Die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 sind allem Anschein nach aufgrund von Detonationen beschädigt worden und fallen als mögliche Transportrouten vorerst aus. Den Urheber dieses vermeintlichen Anschlags wird man – falls überhaupt möglich – erst nach einer internationalen Untersuchung klären können. Als Verantwortlicher dafür kommt vor allem die USA infrage, die Gegner des russisch-europäischen Energieprojekts sind und im Februar sogar erklärt hatten, Nord Stream 2 im Fall eines Einmarsches Russlands in die Ukraine unbenutzbar zu machen.
Von Alexander Männer
Die russischen Pipelines Nord Stream 1 und 2 sind allem Anschein nach aufgrund von Detonationen beschädigt worden und fallen als mögliche Transportrouten für die Gasversorgung Europas für unbestimmte Zeit aus. Den Urheber dieses vermeintlichen Anschlags wird man – falls überhaupt möglich – erst dann klären können, nachdem eine internationale und objektive Untersuchung durchgeführt worden ist.
Wie im ersten Teil des Artikels dargelegt, haben zwar viele Staaten und internationale Akteure ein Motiv für die Ausschaltung von Nord Stream, in Anbetracht des Aufwands kommt aber nur ein staatlicher Akteur infrage. Zahlreiche westliche Beobachter zeigen dabei vor allem auf Russland, das im Zusammenhang mit der Energiekrise seine eigenen Ziele verfolge und darum sogar die Zerstörung seiner eigenen Infrastruktur in Kauf nehmen würde.
Trotz der Tendenz des Westens, immer zuerst die Russen zu verdächtigen, halten sich die europäischen Regierungen in diesem Zusammenhang mit Schuldzuweisungen derzeit jedoch zurück. Nicht aber die europäischen Leitmedien, die sich nach dem Pipeline-Zwischenfall umgehend daran gemacht haben, die Schuld einzig und allein Moskau zuzuschieben und das Narrativ der offensichtlichen Verantwortung Russlands zu verbreiten.
Angesichts der politischen Spannungen um Nord Stream sind vor allem die Vereinigten Staaten als Urheber der vermeintlichen Sabotage in Betracht zu ziehen, da sie nicht nur mehrfach betont haben, den europäischen Gasimport aus dem Osten unterbinden zu wollen, sondern auch ganz klar den größten wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzen davon hätten, die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Deutschland durch die Ausschaltung der Ostsee-Pipelines entscheidend zu schwächen
USA contra Nord Stream 2
Die offenkundige Tatsache, dass Washington der Hauptnutznießer des Aus von Nord Stream ist, scheint den meisten Journalisten entgangen zu sein. Trotzdem haben diverse Medien neben den Schuldzuweisungen an die Führung in Moskau auch darauf hingewiesen, dass die Gegner Russlands hinter dem Zwischenfall stecken könnten, ohne dabei konkrete Staaten oder Akteure zu benennen.
Damit kommen vor allem die US-Juniorpartner Ukraine und Polen in Frage, die als Transitländer bei der Energieversorgung Deutschlands nun eine herausragende Rolle beanspruchen können. Beide Staaten hatten immer wieder die Demontage von Nord Stream 2 gefordert und verlangen heute von der Europäischen Union, auf den Import von russischem Erdöl und Gas komplett zu verzichten.
Die USA haben diese Position stets unterstützt und kündigten ihrerseits im vergangenen Februar sogar an, Nord Stream 2 im Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine unbenutzbar zu machen.
Ausgehend von den technischen Möglichkeiten für die Durchführung eines Anschlags auf die Pipeline in 70 Metern Tiefe sind die US-Militärs ihre ukrainischen und polnischen Kollegen allerdings weit voraus. Zudem befanden sich zu dem Zeitpunkt der Sabotage viele amerikanische Kriegsschiffe in der Ostsee und östlich von Bornholm, wo ein großer US-Kampfverband im Rahmen der NATO operierte.
Aus ökonomischer Sicht steht es außer Frage, dass Amerika ein großes Interesse daran hat, preiswerte russische Rohstofflieferungen nach Deutschland, das zu den wichtigsten Konkurrenten der USA auf dem Weltmarkt zählt, langfristig zu verhindern. Die Biden-Regierung hatte bereits im vergangenen Jahr Nord Stream 2 mit Fragen der nationalen Sicherheit und der amerikanischen Außenpolitik in Verbindung gebracht und unternahm zudem entsprechende Schritte, um Berlin dazu zu bringen, seine Sicht auf diese Pipeline zu ändern. Dazu gehören auch die Androhung von Sanktionen an diejenigen westlichen Unternehmen, die in das russische-europäische Energieprojekt involviert waren.
US-Interessen richten sich gegen die deutsche Wirtschaft
Kritiker hatten damals schon betont, dass die Amerikaner damit in erster Linie ihre eigenen Ziele verfolgen, die mit den fundamentalen Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik nicht nur nicht konvergieren, sondern sich offenbar gegen diese richten. Der Führung in Washington geht es schlicht darum, die eigenen Produzenten und damit die US-Industrie zu stärken, in dem man die deutschen Konkurrenten ihrer billigen Energieträger aus Russland „beraubt“ und so die Beeinträchtigung der deutscher Wirtschaft forciert.
Es liegt nämlich ganz klar nicht im Interesse der USA, Konkurrenten auf dem Weltmarkt künftig Produktionsvorteile gegenüber US-Wettbewerbern zu überlassen. Darum versucht das Weiße Haus, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Deutschen langfristig an das viel teurere Flüssiggas zu binden und die deutsche Industrie damit vor eine kostspielige Produktion zu stellen. Dadurch müssten die deutsche Unternehmen mehr Ressourcen in die Herstellung investieren, was ihre Erzeugnisse bestenfalls nicht konkurrenzfähiger machen würde. So gesehen kann die US-Strategie in Bezug auf Nord Stream 2 durchaus auch als einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland auffassen.
In diesem Sinne sind die USA auch auf bessere Absatzchancen für ihr Flüssiggas (LNG) auf den europäischen Märkten aus, das mit dem deutlich billigeren russischen Pipeline-Gas bisher nicht konkurrieren konnte. Da der russische Gasimport nun extrem begrenzt wurde und es auch keine preiswerteren Alternativen zum US-amerikanischen Treibstoff gibt, stehen die Amerikaner dem Magazin Spiegel zufolge kurz davor, Europas größter LNG-Lieferant zu werden. Die Milliarden Euro, die zuvor für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem großen Teil in die Vereinigten Staaten.
Nicht zuletzt hat die Gasversorgung Deutschlands in der Ukraine auch eine wichtige politische Komponente, die den USA schon immer ein Dorn im Auge war. Der zentrale Aspekt dabei ist die Unersetzbarkeit der russischen Gaslieferungen, die Berlin immer dazu bewegt haben soll, auf russische Interessen Rücksicht zu nehmen, wie etwa im Ukraine-Krieg. Berlin weigerte sich bisher nicht nur vehement, schweres Kriegsgerät an die ukrainische Armee zu übergeben, sondern könnte die Ukrainer auch auf eine Beendigung des Konflikts mit Russland drängen. Jetzt, wo ein großer Teil der Gaslieferungen für einen langen Zeitraum wegfallen dürfte, hat Deutschland nur wenig Nutzen davon, russische Interessen zu berücksichtigen und Moskau eine partielle Aufhebung der Sanktionen in Aussicht zu stellen.
Wer steckt hinter dem Ausschalten der Nord-Stream-Pipelines (Teil 1)