Bundestagsdelegation reist nach Taiwan, will dessen „Selbständigkeit“ fördern und erklärt die Insel – völkerrechtlich ein Teil Chinas – zum „Staat“. Washington maximiert den Druck auf Beijing.
Die aktuelle Reise einer Bundestagsdelegation nach Taiwan soll dessen „Selbständigkeit“ fördern und droht damit die Spannungen um die Insel gefährlich zuzuspitzen. Man wolle mit dem Besuch „Taiwan als Staat“ unterstützen, teilte Delegationsleiter Peter Heidt (FDP) am Wochenende mit. Damit verstößt der Berliner Parlamentarier gegen das weltweit anerkannte Ein-China-Prinzip, das unter anderem von der UN-Generalversammlung schon vor Jahrzehnten bestätigt worden ist. Für den Fall, dass eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan endgültig unmöglich gemacht wird – etwa durch eine förmliche Abspaltung der Insel oder durch ihre offizielle Anerkennung als eigener Staat –, behält sich China den Einsatz militärischer Mittel vor. Der Berliner Vorstoß, der an gleichgerichtete Stellungnahmen etwa von Außenministerin Annalena Baerbock anknüpft, missachtet den Mehrheitswillen der taiwanischen Bevölkerung, die am hochsensiblen Status quo nicht rütteln will. Für den Fall, dass eine Provokation wie diejenige Berlins Beijing zu einer militärischen Reaktion anstachelt, rüsten die USA Taiwan auf – mit den gleichen Waffensystemen wie die Ukraine vor dem russischen Überfall.
Besuch auf Taiwan
Der Besuch von sechs Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Taiwan ist bereits der zweite einer deutschen Parlamentarierdelegation in diesem Monat. Eine erste Delegation war Anfang Oktober auf der Insel eingetroffen.[1] Auf dem Programm stehen erneut Gespräche mit der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen und dem taiwanischen Außenminister Joseph Wu, darüber hinaus mit weiteren Ministern, Abgeordneten und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die Berliner Delegation, die – für den Menschenrechtsausschuss bemerkenswert – in Taipei auch über „die aktuelle sicherheitspolitische und wirtschaftliche Lage Taiwans“ sprechen soll [2], will anschließend nach Japan weiterreisen und dort ebenfalls Gespräche führen – allerdings solche, die ihrem protokollarischen Rang angemessen sind. So wird sie in Tokio weder mit dem Ministerpräsidenten noch mit dem Außenminister zusammentreffen, sondern mit Mitgliedern japanischer Parlamentsausschüsse und mit Vertretern von NGOs; ausdrücklich genannt werden Gespräche mit dem Leiter der japanischen Sektion des World Uyghur Congress (WUC). Der WUC, der seinen Hauptsitz in München hat, nutzt ein Emblem der Islamischen Republik Ostturkestan, die sich 1933 kurzzeitig von China abspaltete.[3]
Abkehr vom Ein-China-Prinzip
Bereits vor der Reise hat Delegationsleiter Peter Heidt (FDP) das doppelte Ziel des Besuchs offengelegt. Demnach geht es nicht nur darum, „dass wir eng zusammenarbeiten wollen“, teilte Heidt mit; man sei zudem bestrebt, für die „Selbstständigkeit Taiwans“ einzutreten [4]: Die Insel sei ein vollgültiger „Staat“.[5] Damit torpediert der FDP-Abgeordnete offen das international anerkannte Ein-China-Prinzip, dem zufolge es nur einen chinesischen Staat gibt; die UN-Generalversammlung hat dies etwa in der Resolution 2758 vom 25. Oktober 1971 bekräftigt.[6] Damit verstärken sich die Hinweise, dass sich Berlin, entgegen anderslautenden Bekundungen, sukzessive vom Ein-China-Prinzip abzuwenden beginnt. Bereits Anfang August hatte Außenministerin Annalena Baerbock erklärt, sie „akzeptiere“ es nicht, wenn „ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt“.[7] Die Formulierung, auf eine etwaige chinesische Invasion in Taiwan gemünzt, untergräbt das Ein-China-Prinzip, indem sie die Volksrepublik und die Insel förmlich auf eine Ebene stellt. Anfang Oktober hatte der Leiter der damals in Taipei eingetroffenen Bundestagsdelegation, Klaus-Peter Willsch (CDU), die Formulierung übernommen. Auch Heidt schließt sich ihr jetzt an.[8]
„Das entscheidende Jahrzehnt“
Mit den wiederholten Attacken auf das Ein-China-Prinzip missachtet Berlin den Willen der taiwanischen Bevölkerung, die nach Umfragen vorläufig zu mehr als 85 Prozent jede Änderung an dem äußerst sensiblen Status quo der Insel ablehnt.[9] Es folgt allerdings dem Vorgehen Washingtons, das seinerseits Taiwan nach Kräften aufwertet und damit ebenfalls auf eine Änderung am Status quo abzielt. Hintergrund ist, dass die Vereinigten Staaten aktuell nach Einschätzung von US-Präsident Joe Biden in das „entscheidende Jahrzehnt“ des großen Machtkampfs gegen China eintreten und daher sämtliche Kräfte und sämtliche Mittel mobilisieren, um den weiteren Aufstieg der Volksrepublik zu verhindern.[10] So hat die Biden-Administration soeben ein breit angelegtes Halbleiterembargo gegen China verhängt, das die avanciertesten Branchen der chinesischen High-Tech-Industrie – Künstliche Intelligenz (KI), Supercomputing – von den benötigten Hochleistungschips abschneiden und so zerstören soll; Experten sprechen von einem „Enthauptungsschlag“.[11] China sei „der einzige Wettbewerber“, der „sowohl die Absicht“ habe, „die internationale Ordnung neu zu gestalten“, als auch das Potenzial dazu, heißt es in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA. Es gelte deshalb, China „niederzukonkurrieren“.[12]
„Taiwan als Staat“
Vor diesem Hintergrund provozieren die westlichen Staaten mit der sukzessiven Aufwertung Taiwans den nächsten großen Krieg. Die Volksrepublik hat gesetzlich festgelegt, dass sie auf eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan orientiert. Nur wenn die Wiedervereinigung auf friedlichem Wege endgültig unmöglich gemacht wird – sei es durch eine formelle Abspaltungserklärung Taiwans, sei es durch die Einwirkung äußerer Mächte, die Taiwan als Staat anerkennen –, behält sich Beijing den Einsatz prinzipiell aller Mittel, auch militärischer, vor. Diesen Grundsatz hat in der vergangenen Woche Chinas Kommunistische Partei auf ihrem 20. Parteitag ausdrücklich bekräftigt. Während die Bevölkerung Taiwans daher am Status quo festhalten will, beginnen die westlichen Mächte ihn sukzessive zu verändern – bis hin zum Versuch Berlins, Taiwan zu einem „Staat“ auf gleicher Ebene mit der Volksrepublik zu erklären. Für den Fall, dass der Westen tatsächlich eine chinesische Invasion provoziert, haben die Vereinigten Staaten mittlerweile begonnen, die taiwanischen Streitkräfte mit denselben Waffen wie die Ukraine vor Kriegsbeginn auszurüsten und sie ähnlich auszubilden – Taipei erhält, wie früher Kiew, tragbare Abwehrwaffen gegen Flugzeuge und Schiffe und wird auf einen Untergrundkrieg vorbereitet (german-foreign-policy.com berichtete [13]).
Keine Schlafwandler
Die Delegation des Menschenrechtsausschusses des Bundestags geht die eklatanten Risiken nicht etwa versehentlich, sondern bei vollem Bewusstsein ein. Man sei sich gänzlich im Klaren darüber, „dass wir mit einer unfreundlichen Reaktion Chinas rechnen müssen“, wird Heidt zitiert.[14] Das nehme man aber in Kauf. Heidt äußert dies mit Blick auf eine Lage, deren Kriegspotenzial in der internationalen Öffentlichkeit als recht hoch eingeschätzt wird. Erst kürzlich überschrieb das Wall Street Journal, eine der einflussreichsten US-Zeitungen, einen ausführlichen Beitrag zu den eskalierenden Spannungen rings um die Insel mit dem Titel „Der kommende Krieg um Taiwan“.[15] Die vor Jahren beliebte These, die westlichen Staaten könnten versehentlich, quasi als „Schlafwandler“, in einen Krieg steuern, ist längst überholt: Sie tun dies mutwillig, hemmungslos.
[1] S. dazu Spiel mit dem Feuer.
[2] Ausschuss für Menschenrechte reist nach Taiwan und Japan. bundestag.de 21.10.2022.
[3] East Turkistan. uyghurcongress.org.
[4] Erneut Bundestagsabgeordnete in Taiwan. tagesschau.de 23.10.2022.
[5] Felix Huesmann: Bundestagsabgeordnete zu Besuch in Taiwan: „Müssen mit unfreundlicher Reaktion Chinas rechnen“. rnd.de 23.10.2022.
[6] S. dazu Spiel mit dem Feuer.
[7] S. dazu Spiel mit dem Feuer (II).
[8] Felix Huesmann: Bundestagsabgeordnete zu Besuch in Taiwan: „Müssen mit unfreundlicher Reaktion Chinas rechnen“. rnd.de 23.10.2022.
[9] Taiwan Independence vs. Unification with the Mainland (1994/12~2022/06). esc.nccu.edu.tw 12.07.2022.
[10] Demetri Sevastopulo: Joe Biden warns US faces ‘decisive decade’ in rivalry with China. ft.com 12.10.2022.
[11] S. dazu „China niederkonkurrieren”.
[12] National Security Strategy. Washington, October 2022.
[13] S. dazu Spiel mit dem Feuer (II).
[14] Felix Huesmann: Bundestagsabgeordnete zu Besuch in Taiwan: „Müssen mit unfreundlicher Reaktion Chinas rechnen“. rnd.de 23.10.2022.
[15] Hal Brands, Michael Beckley: The Coming War over Taiwan. wsj.com 04.08.2022.