als Linebacker II bezeichnete Operation ging als „Weihnachtsbombardement“ in die Geschichte des Krieges ein.
Es sollte die letzte US-amerikanische Militäraktion des Krieges werden, und Präsident Nixon, der gerade mit dem Versprechen, den Krieg zu beenden, in einem erdrutschartigen Sieg seine Wiederwahl errungen hatte, wollte das Schlachtfeld als Sieger verlassen. Was der Öffentlichkeit schon damals als “chirurgische Operation” verkauft wurde, war für die Bevölkerung Hanois und Haiphongs ein zwölftägiger Albtraum nahezu pausenlosen Bombardements. Vom 18. bis zum 29. Dezember luden Hunderte amerikanische Flugzeuge in 3.000 Angriffen ihre tödliche Fracht über den nordvietnamesischen Grossstädten ab.
Nixon bestand darauf, dass sich die Angriffe ausschliesslich gegen militärische Ziele richteten. Fotos und Filmaufnahmen zeigten jedoch schnell eine andere Wahrheit. Bei den fast zweiwöchigen Bombardierungen wurden in Hanoi 2.385 Zivilisten getötet, weitere 1.355 verletzt. Das grösste Krankenhaus Nordvietnams, das Bạch Mai Hospital, wurde durch Bomben schwer getroffen. Das Hauptgebäude stürzte ein. Patienten, Schwestern und Ärzte wurden unter seinen Trümmern begraben. 28 Menschen, darunter ein achtjähriges Mädchen, verloren ihr Leben. Allein bei einem Angriff in der Nacht vom 25.12. auf den 26.12.1972 wurden 287 Menschen getötet als die Khâm Thiên Strasse, eine der am dichtesten besiedelten Strassen Hanois, mit Sprengbomben dem Erdboden gleich gemacht wurde. Hätten die Behörden nicht vorsorglich einen grossen Teil der Bevölkerung Hanois, vor allem die Kinder, evakuiert, wäre die Zahl der Opfer noch viel höher gewesen. Aus Sicht Nixons und seines Sicherheitsberaters Kissinger waren diese Opfer “Kollateralschäden”, zielten die Angriffe angeblich doch nicht auf die Wohngebiete, sondern auf sogenannte strategische Ziele: die Rundfunkstation, Eisenbahnanlagen, Flugfelder, Treibstoffdepots ….
Ziel der USA war es, damit die eigene Position in den Friedensgesprächen mit Nordvietnam zu verbessern. Ein zynischer Aspekt – hatten doch die Verhandlungen zwischen den USA und der Demokratischen Republik Vietnam bereits im Oktober 1972 ein unterschriftsreifes Neun-Punkte-Abkommen ergeben, in dem die Bedingungen zur Beendigung des Krieges festgeschrieben worden waren. Mit diesen letzten Bombardierungen konnten die USA trotz des enormen Militäreinsatzes ihre Niederlage nicht verhindern. Der Widerstandswille der Menschen in Vietnam war ungebrochen. Viele Flugzeuge wurden abgeschossen. 33 B52-Bomber kehrten nicht in ihre Ausgangsstellungen zurück. Gleichzeitig schwoll in Europa und den USA die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg nochmals zu einem Sturm der Entrüstung an. Die USA mussten schliesslich einlenken und am 27.Januar 1973 das “Pariser Abkommen” über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam unterzeichnen. Damit waren die Weichen für den endgültigen Rückzug des US-Militärs aus Vietnam gestellt.
Es ist gerade heute nicht abwegig, sich daran zu erinnern. Stand der Vernichtungskrieg gegen Nordvietnam für den “Kampf gegen den Kommunismus” und dessen Vormarsch in Asien, so galten die Feldzüge mindestens gleicher Intensität gegen Afghanistan, Irak, Libyen usw. dem weltweiten “Kampf gegen den Terrorismus”. Die Parolen haben sich geändert, nicht aber die Methode und auch nicht die mit brutaler militärischer Gewalt demonstrierte Überzeugung Washingtons, auserkoren zu sein, den Lauf der Welt zu bestimmen.
Ein Beitrag von Cathrin Karras, Historikerin, Vietnam 9.Dez. 2022. Wir danken für die Publikationsrechte.