Von der deutschsprachigen Öffentlichkeit kaum bemerkt, haben die Leaks des Hackerkollektivs Guacamaya im Laufe des vergangenen Monats mehrere lateinamerikanische Länder erschüttert. Zu den sechs Terabyte geleakten Daten gehören unter anderem sensible Militärinformationen aus Mexiko, Chile, El Salvador, Peru und Kolumbien. Sie geben Aufschluss über operative und nachrichtendienstliche Militäraktivitäten der vergangenen zehn Jahre. Das Guacamaya-Kollektiv behauptet, die Sicherheitslücke habe ganze elf Monate lang existiert.
Politiker*innen wie der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) haben den Hack als Risiko für die nationale Sicherheit bezeichnet. Doch die Leaks zeigen: Dieses Sicherheitsrisiko ist nicht akut, sondern vielmehr strukturell. Während die Entschlüsselung der Dokumente noch läuft, sehen Kritiker*innen bereits jetzt bestätigt, was sie schon lange vermuten – nämlich weit verbreitete Militärspionage gegen vermeintliche innere Feind*innen.
So interessierte sich der Nachrichtendienst des chilenischen Militärs (DINE) brennend für die Privatgespräche einiger Ex-Militärs, die Korruption im Apparat denunziert hatten. Das mexikanische Militär, das auch in das Verschwinden der 43 Studenten in Ayotzinapa verwickelt ist (siehe Seite 21), beobachtete unter anderem die Sängerin Mon Laferte – wohl wegen ihrer feministischen Liedtexte. Auch die Europareise der zapatistischen Delegation im vergangenen Jahr wurde untersucht, wie Dokumente der mexikanischen Botschaft in der Schweiz zeigen. Sogar die LN haben es mit einem Post zum Tren Maya, dem Infrastrukturprojekt mit Unterstützung der Deutschen Bahn, in den Bericht geschafft.
In den Militärapparaten lebt das Feindbild des Kalten Krieges weiter. In Chile wurde der militärische Sicherheitsdienst maßgeblich von der Pinochet-Diktatur geprägt. Der interne bewaffnete Konflikt in Peru trimmte das Militär ebenso darauf, gegen alles Linke rabiat vorzugehen. Menschenrechtsaktivist*innen, die vermitteln wollten, wurden zum Feind erklärt. Heute steht in militärischen Berichten, dass Amnesty International und andere NGOs die Bevölkerung gegen den Bergbau indoktrinieren und linke Parteien werden verdächtigt, Fassade der Guerilla Leuchtender Pfad zu sein.
Die schiere Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien, die heute Gegenstand von Militärspionage sind, steht in Chile und Peru sinkenden Militärausgaben gegenüber. Dagegen nehmen die für Verteidigung zur Verfügung gestellten Mittel in Mexiko stetig zu. Die Leaks enthüllten nun, dass sogar die Gründung einer eigenen Tourismusagentur inklusive Fluglinie und Hotelkette vorgesehen ist – für die Altersversorgung der Streitkräfte, so AMLO. Mexikos Militär scheint in den vergangenen Jahren in alles außer die eigene Cybersicherheit investiert zu haben – eine billige Software im Verteidigungsministerium war nun scheinbar Einfallstor für das Hackerkollektiv. Das Beispiel zeigt, dass mehr Geld für Militär und Sicherheitsbehörden kein Garant für mehr Sicherheit ist. Und die Leaks beweisen: Wenn die finanzielle Aufstockung der Streitkräfte nicht an zivile Kontrollmechanismen gebunden wird, werden kalte Krieger*innen fortan noch besser ausgestattet vermeintliche Staatsfeind*innen zu beobachten.
Auch in Deutschland standen letztere lange links. Nun soll zwar der Verfassungsschutz reformiert und Soldaten des KSK der Rechtsextremismus wegtherapiert werden. Doch der verharmlosende Umgang mit rechten Strukturen in deutschen Sicherheitsbehörden zeigt ebenso wie die Guacamaya Leaks, dass Geheimdienste weniger zum Schutz der Demokratie agieren, sondern politische Gegner*innen überwachen und am Ausbau des eigenen Einflusses arbeiten. Wenn die Bundeswehr jetzt mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen aufgestockt wird, um „den sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen zu sein“, stellen sich also für die gesellschaftliche Linke wichtige Fragen. Etwa, wie viel von den 20,8 Millionen Euro für „Führungsfähigkeit und Digitalisierung“ für neue Überwachungstechnik ausgegeben wird. Und, wer dann zum Ziel dieser Überwachung wird. Es bleibt zu hoffen und dafür zu sorgen, dass diese Fragen nicht erst mit dem nächsten Leak beantwortet werden.