Grand Bassam, die ehemalige Hauptstadt des Landes, wird jedes Jahr für zwei Wochen zum Leben erweckt. Das ist die unvermeidliche Abissa, der Augenblick, in dem für die Nzima Kotoko, ein Akan-Volk von der Elfenbeinküste und aus Ghana, das neue Jahr eingeläutet wird.
Über die Zeit der Feierlichkeiten hinaus nährt die Abissa zutiefst die lebendigen Bausteine der Gemeinschaft.
Es geht insbesondere darum, die Verbindungen zwischen den einzelnen Personen aufrechtzuerhalten, zu reinigen und eine dauerhafte Gesellschaft aufzubauen, die sich in ewigem Wandel befindet. Die diesjährige Veranstaltung feiert „Frieden und sozialen Zusammenhalt“, die Essenz dieser jahrhundertealten Institution.
Diese Feier stützt sich auf die Institution der mündlichen Traditionen, die sich um ein gemeinsames Interesse drehen. Sie basiert auch auf der speziellen Organisation der Gemeinschaft.
Erstens ist die Gesellschaft matrilinear: Die hoch angesehenen Frauen gelten als symbolische Dreh- und Angelpunkte der sozialen Weitergabe; sie werden während der Abissa einen privilegierten Platz einnehmen.
Zweitens besteht die Gesellschaft aus sieben solidarischen Sippen, die gemeinsam für und mit der Gemeinschaft eine Einheit bilden. Letztendlich ist der König der Garant für ein für alle angemessenes Führungssystem, das jedes Jahr in der Zeit der Abissa hinterfragt wird.
Dieses Jahr fand die Abissa vom 23. Oktober bis zum 6. November 2022 statt. Die angestammte Institution ist sehr anspruchsvoll. Wie jeder kollektive Übergangsritus erscheint sie für Neulinge nicht nachvollziehbar, obwohl sie einem enorm systematisch festgelegten Ablauf folgt und durch einige Verbote geprägt ist: die Komians, die Heilerinnen und Fetischistinnen praktizieren während dieser Zeit nicht. Die Verstorbenen harren dem Ende der Feierlichkeiten, um begraben zu werden. Am Ende ist keine Musik erlaubt, um den Klang der heiligen Trommel, der Edo-N’gbolé, nicht zu stören.
Die erste Woche ist die Woche von Siedou, das Zurückziehen der heiligen Trommel. Der Edo-N’gbolé, Vermittler zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, spielt eine zentrale Rolle während der Abissa, da er die Tür zwischen den Welten öffnet und danach wieder schließt. Die Eröffnungsphase des Siedou ist eine Zeit der Stille, der Besinnung und der Vorbereitung, die ausschließlich für die NZima Kotoko zugänglich ist. Diese Zeit gehört ihnen ohne mögliche Ausnahme.
Der Pivot-Tag, dieses Jahr am Sonntag, 30. Oktober, markiert den Übergang zwischen Siedou, der vertraulichen und heiligen Zeit für die NZima Kotoko und Gouazo, die Zeit der Öffnung und der öffentlichen Veranstaltungen.
Der Übergang beginnt im Palast des Königs. Die Würdenträger der sieben Sippen und ihrer Attribute sind anwesend, sowie junge Mädchen und einige Plätze für die Bevölkerung, die bei diesem Anlass ausnahmsweise zum Hofe des Königs zugangsberechtigt ist.
Alle warten auf die Musiker, deren Trommeln seit langem den König rufen. Schließlich kommt Ihre Majestät Awoulae Tanoe Amon aus dem Palast und nimmt in Begleitung der Königinmutter den Platz ein. So beginnt die Zeremonie der Übergabe: das Volk der Peule übergibt dem König den Edo-N‘gbolé und markiert damit das Ende des Rückzugs der heiligen Trommel. Danach überlässt er ihn erneut dem Volk, um die Woche der Feierlichkeiten zu starten.
Die ersten vibrierenden Tanzschritte werden von der Königinmutter und einigen älteren Frauen initiiert, die sich durch den einzigartigen Klang der Edo-N’gbolé an den ursprünglichen Rhythmus erinnern.
Dann ist es Zeit, den Palast zu verlassen und sich zum zentralen Platz zu begeben, wo die ganze Bevölkerung die Eröffnung der Woche der Festlichkeiten erwartet. Der Abend ist dem Tanz zu den ununterbrochenen Klängen der Trommeln gewidmet.
Um die Musiker herum, die sich auf einer kreisförmigen Bühne in luftiger Höhe niedergelassen haben, wird eine dichte Menge junger Menschen lebendig und tanzt, während sie sich unermüdlich um die Musiker drehen. Ein anderer Bereich ist den Tänzen gegenüber einer Tribüne gewidmet: Alle tanzen, zuerst nur die Frauen, anschließend nur die Älteren, dann die aktiven Erwachsenen (die „treibenden Kräfte“), dann nur die Kinder, bevor alle Generationen zusammenkommen, um den Rhythmus der Trommeln mit ihren Schritten auf dem Sand zu skandieren. Diese Tänze dauern bis zum Einbruch der Dunkelheit.
So beginnt die Gouazo-Woche, eine Woche, in der die Generationen aufeinandertreffen und Sozialkritik geübt wird. Mit der vom König anvertrauten heiligen Trommel erlangt so das Volk für einige Tage seine Souveränität wieder. Das ist die Zeit der Kritik, anständig und trotzdem offen und respektvoll. Das Volk sagt seine Meinung frei heraus, um ein für den König und die Behörden angemessenes Führungssystem sicherzustellen. Das gemeinsame Ziel ist es, weiterhin miteinander glücklich und in Frieden zu leben.
Die Gouazo-Woche ist eine Aufeinanderfolge von Momenten der Feierlichkeiten, Paraden und Ritualen: der erste Tag ist der Tag der Jugend, die unter 30jährigen sind die „Erben und Praktizierenden der Werte des Friedens“. Dann folgt das Abissa-Sakrament: Der Edo-N’gbolé wird gereinigt und der König unternimmt seinen ersten Ausflug aus dem Palast. Der nächste Tag ist der Tag der Frauen, als grundlegende Einheit für die Vermittlung der Kultur des Friedens und des Zusammenhalts. Dann folgt der Tag der treibenden Kräfte, die 30- bis 59-Jährigen bilden die Grundlage für die sozioökonomische Entwicklung des Volkes. Der nächste Tag gehört den traditionellen Oberhäuptern, den Vorstehern der Siedlungen und den Angehörigen der Sippen, Garanten für Zusammenhalt und Frieden.
Der Höhepunkt ist der letzte Tag des Zusammenhalts des NZima-Kotoko-Volkes, an dem alle gemeinsam den Frieden durch Abissa feiern.
Mit Ewoudolè und Bouakèzo schließlich werden die Feierlichkeiten und der Jahresübergang abgeschlossen. Ewoudolè ist die Zeremonie des Wiedersehens von Afantchè, der Gottheit der Vergebung in der Abissa; sie ist es, die es ermöglicht, sich von Hass und Groll zu befreien.
Bouakèzo ist die Zeit der Reinigung durch ein Bad: zuerst die Reinigung des Volkes, danach die Reinigung des Königs. Dann können der König und die Königinmutter den Platz betreten, um die Wünsche auszutauschen: jede Generation (die Jugend, die treibenden Kräfte und die Weisen) und die Frauen werden sie dem König überbringen, der König wird seine Neujahrsbotschaft an das Volk richten. So enden die zwei Wochen von Abissa.
In jeder Phase dieses kollektiven Übergangsrituals geht es darum, zugunsten der Ideale des Friedens, des Zusammenhalts und der Solidarität zu handeln. Es handelt sich darum, soziale und generationsübergreifenden Synergien durch eine äußerst gesellige Zeit der Zusammenkunft und des Austauschs zu stärken.
Jeder kennt seinen Platz und seinen Beitrag zur Gesellschaft, die lebendige Verbindung mit der Tradition ermöglicht die nachhaltige Gestaltung für die Zukunft, Edo-N’gbolé öffnet und schließt die sichtbaren und unsichtbaren Dimensionen, die miteinander kommunizieren. Alle finden sich in Freude und beim Tanz wieder, um Jahr für Jahr ihr Engagement für Frieden und sozialen Zusammenhalt bewusst und freiwillig zu pflegen.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!