28 Organisationen aus der Entwicklungs-, Friedens- und Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfsorganisationen fordern ein strenges Rüstungsexportkontrollgesetz mit Verbandsklagerecht.
Ein breites Bündnis von 28 zivilgesellschaftlichen Organisationen fordert die Mitglieder des Bundessicherheitsrates und die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien in einem Offenen Brief dazu auf (siehe auch Attachment), ein strenges Rüstungsexportkontrollgesetz mit einem Verbandsklagerecht zu schaffen.
Die unterzeichnenden Organisationen dringen darauf, dass das derzeit erarbeitete Rüstungsexportkontrollgesetz dem Zweck dient, das Friedensgebot des Grundgesetzes umzusetzen, Abrüstung zu fördern und menschliches Leid zu vermindern.
Dazu muss u.a. die Möglichkeit geschaffen werden, dass für jedes Land und bei Verstoß gegen jedes Kriterium des Gemeinsamen Standpunktes der EU Rüstungsexportgenehmigungen unabhängig von dem konkreten Rüstungsgut abgelehnt werden können. Die vorgesehene Möglichkeit dieses grundsatzbasierten Ansatzes bei Menschenrechtsverletzungen in Drittländern in den Eckpunkten zum Rüstungsexportkontrollgesetz wird entsprechend begrüßt, muss jedoch konsequent ausgeweitet werden.
Zudem fordern die unterzeichnenden Organisationen nachdrücklich die Einführung eines Verbandsklagerechts. Rüstungsexportgenehmigungen müssen juristisch daraufhin überprüft werden können, ob sie rechtmäßig im Rahmen des Rüstungsexportkontrollgesetzes erteilt worden sind. Ohne diese Kontrollmöglichkeit ist die Glaubwürdigkeit des Gesetzesvorhabens mehr als fraglich.
Darüber hinaus muss in dem Rüstungsexportkontrollgesetz ein Exportverbot von Kleinwaffen und leichten Waffen nach der UN-Definition verankert werden, da die derzeit angewendete EU-Definition von Kleinwaffen den größten Teil der insgesamt exportierten Handfeuerwaffen nicht erfasst.
Das Bündnis vereint eine große Gruppe der in Deutschland aktiven Zivilgesellschaft: die Friedensbewegung, Hilfs- und Entwicklungsorganisationen sowie Menschenrechts-organisationen und weitere. Sie sprechen mit einer Stimme und richten sich mit Nachdruck an die Mitglieder der Bundesregierung. Deutschland muss seinen nationalen, europäischen und völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und das friedliche Zusammenleben der Völker fördern. Statt Rüstungsexporten aus europäischen Gemeinschaftsprojekten zuzustimmen, mit denen das humanitäre Völkerrecht verletzt wird, muss den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht zur Durchsetzung verholfen werden. Rüstungsexportgenehmigungen müssen die Ausnahme und nicht mehr die Regel darstellen und ihre Rechtmäßigkeit muss juristisch überprüft werden können.
Offener Brief an die Mitglieder des Bundessicherheitsrates und die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 BerlinBerlin, 14.12.2022
28 Organisationen aus der Entwicklungs-, Friedens- und Menschenrechtspolitik und humanitäre
Hilfsorganisationen fordern: Strenges Rüstungsexportkontrollgesetz mit Verbandsklagerecht vorlegen!Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Dr. Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz,
sehr geehrter Herr Lindner, Bundesminister für Finanzen,
sehr geehrte Frau Faeser, Bundesministerin des Inneren und für Heimat,
sehr geehrte Frau Baerbock, Bundesminister des Auswärtigen,
sehr geehrter Herr Dr. Buschmann, Bundesminister der Justiz
sehr geehrte Frau Lambrecht, Bundesministerin der Verteidigung,
sehr geehrte Frau Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
sehr geehrter Herr Schmidt, Bundesminister für besondere Aufgaben,
sehr geehrter Herr Dr. Mützenich, Vorsitzender der Bundestagsfraktion SPD,
sehr geehrte Frau Haßelmann, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen,
sehr geehrte Frau Dröge, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen,
sehr geehrter Herr Dürr, Vorsitzender der Bundestagsfraktion FDP,wir, die unterzeichnenden Organisationen, begrüßen, dass das im Koalitionsvertrag verabredete Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg gebracht werden soll. Die am 13. Oktober 2022 durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgelegten Eckpunkte zu diesem Gesetz haben wir jedoch zum größten Teil mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen, wenngleich wir auch einige wenige positive Punkte darin sehen. Wie in den beiden Fachgesprächen am 29. und 30. November zu den Eckpunkten diskutiert, müssen die kritisierten Schwach- und Leerstellen der Eckpunkte im Entwurf für das Rüstungsexportkontrollgesetz dringend behoben werden. Sollte dies nicht der Fall sein, befürchten wir, dass die Rüstungsexporte nicht zurückgehen werden und keine wirksame parlamentarische und öffentliche Kontrolle der exekutiv verantworteten Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern geschaffen wird.
Wir wenden uns daher an Sie als Mitglieder der Bundesregierung und der Regierungsparteien, die als Ressortverantwortliche und Fraktionsvorsitzende maßgeblich in den Abstimmungsprozess um den ersten Gesetzentwurf involviert sind und fordern Sie nachdrücklich auf, sich für deutliche Verschärfungen und ein Verbandsklagerecht einzusetzen.
Es ist ein enorm wichtiger, aber auch längst überfälliger Schritt, dass Rüstungsexporte in menschenrechtsverletzende Drittstaaten nicht mehr genehmigt werden sollen, unabhängig von dem spezifischen Rüstungsgut. Dieser grundsatzbasierte Ansatz muss konsequenterweise jedoch bei allen Kriterien – wie beispielsweise der Verletzung des humanitären Völkerrechts – angewendet werden können. Ebenso müssen die Kriterien für alle potenziellen Empfängerländer gelten. Entsprechend ist es nur zu begrüßen, dass in den Eckpunkten das Menschenrechtskriterium erstmals explizit als Kriterium benannt ist, um Rüstungsexporte in die EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Staaten beschränken zu können. Allerdings wird den anderen Kriterien dieser Stellenwert in den Eckpunkten nicht beigemessen. Diese Aufrechterhaltung der Privilegierung der EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Länder widerspricht dem Zweck der Exportkontrolle, nämlich Frieden und Abrüstung zu fördern und menschliches Leid zu vermindern – egal in welchem Land.
Wir kritisieren zudem, dass Drittländer als „grundsätzlich genehmigungsfähig“ eingestuft werden können und fordern, dass diese Möglichkeit zurückgenommen wird. Denn sollte dies auch für Kriegswaffen gelten, verstieße das zu schaffende Gesetz gegen das grundsätzliche Exportverbot von Kriegswaffen gemäß Art. 26, Abs. 2 Grundgesetz sowie das grundsätzliche Exportverbot von Kriegswaffen in Drittstaaten gemäß den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung.
Wir kritisieren außerdem scharf, dass für Kleinwaffen und leichte Waffen weder ein absolutes noch ein grundsätzliches Verbot nach UN-Definition angestrebt wird. Revolver, Pistolen, Scharfschützengewehre und Pump-Guns, die derzeit nicht unter die angewendete EU-Definition von Kleinwaffen fallen, müssen erfasst werden und den gleichen Restriktionen unterliegen, entsprechend Artikel 5, Abs. 3 des Waffenhandelsvertrages (ATT).
Wir begrüßen ausdrücklich, dass gemäß den Eckpunkten die Opfer illegaler Rüstungsexporte in ihren Rechten gestärkt werden sollen durch die Einführung der zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeit sowie die angestrebte Nebenklagefähigkeit, die verbindlich festgeschrieben werden muss.
Wir kritisieren jedoch massiv, dass ein Verbandsklagerecht, welches zentraler Bestandteil eines wirksamen Rüstungsexportkontrollgesetzes sein muss, bislang nicht vorgesehen ist. Das Fehlen dieser Möglichkeit, die rechtskonforme Anwendung des Gesetzes gerichtlich überprüfen lassen zu können, stellt aus unserer Sicht die Glaubwürdigkeit des Gesetzesvorhabens mehr als in Frage. Ausfuhrgenehmigungen von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die alleinig in der Entscheidungsgewalt der Exekutive liegen, hatten und haben so weitreichende Konsequenzen, dass eine wirksame Kontrolle der erteilten Genehmigungen notwendig ist.
Damit in engem Zusammenhang stehend, bemängeln wir, dass die vorgesehene Begründungspflicht für Kriegswaffenexporte in Drittstaaten nur auf Verlangen und mündlich gegenüber den einschlägigen Ausschüssen gelten soll und nicht auch gegenüber der Öffentlichkeit. Dies wäre jedoch notwendig. Denn eine Begründungspflicht setzt nicht nur die Rechenschaftspflicht der Bundesregierung bzw. der Exekutive gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit um, sondern dient auch dazu, die Debatte über die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung im Rahmen des außen- und sicherheitspolitischen Diskurses zu versachlichen.
Weiterhin fehlt die verbindliche Verankerung der Sorgfaltspflicht für Rüstungsunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette für die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Dies steht in klarem Widerspruch zum derzeit geltenden internationalen Rahmen (UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen). Genehmigungsentscheidungen der staatlichen Behörden sind hierfür kein Ersatz.
Darüber hinaus kritisieren wir, dass europäische Kooperationen weiter ausgebaut werden sollen, obwohl einzelne Rüstungsexporte aus solchen Kooperationen in der Vergangenheit den rechtsverbindlichen Gemeinsamen Standpunkt der EU verletzt haben. Zudem ist nicht absehbar, dass zeitnah eine EU-Rüstungsexportverordnung geschaffen wird, die die Möglichkeit enthält, Verstöße gegen diese zu sanktionieren. Erschwerend kommt hinzu, dass den Eckpunkten zufolge zwischenstaatliche Verträge die nationale Gesetzgebung aushebeln sowie bei Gemeinschaftsprojekten künftig Mehrheitsentscheide an Stelle des Veto-Rechts beteiligter Länder treten können sollen. Das Veto-Recht stellt jedoch einen Grundsatz der europäischen Rüstungspolitik dar. Es dient zum einen der Durchsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und des rechtsverbindlichen Gemeinsamen Standpunktes der EU, zum anderen ist nur so eine Verfassungskonformität gegeben. Eine Übertragung der Hoheitsrechte auf ein zwischenstaatliches Gremium wäre nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag legitimiert, dem der Bundestag zustimmen müsste. Das Übereinkommen über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien, dass gemäß den Eckpunkten als Blaupause für eine Ausweitung der länderübergreifenden Zusammenarbeit dienen soll, stellt aktuell keinen völkerrechtlichen Vertrag dar.
Daher fordern wir Sie als Mitglieder der Bundesregierung und Fraktionsvorsitzende der Regierungsparteien eindringlich auf, folgende Veränderungen im Gesetzentwurf vorzunehmen:
- Es wird ein Verbandsklagerecht eingeführt.
- Die rechtliche Unterscheidung von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wird aufgehoben, wodurch auch sonstige Rüstungsgüter dem grundsätzlichen Exportverbot, wie es für Kriegswaffen gilt, unterliegen.
- Die Prüfkriterien gelten für alle Empfängerländer gleichermaßen. Die Privilegien für EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Staaten im Genehmigungsverfahren werden abgeschafft. Eine gesetzliche Befugnis zur Ausweitung der NATO-gleichgestellten Staaten wird nicht geschaffen.
- Bei Verstößen gegen die Kriterien – nicht nur das Menschenrechtskriterium – können Ausfuhrgenehmigungen unabhängig von der konkreten Verwendung des Rüstungsgutes abgelehnt werden.
- Es wird ein Exportverbot von Kleinwaffen und leichten Waffen, dazugehöriger Munition, Teilen und Komponenten nach UN-Definition sowie Lizenzen, Software und Technologie (Herstellungsausrüstung) festgeschrieben.
- Es wird eine Genehmigungspflicht eingeführt für die technische Unterstützung, Gründung von Tochterunternehmen im Ausland, Gründung von Gemeinschaftsunternehmen im Ausland/Joint Venture oder den Erwerb von Firmenanteilen im Ausland zum Zweck der Herstellung und dem Inverkehrbringen von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern.
- Ausnahmen von dem Exportverbot in ein Land, das in einen zwischenstaatlichen Konflikt verwickelt ist, können nur dann möglich sein, wenn gemäß Art. 51 der UN-Charta das Recht auf Selbstverteidigung ausgeübt wird. Die völkerrechtswidrige Androhung von Gewalt wird nicht als neuer Ausnahmetatbestand eingeführt.
- Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden schriftlich und öffentlich begründet.
- Die Nebenklagefähigkeit für die Opfer illegaler deutscher Rüstungsexporte wird eingeführt.
- Die Sorgfaltspflicht von Rüstungsunternehmen, die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu gewährleisten, wird verankert.
- Die Veto-Möglichkeit bei Gemeinschaftsprojekten bleibt erhalten.
Gerne stehen wir Ihnen für weiterführende Gespräche zu diesen Forderungen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!
Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)
Amnesty International Deutschland e.V.
Berliner Initiative ‚Legt den Leo an die Kette‘
BremerFriedensforum
Centre for Feminist Foreign Policy
Deutsche Franziskanerprovinz
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden
Forum Ziviler Friedensdienst e.V. (forumZFD)
Frauennetzwerk für Frieden e.V.
Friedensfestival Berlin
Greenpeace Deutschland e.V.
Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)
Kooperation für den Frieden
Leitungskreis des Forum Friedensethik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden
México vía Berlín e.V. (MvB)
Netzwerk Friedenskooperative
Netzwerk Friedenssteuer
Ohne Rüstung Leben
Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI)
Partner Südmexikos e.V.
pax christi – Deutsche Sektion e.V.
RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.)
terre des hommes Deutschland
Volksinitiative gegen Rüstungsexporte Hamburg
Zapapres e.V.