Seit Ende Februar haben die USA, die Europäische Union und zahlreiche andere Staaten harte Sanktionen gegen Russland verhängt, die als Antwort auf den russischen Einmarsch in die Ukraine gedacht waren und Moskau zum Rückzug zwingen sollten. Russland hat seinerseits mit Gegenmaßnahmen reagiert. Eine Folge dieses Sanktionskrieges ist die Verschärfung der Energiekrise in Europa, die für Deutschland und damit auch für die gesamte EU katastrophale Auswirkungen haben kann.
Von Alexander Männer
Diesbezüglich hatte sich etwa die Lage um die Energieversorgung Deutschlands, dessen erfolgreiches Wirtschaftsmodell hauptsächlich auf den billigen Energieträgern aus Russland basiert, bereits im Sommer extrem verschlechtert, nachdem die Gasleitung Nord Stream 1, die damals den Großteil des russischen Gases direkt in die Bundesrepublik brachte, nach Reparaturarbeiten nicht in Betrieb genommen werden konnte. Kritisch wurde es aber, nachdem die besagte Pipeline durch einen Anschlag im September schweren Schaden erlitt und vermutlich für einen langen Zeitraum ausfiel. Infolgedessen hat sich der Gasimport aus Russland um mehr als 60 Prozent reduziert, was negative Auswirkungen auf die Preisbildung hat.
Die daraus resultierende Panik bei den deutschen Verbrauchern offenbarte die wahre Bedeutung der russischen Gaslieferungen und zeigte auf, was die Sanktionen gegen Russland für Deutschland und auch die anderen EU-Länder bedeuten. Die aktuelle Perspektive sieht folgendermaßen aus: Je länger die Sanktionen dauern – also je länger die billigen russischen Gasimporte ausbleiben – desto schlimmer wird es. Eine Verbesserung der Lage hängt in erster Linie davon ab, wann die EU und Russland ihre Handelsbeziehungen wieder normalisieren.
Umdenken in Frankreich?
Dieser Tatsache werden sich offenbar immer mehr europäische Bürger sowie hochrangige Politiker der EU-Länder bewusst. Wie zum Beispiel Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der Anfang März noch zu einem “vollständigen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Russland“ aufgerufen und Russland mit einem Zusammenbruch dessen Wirtschaft gedroht hatte, änderte seine Rhetorik bezüglich der Sanktionen inzwischen grundlegend.
Ende August hat Le Maire Angaben des türkischen Zeitung Anadolu zufolge davor gewarnt, dass eine vollständige Einstellung der russischen Gasexporte nach Frankreich angesichts der kommenden Wintermonate die Wirtschaft des Landes beeinträchtigen könnte. Anfang Oktober wurde der Minister in Bezug auf die Sanktionen und vor allem die Rolle der USA öffentlich zum ersten Mal deutlich. Wie das Magazin Politico schreibt, hat Le Maire am Montag im französischen Parlament erklärt, dass Europa nicht der amerikanischen „Dominanz“ unterworfen werden sollte, weil es gerade zunehmend in die Abhängigkeit vom US-Flüssigerdgas (LNG) gerate. “Wir dürfen nicht zulassen, dass der Konflikt in der Ukraine zu einer amerikanischen Wirtschaftsdominanz und einer Schwächung Europas führt“, so der Politiker.
Mehr noch: Er beschuldigte er die USA, die LNG-Preise aufgrund von Energieknappheit in die Höhe getrieben zu haben und forderte eine „ausgewogenere Wirtschaftsbeziehung in der Energiefrage“ zwischen den Amerikanern und Europäern: „Wir können nicht akzeptieren, dass unser amerikanischer Partner sein LNG zum Vierfachen des Preises verkauft, zu dem er es an seine eigenen Unternehmen verkauft“, sagte Le Maire.
Damit spricht der französische Minister einen zentralen Aspekt an, den die Europäer versucht haben nicht zu bemerken: Während Russland auch ohne einen europäischen Markt – das haben die Sanktionen nämlich bewiesen – wirtschaftlich bislang durchaus funktionieren kann, ist Europa ohne die russischen Ressourcen aufgeschmissen.
Weiterhin klare Linie in Deutschland
Während in Frankreich offenbar ein Umdenken stattfindet, damit die Energiekrise überwunden werden kann, schaltet man in Deutschland weiterhin auf stur. So macht der Bundeskanzler Olaf Scholz weiterhin einzig und allein Putin für die schwierige wirtschaftliche Situation in Europa verantwortlich. Laut dem Deutschlandfunk sagte Scholz im Bundestag in einer Regierungserklärung zum Beginn des EU-Gipfels am vergangenen Donnerstag, dass Putin „auf unsere Schwäche“ spekuliere. Allerdings habe sich der russische Präsident geirrt und er werde seine Kriegsziele nicht erreichen, denn Deutschland und Europa stünden zusammen. Auch mit der Erpressung mittels der Drosselung der Gaslieferungen zu können, habe Putin sich verrechnet, so der Kanzler.
Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg hatte Scholz nach Angaben des Portals Redaktionsnetzwerk Deutschland kürzlich unter anderem erklärt, Russlands Staatschef führe mit seinem Angriff gegen die Ukraine einen größeren Kreuzzug gegen den Westen. Demnach kämpfte Putin gegen die liberale Demokratie, eine regelbasierte internationale Ordnung, gegen Freiheit und Fortschritt. „Deshalb muss sich die Ukraine behaupten“, sagte Scholz, und versicherte auch, dass man die Ukrainer gegen Russland so lange unterstützen werde wie nötig. Zudem forderte er, dass man in Deutschland und mit den internationalen Partnern nicht die Einigkeit bei fundamentalen Werten angesichts möglicher Differenzen bei einzelnen Fragen vergessen dürfe.
Auch der Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht die Ursache für die Energiekrise und die hohe Inflation bei Putin und dessen Intervention in der Ukraine und nicht etwa bei der Sanktionspolitik der Bundesregierung. Die Lösung aus Sicht von Habeck – eine Niederlage der Russen auf dem Schlachtfeld: „Putin darf nicht gewinnen. Was immer uns auch beutelt, Putin darf nicht gewinnen. Nicht auf dem Schlachtfeld, auch nicht bei dem Wirtschaftskrieg gegen Europa und Deutschland“, sagte der Minister auf dem kürzlichen Parteitag der Grünen in Bonn.
Mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts mit Russland ist sich Habeck der Tatsache bewusst, dass der kommende Winter „für ganz Deutschland“ hart werden wird. Aber man werde trotz der Probleme stärker und man werde daran wachsen, „als Partei, als Deutschland, als Europa, zu dem die Ukraine gehört“, so der Politiker.