Urs P. Gasche für die Onlinezeitung Infosperber
Russland lasse Menschen mutwillig verdursten und erfrieren, erklärte die Aussenministerin: «ein brutaler Bruch der Zivilisation».
Wörtlich sagte Annalena Baerbock: «Wir erleben auf brutale Art und Weise, dass der russische Präsident jetzt Kälte als Kriegswaffe einsetzt – ein brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation.»
An einem Nato-Treffen in der rumänischen Hauptstadt Bukarest verwendete die Grünen-Politikerin den Begriff «Bruch der Zivilisation», der oft auch den Holocaust bezeichnet.
Die Bombardierung von Infrastuktur bedeute, dass Familien mit kleinen Kindern bei Minustemperaturen ohne Strom, Wasser und Wärme leben müssten. Mutwillig lasse man Menschen verdursten und erfrieren.
Es geht um die grundlegenden Menschenrechte des Überlebens, der sicheren Unterkunft und der gesundheitlichen Versorgung. Trotzdem benennen Regierungsvertreter die schrecklichen Folgen von Kriegshandlungen selten so eindringlich und verurteilen die Aggressoren selten mit so deutlichen Worten. Diese klaren Worte zugunsten von Kriegsopfern sollten Schule machen.
Kaum Solidarität mit den Kriegsopfern in Jemen und anderswo
In Jemen führte eine von den USA stark unterstützte Koalition unter Führung von Saudi-Arabien einen jahrelangen Angriffskrieg. Seit 2015 wurden gezielt auch die bescheidene, aber lebensnotwendige zivile Infrastruktur und sogar Spitäler bombardiert.
Kaum einer der 30 Millionen Einwohner, der nicht eine Angehörige, einen Freund verloren hat. Mindestens 150’000 Menschen sind in diesem Krieg gestorben – nimmt man indirekte Kriegsfolgen wie Hunger oder mangelnden Zugang zu Gesundheitsversorgung hinzu, sind es laut UNO wohl eher 300‘000. Drei Viertel der 30 Millionen Einwohner sind laut UNO auf humanitäre Hilfe angewiesen, rund 400’000 Kinder sind unterernährt. 3,5 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen. Die in Jemen entstandene Lage bezeichnete die UNO als «grösste humanitäre Krise der Welt».
Zur Brutalität der Angriffe auf zivile Ziele und die Zerstörung der Infrastruktur blieben deutliche Worte der deutschen Regierung aus. Die betroffene Bevölkerung kam in den Medien kaum zu Wort.
Das gleiche Wegschauen gab es auch bei den anderen grossen Kriegen der letzten Jahre.
In Afghanistan, wo ebenfalls viele zivile Ziele angegriffen wurden, waren nach Schätzung der Brown-Universität im US-Bundesstaat Rhode Island unter den 240‘000 Kriegstoten mindestens 70’000 Zivilisten.
In Irak, wo ebenfalls viel an ziviler Infrastruktur zerstört wurde, schätzt eine Studie der Washington University in Seattle die Zahl der Kriegstoten auf 500‘000 Menschen, davon mindestens 160‘000 Zivilpersonen.
Das schreckliche Schicksal der betroffenen Zivilbevölkerungen hat die Bundesregierung damals kaum angesprochen und auch Medien waren bei den Betroffenen kaum anwesend. Die Öffentlichkeit wurde nicht fast täglich von den Gräueln dieser Kriege aufgerüttelt, wie es von der Bedeutung her eigentlich hätte sein sollen. Unschuldige Opfer bleiben unschuldige Opfer, auch wenn sie etwas weiter weg und in bescheidenerem Wohlstand als wir leben.
Das Wegschauen darf nicht damit begründet werden, dass sich Menschen stärker betroffen fühlen, je näher ein Krieg tobt. Denn die Distanz allein ist für die Betroffenheit nicht entscheidend. Der Krieg in Libyen beispielsweise fand und findet ebenso nahe an der Schweiz statt wie der Krieg in der Ukraine. Die geografische Distanz zu den Kriegen in Irak und Syrien war nur doppelt so gross. Die Kriege in Äthiopien und im Jemen sind nur dreimal so weit weg.
Der Verdacht liegt nahe, dass wir das Schicksal von Frauen und Männern anderer Kulturen weniger ernst nehmen – trotz aller Beteuerungen universeller Menschenrechte.
«Opfer von Kriegen sind alle gleich, aber einige sind gleicher als andere», erklärte dazu der algerisch-kanadische Journalist Maher Mezahi gegenüber BBC. Er bezog sich auf die Kriege in Äthiopien und Kamerun. Zwar werde bei uns auch über Konflikte in Afrika berichtet, «aber es gibt keine 24-Stunden-Berichterstattung, keine Live-TV-Ansprachen von Weltpolitikern und keine enthusiastischen Hilfsangebote».