Die Wahlwiederholung kreuzt sich mit dem Ärger der Bevölkerung, des Mittelstandes und der Industrie. Die Energiepreise haben sich nach Einführung der Sanktionen sprunghaft erhöht. Zum allgemeinen Leidwesen ist noch eine Inflation hinzugekommen, die das Geld zum Leben entwertet und die Produktion verteuert.

Die regierenden Parteien bangen. Der Unmut darf auf keinem Fall auf eine mangelhafte Arbeit der Ampelregierung oder des Parlaments zurückgeführt werden, auch wenn sie nicht frei von direkter Schuld sind. Der gelobte Wettbewerb der demokratischen Parteien wird schon die Schuldigen medial herausstellen, hofft der Wahlmichel.

Schuld sind ja immer die Anderen, in der Gegenwart sind es die „Bösen Russen“, vom US-Präsidenten Bush so kategorisiert. Sie würden den Energiemarkt im Kampf der Systeme nutzen und haben sogar Nord Stream 2 gebaut, um mehr Gas an den Westen vertraglich zu liefern. Oder waren die Preistreiber die Sanktionen? Vielleicht gibt es auch Fehltritte von den nicht ganz Guten aus dem internationalen Öl- und Gashandelsgeschäft, den Stromhändlern? Sei es, wie es sei: Der Markt richtet alles, lautet eine heilige Formel des bestehenden Systems. insbesondere seiner neoliberalen Spielart. Die Preise aber sind hoch und Gas strömt nicht mehr aus Russland durch die Leitungen, wegen der Sanktionen.

Nach dem Wahlakt 2021, der in Berlin die Neubesetzung des Bundestages und gleichzeitig des Abgeordnetenhauses bestimmte, sind 3 schwerwiegende Ereignisse für die Wähler eingetreten, die mental verarbeitet werden müssen:

  • In der Ukraine herrscht ein nicht erwarteter Krieg.
  • Sanktionen Deutschlands und der G7 gegen Russland verändern die internationale Arbeitsteilung.
  • Hohen Preissteigerungen auf dem Energiemarkt infolge der Sanktionen verändern die Finanzkreisläufe der Wirtschaft und befördern eine Inflation.

Die Auswirkungen der Preisveränderungen erfordern von der Bevölkerung tägliche Einschränkungen im Privatbereich. Ihr Geld wird entwertet. Der mittelständige Wirtschaft nehmen die hohen Preise den Spielraum für eine normale Betriebsführung. Allein der Finanzminister (FDP) freut sich über höhere Einnahmen für die Haushaltskasse aus der Vor- und Mehrwertsteuer, die die hohen Preise einbringen.

Die Ampelregierung versucht mit, handwerklich schlecht gemachten Verordnungen (Friedrich Merz, CDU), die Auswirkungen der Preislawine zu mildern und Defizite der Energieversorgung kleinzureden.

Die Wähler spüren, dass sich die Welt im Wandel befindet. Klimatisch nach der COP 27 und den nicht nachlassenden Aktionen der jungen Protestkleber und gesellschaftlich mit den ständigen Attacken auf China, das vom Generalsekretär der NATO am 30.11. erneut als Terrorist eingestuft wird. Die globale Spannung erhält neben der Auseinandersetzung in der Ukraine weitere Felder.

Die Verunsicherung durch die Corona Epidemie ist noch allgegenwärtig.

Die Zeitenwende wird unterschiedlich gesehen. Der Kanzler hat vorsorglich weitere 100 Mrd. Euro für die Verteidigung reserviert. Seine zuständige Ministerin meldet die Aufstockung der Munitionsbestände an, die bisher nur den Bedarf in Friedenszeiten abdeckten. Militärmanöver und NATO-Konferenzen, sowie Aktivitäten der EU lassen auf Konzepte schließen, die mit langen Kriegshandlungen in der Ukraine rechnen. Die NATO sieht sich nicht als Kriegsteilnehmer, nimmt sich aber das Recht Waffen zu liefern, mit Geheimdienst-Erkenntnissen zu helfen und diplomatische Unterstützung zu geben (Berliner Zeitung 1.12.2022).

Die Wortschöpfungen Überpreise/Preisdeckel/Energiepreisbremse sind noch auf ihrer Bedeutung hin vom Wähler zu verarbeiten. Der Finanzminister der Ampelregierung hat sie in die finanzwirtschaftliche Landschaft eingeführt. Die Worte sollen ein Zuviel an überschüssigen Gewinnen markieren. Möglichkeiten der Abschöpfung durch den Staat eröffnen und Grenzen setzen (Deckeln). Die weitere Spaltung der Gesellschaft soll eingeschränkt werden.

Die Sache zu hoher Gewinne ist nicht neu. Den Vorgang haben bereits der Sohn eines Fabrikanten, Friedrich Engels, und sein Freund Karl Marx analysiert. Sie nannten den überschüssigen Gewinn über die Deckung der Normalkosten hinaus „sur plus“ und Profit, der nicht an Beschäftigte im Normalmodus der Wirtschaft verteilt wird. Er wird als Entnahmebetrag vom Mehrheitseigner des Kapitals beansprucht oder wird als Bonus an Vorstände verteilt. Der Profit ist seit jeher ein Ärgernis für die Beschäftigten, wenn er nicht für Investitionen im Arbeitsschutz, Lohnerhöhungen oder ähnlichen Erleichterungen der Arbeit Anwendung findet. Der sehr grobe Blick auf den Profit sieht auch, dass er die Gesellschaft in Reiche und Arme z.B. durch Hartz IV, dem Geschöpf der SPD, spaltet. Gewerkschaften fordern als Inflationsausgleich gerechterweise Lohnerhöhungen. Das Verhandlungsergebnis der IG Metall im November dieses Jahres von reichlich 8 Prozent verteilt auf 3 Jahre ist dürftig, wenn die Inflation 8 bis 10 Prozent beträgt, und ein Ende der Preisentwicklung nicht absehbar ist.

Der Finanzmister von der FDP will einen Teil der überschüssigen Einnahmen in seine Staatshaushaltskasse überführen, um Ausgleichszahlungen für die hohen Energiepreise an die Wirtschaft und Bevölkerung ohne zusätzliche Kreditaufnahmen zu ermöglichen. Dann schwebt ihm noch eine Deckelung der Preise vor, sowie gemeinsam mit dem Kanzler die Weichspülung der Hartz-IV-Gesetze.

Seine Ideen Preisgrenzen einzuführen, die Profite zu verteilen und Steuergelder an Bedürftige umzulenken entstammen dem Programm der Partei Die Linke. Die Unsicherheiten für den Wähler wachsen an.

Die Ursachen der Preismisere liegen in der Politik der Sanktionen. Die Argumentation für ihre Einführung 2022 war wirtschaftswissenschaftlich grottenschlecht, wenn ihre kurz- und langfristigen Auswirkungen für den Welthandel und die bisherige Wirtschaftsentwicklung bedacht werden. Die wirtschaftspolitische Unbedachtheit betrifft die Folgen für die Investitionspolitik, die in wichtigen Bereichen vieljährige Zeiten benötigt. Deutschland hat für die industrielle Revolution über 60 Jahre gebraucht. Eine Revolution für die Energiesicherung in der globalisierten Welt wird ähnliche Zeiten beanspruchen, bis die Erzeugung und der Verbrauch unter den Aspekten der Gleichheit, Brüderlichkeit, aber besonders der Klimasicherheit sich bilanzieren. Der Hintergrund der Sanktionen ist im ideologischen Arsenal zu suchen. Sie sind das Lieblingsthema der Außenministerin (Die Grünen), die Russland für den Einmarsch in die Ukraine hart bestrafen will. Damit kein Irrtum aufkommt: Besonders im Atomzeitalter sind zwischenstaatliche Kriege aufs schärfste zu verurteilen. Sanktionen stehen gegen den freien internationalen Handel, der allen Volkswirtschaften Vorteile bringt. Der freie Handel auf verlässlicher Vertragsbasis gehört zu den Grundvoraussetzungen der Globalisierung der einen Welt.

Sanktionen im internationalen Handel waren 2022 nicht neu. Als ein Element der Systemauseinandersetzung wurden sie 1947 mit der Truman-Doktrin eingeführt. Die außenpolitische Doktrin der USA formuliert als erklärtes Ziel, den Sozialismus aufhalten und zurückdrängen (Wikipedia). Bedauerlicherweise hat sie den guten und vernünftigen Geist der Anti-Hitler-Koalition zwischen den USA, England, Frankreich und der UdSSR aufgekündigt. Vertieft wurden die Gegensätze von McCarthy mit seinen Aktionen des Antikommunismus. Damit wurden weitere Grundsteine für eine ideologische Mauer gelegt, die in Richtung Grenze Russlands verschoben wurde.

Deutschland war in diesen Zeiten auf alternativen Wegen, mit dem Ahlener Programm der CDU vom 03.02.1947 in der Bizone (Zitat: “Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden… und nur eine Neuordnung von Grund aus kann dies bewirken“), sowie mit der Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden (1946/47) und der Vereinigung der KPD und SPD am 22.4.1946 in der Ostzone. Diese Zeit kann nicht zurück kommen, aber die Geisteshaltung damaliger Politiker gibt angesichts der gegenwärtigen Spannungen sehr wohl zu denken.

Die Sanktionen gegen die sozialistischen Länder haben deren Entwicklungsprozess verlangsamt, aber nicht ernsthaft aufhalten können. Die Bevölkerung war aber stets der Leidtragende, besonders in Kuba, Venezuela.

Die Wähler in Berlin und in anderen Bundesländern sehen noch viele Merkwürdigkeiten, die mit ihren Ursachen zu durchdenken sind.

Die aktuellen politischen Parteien haben bereits ihre ersten Statements zur Nachwahl kundgetan. Sie folgen einem uralten Wahlmarketing, geschrieben etwa 64 v. d. Ztr. von Quintus Cicero, dem Bruder des berühmten Tulius C., der mit einer Wahl auch zum Konsul in Rom gekürt wurde („Commentariolium petitionis“). Eine Auswahl der Empfehlungen lautet:

  • Es bedarf großer Redekunst nirgends anzustoßen.
  • Für eine begrenzte Mandatszeit dürfe man sich verstellen.
  • Es bedarf der Schmeichelei, die im gewöhnlichen Leben unmoralisch ist, um Zustimmung zugewinnen aber zulässig.
  • Rege Betriebsamkeit sei erforderlich; es gilt die Zuneigung des Volkes zu gewinnen.
  • Es ist darauf zu achten, die Verrufenheit und Untaten der Mitbewerber, herauszustellen.

Die Repräsentative und die Partizipative Demokratie leben von der erreichten Zahl der Stimmen.

Das Wahlrecht gehört zu den hohen Gütern, die die Machtlosen und Abhängigen besitzen. Die Wahlteilnahme ist daher eine der wenigen Chancen Veränderungen zu erreichen. Wofür eine Partei steht, ist den Parteiprogrammen zu entnehmen. Wahlprogramme sind reine Marketing- und Werbeinstrumente.


Der Autor Günter Buhlke ex. Vorstand einer Berliner Wohngenossenschaft, ex. Direktor beim Schweizer Kaufmannsverband beschreibt in seinem neuen Buch „Hat die Welt eine Zukunft?“ Verlag am Park, ISBN 978-3-947094-79-0 (Verlag am Park, 194 S.) Alternativen für eine humane Welt.

Hat die Welt eine Zukunft?