Vom 7. bis 19. Dezember fand in Montreal, Kanada, die 15. Konferenz (COP15) zum Übereinkommen über biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, kurz CBD) statt, die auch oft UN-Weltnaturkonferenz oder UN-Artenschutzkonferenz genannt wird. Es war die erste COP seit 2018, nachdem sie wegen der Pandemie verschoben wurde. Auf dieser COP sollte der nächste globale Rahmen diskutiert werden, der die Ziele und Vorgaben für das nächste Jahrzehnt festlegt, um den anhaltenden, beispiellosen Verlust der biologischen Vielfalt zu bekämpfen. Nachdem auf der CBD-COP10 in Nagoya, Japan, keines der Aichi-Ziele erreicht wurde, ist dieser nächste Rahmen entscheidend, um den Ton für die Regelung und den Schutz der biologischen Vielfalt bis 2030 und bis 2050 anzugeben.
Einige der wichtigsten Themen, die auf der COP15 erörtert wurden, sind die Finanzierung der Erhaltung der biologischen Vielfalt, die digitale Sequenzinformation (DSI) und die Steuerung neuer Biotechnologien.
Die COP15 findet zu einem entscheidenden Zeitpunkt statt, an dem die Biotech- und Agrar-Industrie verzweifelt versuchen, neue Biotechnologien und Finanzsysteme durch Greenwashing zu propagieren, Lobbyarbeit für die Deregulierung zu leisten und neue und unerprobte Technologien schneller auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig wird behauptet, dass diese neuen Biotechnologien, wie CRISPR-Cas9 für die Geneditierung, Gene Drives, digitale Sequenzierung und synthetische Biologie, sowie Programme wie Biodiversitätskredite und grüne Finanzierungen als nachhaltige Lösungen für die heutige Krise angesehen werden sollten.
Bislang ist das Abkommen über die biologische Vielfalt das einzige internationale Gremium, das sich mit der Bewältigung dieser neuen Probleme und ihren potenziellen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt befasst sowie ihre multidimensionalen Implikationen bewertet. Umso wichtiger ist die aktuelle COP für unsere ökologische Zukunft.
Doch wie im Bericht „Gates to a Global Empire“ von Navdanya International beschrieben, wuchs bereits 2016 die Besorgnis über den Einfluss des Wirtschaftssektors auf die Agenden dieser Themen. Wie Adelita San Vicente Tello und Aidé Jiménez-Martínez, Delegierte des mexikanischen Ministeriums für Umwelt und natürliche Ressourcen (SEMARNAT) für das Abkommen über die biologische Vielfalt feststellten, begann sich der Ton bereits in Richtung einer eher merkantilen Sichtweise der Natur zu verschieben und die Formulierung der biologischen Vielfalt auf ihr kommerzielles Potenzial auszurichten. Seitdem ist das Drängen zu einer stärkeren Kommerzialisierung der biologischen Vielfalt nur noch gewachsen und stand im Mittelpunkt der COP15.
Kurzer geschichtlicher Abriss des CBD und des Nagoya-Protokolls
1992 fand der UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro in Brasilien statt, um der wachsenden Besorgnis über das Artensterben, die Erosion der biologischen Vielfalt und den Klimawandel Rechnung zu tragen. Als Ergebnis des Erdgipfels wurden das Abkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (CBD) und das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen gegründet. Auf der Rio-Konferenz wurden auch zwei wichtige Grundsätze festgelegt: das Vorsorgeprinzip und das Verursacherprinzip („Wer verschmutzt, muss zahlen“). Laut der Präsidentin von Navdanya International, Dr. Vandana Shiva, „basierte Rio auf den Werten der ökologischen Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Gleichheit – länderübergreifend und innerhalb der Länder. Es wurde von ökologischen Bewegungen, ökologischer Wissenschaft und souveränen Regierungen geprägt.“
Auf der Grundlage dieser Werte wurden die Hauptziele des CBD festgelegt: „Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Komponenten und die faire und gerechte Aufteilung der sich aus den genetischen Ressourcen ergebenden Gewinne“, einschließlich des Schutzes der landwirtschaftlichen Biodiversität und der Schaffung eines Rahmens für den Schutz der biologischen Vielfalt. Da sich die Technologien weiterentwickelt haben, umfasst dieses Mandat nun auch die Kontrolle über Biotechnologien, die im CBD als „jede technologische Anwendung, die biologische Systeme, lebende Organismen oder Derivate davon nutzt, um Produkte oder Verfahren für einen bestimmten Zweck herzustellen oder zu verändern“ definiert sind.
Regelungen für den Zugang zur biologischen Vielfalt und den ihre gerechte Verteilung wurden durch das Nagoya-Protokoll geschaffen, das einen Rechtsrahmen für die Nutzung genetischer Ressourcen bildet. Das Protokoll legte auch fest, dass Staaten das Recht auf ihre eigene biologische Vielfalt haben und dass die Befugnis, den Zugang zu ihren genetischen Ressourcen zu bestimmen, bei den jeweiligen Regierungen liegt und somit der nationalen Gesetzgebung unterliegt. Dieses Protokoll wurde geschaffen, um das biologische Erbe der einzelnen Staaten und das damit verbundene traditionelle Wissen zu schützen und um sicherzustellen, dass die Länder, deren genetische Ressourcen genutzt werden, eine angemessene Entschädigung oder einen Gewinnanteil für deren Nutzung erhalten. Außerdem sollen rechtliche Rahmenbedingungen für die Entnahme von genetischen Proben und Ressourcen aus den Ländern geschaffen werden. All dies diente der Bekämpfung von Bioprospektion und Biopiraterie aus Ländern, die reich an biologischer Vielfalt sind. Doch mit der Entwicklung von Digitalisierungswerkzeugen und neuen Biotechnologien ist das Nagoya-Protokoll nun direkt bedroht.
Das Erbe der TRIPS/GATT-Abkommen
Kurz nach der Gründung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt wurden die Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) ratifiziert und damit ein neues Freihandelsregime für Lebensmittel und Landwirtschaft offiziell institutionalisiert. Als Teil des TRIPS/GATT-Abkommens leitete Klausel 27.3 (b) eine neue Ära des Saatgut- und Biodiversitätsimperialismus ein, indem sie effektiv ein Schlupfloch schuf, das die vorläufige Patentierung von lebenden Organismen und deren genetischem Material ermöglichte. Die Klausel besagt: „Die Vertragsparteien können Pflanzen und Tiere, ausgenommen Mikroorganismen, sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Erzeugung von Pflanzen oder Tieren, ausgenommen nichtbiologische und mikrobiologische Verfahren, von der Patentierbarkeit ausschließen. Die Vertragsparteien sehen jedoch den Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein wirksames System sui generis oder durch eine beliebige Kombination davon vor.“
Obwohl es unterschiedliche Auffassungen über die Auslegung dieser Klausel gibt, hat dieses Abkommen dazu geführt, dass Unternehmen Saatgut und biologische Vielfalt patentieren können, wie es bei GVO oder Pflanzen, die das genetische Material für die Herstellung von GVO liefern, der Fall ist. Heute führt dieser Präzedenzfall dazu, dass dieselben Konzerne nun digitalisiertes genetisches Material patentieren können, wobei sie im Grunde genommen die durch das Nagoya-Protokoll geschaffenen Rahmenbedingungen umgehen.
Was ist Digitale Sequenzinformation (DSI)?
Bei der Digitalen Sequenzinformation (DSI) handelt es sich um eine Biotechnologie, mit der eine Vielzahl von genetischen Informationen aus dem Genom eines Organismus effektiv gescannt werden kann, so dass das genetische Material von Pflanzen in eine digitale Datenbank hochgeladen werden kann. Seit der Einführung der digitalen Sequenzierungstechnologien im Jahr 2010 wurden Milliarden von genetischen Sequenzen – Nukleotide der DNA, RNA-Sequenzen, Aminosäuren, chemische Verbindungen, die von genetischen Informationen abgeleitet sind (Metaboliten), und sogar epigenetische Informationen oder Informationen, die sich aus Umwelt- und ökologischen Wechselwirkungen ergeben, sowie alle anderen daraus resultierenden Informationen – sequenziert und in verschiedenen öffentlichen und privaten Datenbanken gesammelt. Die größten Bestände liegen dabei in öffentlichen Datenbanken.
DSI ist zu einer Möglichkeit geworden, die genetische Vielfalt in großem Umfang zu bewahren und zu erhalten, aber seit dem Durchbruch der gentechnischen Biotechnologien ist DSI auch zu einem wertvollen Rohstoff für Biotech-Unternehmen geworden. Mit der Technologie der synthetischen Biologie können Privatunternehmen und Forschungseinrichtungen nun die digitalisierten genetischen Informationen herunterladen und die Sequenzen in einem Labor synthetisch nachbilden, wobei sie die bestehenden Vorschriften über den Zugang zur biologischen Vielfalt effektiv umgehen. Mithilfe von CRISPR-CAS9 und anderen Genom-Editierungs-Technologien kann dieses synthetisch erzeugte genetische Material dann zur gentechnischen Veränderung lebender Organismen verwendet werden. Es gibt zwar viele Verwendungszwecke für DSI, z. B. für die industrielle chemische Produktion, die medizinische Forschung und die pharmazeutische Entwicklung, aber die Anwendungen im Zusammenhang mit Lebensmitteln, Landwirtschaft und Gene Drives geben Anlass zu größter Besorgnis.
Die nächste Generation von GVO wird jetzt in vielen Teilen der Welt mit wenig Regulierung vorangetrieben. Diese „neuen Züchtungstechniken“ („New Breeding Techniques“, NBT), „neuen genomischen Techniken“ („New Genomic Techniques“, NGT) oder, wie die EU-Kommission sie nennt, „Pflanzen, die mit bestimmten neuen genomischen Techniken erzeugt wurden“, gehen über eine neue Generation von GVO-Saatgut hinaus und erstrecken sich nun auch auf Tiere in der Landwirtschaft und andere lebende Organismen. So wurde beispielsweise vom International Potato Center eine neue GVO-Kartoffel durch eine DSI aus einer argentinischen und einer peruanischen Kartoffelsorte mit einer in der öffentlichen Datenbank GenBank verfügbaren Sequenz erzeugt. Die Experimente fanden dann in Ostafrika statt, ohne dass Argentinien oder Peru einen finanziellen Ausgleich erhielten. Hochriskante Gene-Drive-Organismen, wie z. B. Gene-Drive-Mücken oder Mücken, die mit einem Aussterbe-Gen gentechnisch verändert wurden, sind inzwischen in der ganzen Welt freigesetzt worden, ohne dass man sich über ihre potenziellen ökologischen Auswirkungen im Klaren ist. Alles unter dem Vorwand der Ausrottung von Malaria. Organisationen der Zivilgesellschaft haben das CBD aufgefordert, die gefährlichen Folgen solcher Ausrottungstechnologie zu bedenken und ein weltweites Moratorium zu erlassen.
Wie Navdanya International ausführlich recherchiert hat, werden diese neuen Biotechnologien auch für die Herstellung gefährlicher, hochgradig verarbeiteter künstlicher Lebensmittel eingesetzt, bei denen gentechnisch veränderte Mikroorganismen für die „Fermentierung“ chemischer Verbindungen verwendet werden. Impossible Burger beispielsweise verwendet ein „Häm“-Molekül aus Sojabohnen-Hämoglobin, einen Farbstoff, der in gentechnisch veränderter Hefe hergestellt wird, um ihre Burger scheinbar „bluten“ zu lassen. Laut dem Center for Food Safety hat die FDA (Food and Drug Administration) vor der Zulassung des Farbzusatzes im Jahr 2019 keine ausreichenden Langzeittests durchgeführt, nach einem Kurzzeitversuch mit Ratten wurden mehrere potenzielle schädliche Auswirkungen festgestellt.
Durch Fusionen und Firmenübernahmen, Kreuzlizenzen zwischen multinationalen Unternehmen sowie den unregulierten Zugang zu öffentlichen DSI-Datenbanken können private Unternehmen riesige private Datenbanken mit genetischem Material anhäufen, was im Wesentlichen zu digitalisierter Biopiraterie führt. So hat sich beispielsweise das von Bill Gates finanzierte Unternehmen Gingko Bioworks zu einer der größten Firmen für synthetische Biologie in den USA entwickelt. Dank der TRIPPS/GATT-Klausel und anderer Präzedenzfälle im Bereich der Patentierung ist Ginkgo Bioworks in der Lage, öffentlich verfügbare DSI herunterzuladen, sie zu optimieren und das daraus resultierende Material zu patentieren, um es über seine Tochtergesellschaft Motif Foodworks für die Herstellung synthetischer Lebensmittelzutaten oder über seine Partnerschaft mit Bayer für landwirtschaftliche Anwendungen zu verwenden. Neuartige Methoden der digitalen Sequenzierung, Datenbank-Speichermechanismen, Suchmechanismen und Techniken der synthetischen Biologie können ebenfalls patentiert und von Unternehmen wie diesen als Geschäftsgeheimnis gehütet werden. Dadurch werden die Grundsätze des Nagoya-Protokolls effektiv umgangen und blockiert, was direkt zu digitaler Biopiraterie führt.
Die Besorgnis über diese Technologien wurzelt in der langen Geschichte der Monopolisierung, Privatisierung und Biopiraterie durch multinationale und westliche Unternehmen, die Milliardengewinne erwirtschaftet haben. All dies hat verheerende Folgen für die Umwelt: Übermäßige Ausbeutung, die Schaffung und Ausbreitung von GVO, die Zerstörung der biologischen Vielfalt, fehlende Entschädigung von Landwirten die Patentierung deren eigenen Saatguts und dessen biologische Vielfalt. Wenn diese Technologien nicht angemessen reguliert werden, besteht die Gefahr einer weiteren Privatisierung des Lebens.
Während diese Fragen erstmals auf der COP in Cancun im Dezember 2016 aufgeworfen wurden, hat das CBD im Jahr 2018 die abweichenden Ansichten zu diesem Thema zur Kenntnis genommen, was zu einem Bericht der technischen Ad-hoc-Expertengruppe führte. Der Bericht der Expertengruppe hat seither eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die auf der aktuellen COP15 aufgegriffen werden sollten, wie die Nutzung der DSI-Technologie angegangen werden kann, einschließlich aktualisierter Rahmenbedingungen für eine angemessene Entschädigung von Staaten und indigenen Gruppen, eine angemessene Verfolgung und Rückverfolgbarkeit des Herkunftslandes und dass die Gewinne zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt beitragen sollten. Wie Josè Esquinas-Alcazar, ehemaliger Sekretär der zwischenstaatlichen FAO-Kommission für genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft und Vorsitzender der FAO-Ethikkommission für Ernährung und Landwirtschaft, erläuterte, werden diese neuen Technologien auch bei den Verhandlungen über den Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture) aufgegriffen, bei denen der Zugang und der Vorteilsausgleich für Ernährung und Landwirtschaft dank DSI neu verhandelt werden müssen.
In Anbetracht des Erstarkens der Unternehmenslobby bei den letzten COPs und von Interessen in den Vereinigten Staaten, die durch den jüngsten Executive Order des Präsidenten der USA zur Förderung der Bioökonomie gekennzeichnet sind, besteht jedoch eine Gefahr, dass das Thema einmal mehr verzögert wird.
Die Finanzialisierung der Natur
Als wachsende Reaktion auf das Massensterben von Arten hat der Finanzsektor den Ruf nach der falschen Lösung der Finanzialisierung von Natur und biologischer Vielfalt durch eine Reihe von Marktmechanismen laut werden lassen. Organisationen wie Finance for Europe (AFME) und EY hatten für die aktuelle CBD COP15 Empfehlungen zur Schaffung von Biodiversitätskrediten und Natural Asset Companies (NACs) vorgeschlagen, um den Ländern des globalen Südens Finanzmittel für den Erhalt der biologischen Vielfalt zur Verfügung zu stellen.
Dies ergibt sich aus der Forderung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), dass die wohlhabenderen Länder mehr Finanzmittel für die Entwicklungsländer bereitstellen müssen, um die Erhaltung und den Schutz der biologischen Vielfalt zu unterstützen. Als Teil des Entwurfs des globalen Rahmens, der auf dieser COP vorgelegt werden sollte, wurde insbesondere eine Erhöhung der Finanzströme für die Erhaltung der biologischen Vielfalt um 200 Mrd. USD gefordert.
Der Finanzsektor versucht nun, sich einzuschalten, indem er argumentiert, dass 87 Prozent der Finanzmittel für die biologische Vielfalt aus öffentlichen Mitteln, Philanthropie und Entwicklungsinstitutionen stammen und immer noch nicht ausreichen, um den gesamten Wiederherstellungs- und Schutzbedarf zu decken, und dass private Mittel eingesetzt werden müssen, um die globale Finanzierungslücke bei der biologischen Vielfalt zu schließen. Da sie anerkennen, dass alle Industrie- und Finanzmärkte untrennbar von der Natur abhängig sind, schlagen sie vor, messbare Bewertungssysteme wie „naturbasierte Lösungen“, „Blue Finance“ oder „Ocean Carbon/Biodiversity Credits“ und „Regenerative Agriculture Credits“ einzuführen, um zum Schutz dessen beizutragen, was sie als Naturkapital betrachten. Dazu gehört auch die Finanzialisierung von Biodiversität, Ökosystemleistungen und allem, was als „Naturkapital“ gilt. Alles unter dem Deckmantel, es zu „schützen“. Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, liegt das daran, dass viele dieser Finanzierungsmodelle denen ähneln, die für die Finanzierung des Klimawandels vorgeschlagen werden und die bereits als „grüne“ Modeworte zur de facto Aufrechterhaltung des Status quo kritisiert wurden.
Die Einführung dieser Systeme hat bereits begonnen, da die New Yorker Börse (NYSE) im Jahr 2021 die bereits erwähnte neue, auf Naturkapital basierende Anlageklasse namens Natural Asset Companies (NACs) vorstellte. Bei NACs wird ein natürlicher Vermögenswert (Natural Asset) identifiziert und bewertet, z. B. ein Stück bedrohter Regenwald, ein gefährdetes Tier oder ein ganzes Ökosystem. Auf dieser Grundlage wird dann eine NAC gegründet, wobei die Struktur des Unternehmens oder die Unternehmenseigentümer die NAC verwalten und an der Börse notieren. Die NAC generiert dann über die Börse Finanzkapital, und sein Wert (auch der Wert des „Naturkapitals“ genannt) wird durch den Indexpreis bestimmt. Die NAC wird dann theoretisch das Naturkapital erhalten, pflegen und vermehren.
Zu den Möglichkeiten der Bewertung des „Naturkapitals“, die der CBD COP vorgeschlagen wurden, gehören auch Biodiversitätskredite oder ein Finanzsystem, das Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt durch die Schaffung, den Verkauf und den Austausch von Biodiversitäts-„Einheiten“ finanziert.
Aber selbst der NYSE und andere geben zu, dass die Hauptattraktivität dieser neuen Finanzsysteme in einem praktisch unbegrenzten Gewinnpotenzial liegt. Nach Angaben von Intrinsic Exchange, dem Unternehmen, das die NYSE bei der Einführung ihrer neuen Anlageklasse unterstützt hat, kann die „Wirtschaft der Natur“ potenziell mit 4.000 Billionen USD bewertet werden. Sie erklären auch, dass NACs die Gewinne der Anleger steigern können: „Wenn der natürliche Vermögenswert gedeiht und einen stetigen oder zunehmenden Fluss von Ökosystemleistungen bietet, sollte das Eigenkapital des Unternehmens entsprechend an Wert gewinnen und Investitionserträge liefern. Aktionäre und Investoren des Unternehmens können durch den Verkauf von Anteilen Gewinne erzielen. Diese Verkäufe können so bemessen werden, dass sie den Anstieg des Kapitalwerts der Aktien widerspiegeln, der in etwa der Rentabilität des Unternehmens entspricht und einen Cashflow auf der Grundlage der Gesundheit des Unternehmens und seiner Vermögenswerte schafft.“
Die Versuche des Finanzsektors, ganze Ökosysteme zur Ware zu machen, haben viele alarmierende Aspekte. Diese Pläne erlauben es im Wesentlichen dem historisch plündernden Finanzsektor, zu bestimmen, was in der Natur welchen Wert hat, und welche ökologischen Gemeinschaften und Ökosysteme als schützenswert gelten und welche nicht. Die Finanzialisierung der Natur wird nur zu einer weiteren Kommerzialisierung der letzten verbliebenen Gemeingüter der Welt führen und den letzten verbliebenen Teil der natürlichen Welt, der dem menschlichen Zugriff bis jetzt entzogen war, in die Marktwirtschaft einbinden.
NACs und jeder, der „Biodiversitätskredite“ schafft, bewertet und besitzt, kann nun die exklusiven Rechte an Ökosystemen, Ökosystemleistungen, Land, Lebewesen und ökologischen Prozessen besitzen. Die totale Kommerzialisierung der Natur und der Ökosysteme ist äußerst besorgniserregend, denn die Natur ist kein bloßer Mechanismus für Profit, sondern hat ein ureigenes Recht zu existieren und zu gedeihen. Es ist nicht Sache der finanziellen Raubritter, zu bestimmen, was im Leben einen Wert hat. Diese Systeme werden auch direkt zu Landraub führen, wie es bereits durch die Kohlenstoffkreditsysteme (carbon credit systems) geschehen ist, da 80 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt in indigenen Gebieten liegen.
Die Geschichte hat gezeigt, dass die Aneignung der Allmende und der Natur durch Unternehmen noch nie zu einem verbesserten Schutz der Natur geführt hat. Der Grund für die heutige Krise liegt in der extraktivistischen, profitorientierten und mechanistischen Mentalität des Unternehmenssektors. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Rockefeller Foundation, Blackrock, das Weltwirtschaftsforum und andere Unternehmensinteressen plötzlich das Wohl der Öffentlichkeit, des Planeten oder der Natur im Auge haben könnten. Ist es wirklich glaubhaft, dass ein Sektor, der für die Zerstörung der biologischen Vielfalt und der Natur verantwortlich war, plötzlich in der Lage sein wird, sie zu retten?
Die Versuche der Kommodifizierung des Lebens, sowohl durch die Digitalisierung genetischer Informationen als auch durch die Finanzialisierung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme, stellen in Wirklichkeit die neuesten Versuche der Unternehmen dar, das Leben an sich zu kommerzialisieren. Gleichzeitig wird jeder Aspekt ihrer Produktketten vollständig vertikal integriert, von den Ökosystemfunktionen, die ihre Produkte erst ermöglichen, bis hin zur ultimativen Kontrolle über jede Ebene des Lebens. Was hier droht, ist das endgültige Vordringen in die vollständige Privatisierung und Kommerzialisierung des Lebens auf diesem Planeten. Wir müssen Widerstand leisten.
Weitere Informationen zum Thema (Englisch):
The Gmo Revival (April 2021)
Webinar ‘GMOs are a failed Technology. The future is GMO-Free’ – Highlights (March 2021)
Truths and lies about new and old GMOs – Testing the industry narrative (February 2021)
Digital Biopiracy to Undermine International Treaties that Protect Biodiversity and Prevent Biopiracy (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
Beyond Green Gold: Megadiverse Countries as Providers of Genetic Resources and Digital Sequence Information – Aidé Jiménez-Martínez And Adelita San Vicente Tello (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
A Treaty to Protect our Agricultural Biodiversity – Josè Esquinas-Alcazar (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
Owning Seeds Through Patents and New Gene Editing GMO Technologies – Vandana Shiva (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
Global Resistance to Genetic Extinction Technology – Navdanya (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
Biodiversity, Gmos, & Gene Drives of the Militarised Mind – Vandana Shiva (“Gates to a Global Empire” Report), Navdanya International, October 2020
The Law of the Seed – Navdanya International, 2013
Seed Freedom – A Global Citizens’ Report – Navdanya International, 2012
Übersetzung aus dem Englischen von Pressenza München