Der Besuch einer Bundestagsdelegation auf Taiwan verschärft den Konflikt mit China. Der Westen sucht Taipei gegen Beijing in Stellung zu bringen – auch militärstrategisch.

Ein mehrtägiger Besuch einer Bundestagsdelegation auf Taiwan führt zu neuen Spannungen zwischen Deutschland und China. Die sechsköpfige Delegation, der Politiker aus allen im Bundestag vertretenen Parteien angehören, ist in Taipei unter anderem mit der dortigen Präsidentin Tsai Ing-wen zusammengetroffen. Ein künftiger Ausbau der Beziehungen ist geplant. Dabei beruht der Streit zwischen Berlin und Beijing um die Taiwan-Politik nicht auf den Beziehungen an sich, die seit den 1950er Jahren bestehen und in mancher Hinsicht längst als eng eingestuft werden. Gegenstand des Streits sind vielmehr Bestrebungen der westlichen Staaten, Taiwan politisch stark aufzuwerten, um es im großen Machtkampf zwischen dem Westen und der Volksrepublik zu einem Gegenmodell zu dieser aufzubauen. Zudem zielen vor allem die Vereinigten Staaten darauf ab, Taiwan stark aufzurüsten, um es – als Teil der sogenannten ersten Inselkette – militärstrategisch gegen China zu nutzen. Im Rahmen der Pläne, Taipei gegen Beijing in Stellung zu bringen, spielen scheinbar harmlose Parlamentarierbesuche – kürzlich etwa der Taipei-Besuch von Nancy Pelosi – eine wichtige Rolle.

Gedeihliche Beziehungen

Gegenstand des zunehmenden Streits mit Beijing sind nicht die Beziehungen zwischen Deutschland und Taiwan an sich. Diese bestehen im Grundsatz seit den 1950er Jahren – mit der Einschränkung, dass die Bundesrepublik im Kontext der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik in den 1970er Jahren das Ein-China-Prinzip anerkannte und sich damit verpflichtet hat, keinerlei staatliche Beziehungen zu Taiwan zu unterhalten. Die bilateralen Kontakte bestehen allerdings auf inoffizieller Ebene fort; anstelle einer Botschaft unterhält die Bundesrepublik auf Taiwan das Deutsche Institut Taipei, während Taiwan in Deutschland mit der Taipeh Vertretung Berlin Präsenz zeigt. Derlei taiwanische Strukturen bestehen in allen großen Staaten. „Diese Repräsentanzen“, stellt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer im April publizierten Studie fest, fördern „nicht nur den Austausch von Handel, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft“: „De facto“ vertreten sie auch „die politischen und sonstigen Interessen im Gastland und übernehmen dabei veritable diplomatische … Aufgaben.“[1] Mit einer Ausnahme: „Politische Kontakte auf höchster politischer Ebene .. unterbleiben tunlichst“, um jeden Anschein staatlicher Beziehungen zu vermeiden. In Deutschland schließt das die sieben ranghöchsten staatlichen Funktionsträger ein.[2]

Gegenmodell zur Volksrepublik

Im Grundsatz sind beide Seiten mit diesem Vorgehen über die Jahrzehnte hin gut gefahren. Auf Taiwan, Deutschlands fünftgrößtem Handelspartner in Asien, sind rund 300 deutsche Unternehmen ansässig, und es bestehen zudem laut Auskunft des Auswärtigen Amts „enge und substantielle … kulturelle und wissenschaftliche Beziehungen“, die unter anderem „über 200 Partnerschaften zwischen Universitäten und Forschungseinrichtungen“ umfassen.[3] Seit geraumer Zeit gewinnt Taiwan allerdings im großen Machtkampf des Westens gegen das aufsteigende China neue strategische Bedeutung, was die Bewertung der Beziehungen in den westlichen Hauptstädten spürbar verschiebt. Zum einen hängt das damit zusammen, dass Taiwan rein geografisch Teil der sogenannten ersten Inselkette ist, die von Japan über dessen südliche Inseln – etwa Okinawa – und Taiwan sowie die Philippinen bis nach Borneo reicht; sie schränkt, wie die SWP konstatiert, „den Zugang der VR China zum Pazifik ein“ – mit potenziell weitreichenden ökonomischen und militärischen Folgen für Beijing (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Zum anderen ist der Westen bei seinem Versuch, seinen Machtkampf gegen China zu einem „Systemkonflikt“ zwischen „Demokratie und Diktatur“ zu stilisieren, dazu übergegangen, Taiwan – so formuliert es die SWP – als „Gegenmodell zum autoritären System der VR China“ zu propagieren.[5]

Treffen mit Spitzenpersonal

Vor diesem Hintergrund sind vor allem die Vereinigten Staaten seit geraumer Zeit bemüht, Taiwan militärisch zu stärken, ihm größere internationale Aufmerksamkeit zu sichern und ihm außerdem neue globale Handlungsspielräume zu verschaffen. So hat Washington Taiwans Aufrüstung und die Ausbildung seiner Streitkräften intensiviert. Der Druck auf Deutschland und die EU, sich dem anzuschließen, nimmt mittlerweile zu (german-foreign-policy.com berichtet in Kürze). Die Besuche von Parlamentarierdelegationen in Taipei werden ebenfalls ausgeweitet; in diesen Kontext fällt auch die aktuelle Reise einer Bundestagsdelegation, die am Sonntag auf Taiwan eingetroffen ist und dort bis zu diesem Donnerstag bleibt. Geplant waren Gespräche mit dreien der ranghöchsten Politiker – Präsidentin Tsai Ing-wen, Parlamentspräsident You Si-kun, Außenminister Joseph Wu.[6] Ende des Monats soll dann auch der Menschenrechtsausschuss des Bundestags Taiwan bereisen. Erst kürzlich forderte der ranghöchste Vertreter Taiwans in Deutschland, Jhy-Wey Shieh, der Bundestag solle zudem seine Präsidentin Bärbel Bas nach Taipei entsenden. Bas hält das formell zweithöchste deutsche Staatsamt; ihre Entsendung wäre ein direkter Bruch mit dem Ein-China-Prinzip. Auf den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, der Nummer drei in der US-Hierarchie, hatte Beijing Anfang August mit umfangreichen Manövern rings um Taiwan reagiert.

Die UN-Resolution 2758

Auf einen Bruch von Normen, die der Umsetzung des Ein-China-Prinzips dienen, läuft auch das Bemühen Washingtons und Berlins hinaus, Taiwan künftig eng in internationale Gremien einzubinden. Es widerspricht der UN-Resolution 2758 vom 25. Oktober 1971 direkt, in der die UN-Generalversammlung mit klarer Mehrheit beschloss, „die Vertreter der Volksrepublik China“ seien „die einzigen rechtmäßigen Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen“; die Repräsentanten Taiwans hingegen würden „unverzüglich von dem Platz entfernt, den sie unrechtmäßig bei den Vereinten Nationen und in all den Organisationen innehaben, die zu ihnen in Beziehung stehen“. In ganz offenem Gegensatz dazu rief US-Außenminister Antony Blinken am 26. Oktober 2021 alle UN-Mitgliedstaaten auf, eine „bedeutende Beteiligung“ Taiwans „am gesamten UN-System“ zu unterstützen.[7] Bereits kurz zuvor, am 21. Oktober, hatte das Europaparlament eine ähnliche Erklärung verabschiedet. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung vom 24. November 2021 heißt es, man werde in Zukunft eine „sachbezogene Teilnahe des demokratischen Taiwan in internationalen Institutionen“ unterstützen. Taipeis Deutschland-Repräsentant Shieh fordert außerdem, die Berliner Taipeh Vertretung in „Taiwan-Vertretung“ umzubenennen [8] – ein symbolischer Bruch mit dem Ein-China-Prinzip, den Litauen im vergangenen Jahr vollzogen hat (german-foreign-policy.com berichtete [9]).

Eskalationsgefahr

Die SWP plädiert dafür, diesen Weg fortzusetzen. So sollten „informelle Regierungskontakte auf allen Ebenen unterhalb der höchsten Staatsämter“ intensiviert werden, etwa „auf Ebene der Staatssekretäre“.[10] Taiwans Bestrebungen, internationalen Organisationen – entgegen der UN-Resolution 2758 – beizutreten, müssten unterstützt werden. Es gelte zudem den Handel mit Taiwan auszubauen und für taiwanische Investitionen in Deutschland und der EU zu werben. Darüber hinaus seien schließlich auch „taiwanische Bemühungen zum Aufbau eines auslandschinesischen Informations- und Mediendienstes“ zu fördern. Die SWP räumt ein, eine „Taiwan-Politik, die China als konfrontativ deutet“, könne leicht in eine militärische Eskalation des Konflikts münden. Beijing wiederum, das – wie unverändert auch starke Kräfte in Taiwan – auf dem Ein-China-Prinzip besteht, begreift alles, was dieses Prinzip in Frage stellt, als einen Angriff auf seine Pläne zu einer friedlichen Wiedervereinigung mit der Insel, also als Konfrontation. Für den Fall, dass eine friedliche Wiedervereinigung unmöglich werde – und nur für diesen Fall –, schließt die Volksrepublik militärische Schritte nicht aus. Die Taiwan-Politik der westlichen Mächte, auch der Bundesrepublik, begünstigt die Entstehung einer solchen Lage. Sie spielt mit dem Feuer.


[1] Hanns Günther Hilpert, Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker (Hg.): Vom Umgang mit Taiwan. SWP-Studie 4. Berlin, April 2022.

[2] Friederike Böge: Was Taiwan sich von Deutschland erhofft. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.09.2022.

[3] Deutschland und Taiwan: Bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 04.03.2022.

[4] S. dazu Die NATO und Taiwan.

[5] Hanns Günther Hilpert, Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker (Hg.): Vom Umgang mit Taiwan. SWP-Studie 4. Berlin, April 2022.

[6] China verärgert über deutsche Delegation. tagesschau.de 02.10.2022.

[7] S. dazu Der Konflikt um Taiwan (I).

[8] Friederike Böge: Was Taiwan sich von Deutschland erhofft. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.09.2022.

[9] S. dazu Washingtons Prellbock und Washingtons Prellbock (II).

[10] Hanns Günther Hilpert, Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker (Hg.): Vom Umgang mit Taiwan. SWP-Studie 4. Berlin, April 2022.

Der Originalartikel kann hier besucht werden