Die Streiks in den Raffinerien, über deren Zustandekommen der Gastbeitrag von Bernard Schmid berichtet, haben Signalwirkung in ganz Frankreich und breiten sich aus. Viele Kollegen ließen sich vom Versöhnungskurs und Abschluss der CFDT-Gewerkschaft nicht beeindrucken. Die Arbeitsverpflichtung der Macron Regierung entfachte den Widerstand erst recht und feuerte die lang geplanten Proteste am 16.10. noch mehr an. Gut 140 000 demonstrierten in Paris für ein offensives linkes soziales und ökologisches Programm (unser Bericht „Gegen das teure Leben„). Für den 18.10., haben die linken Gewerkschaften CGT, FO und andere (unterstützt von etlichen sozialen Bewegungen) zu landesweiten branchenübergreifenden Streiks und Protestaktionen aufgerufen. Laut aktueller Meldungen beteiligen sich zehntausende von Kollegen. Wir berichten weiter (Peter Vlatten).

hier der Beitrag von Bernard Schmid, 14.10.2022

Verhandlungen an den bestreikten Raffineriestandorten scheiterten: CFDT für Abschluss, CGT dagegen- Eilklage der CGT gegen die Dienstverpflichtungen abgewiesen- Neidkampagne gegen „überbezahlte“ Petrochemie-Arbeiter seitens des TOTAL-Konzerns (dessen Big Boss sich im vergangenen Jahr eine Verdiensterhöhung um +52 % gewährt hat) – Aufrufe zum branchenübergreifenden Streik am kommenden Dienstag, den 18. Oktober 22.

Der Ausstand in der Überzahl der französischen Raffinerien wurde auch an diesem Freitag, den 14. Oktober fortgesetzt. In der Nacht zuvor hatten sechsstündige Verhandlungen am Sitz des Mineralölkonzerns TOTAL – größtes börsenorientiertes französisches Unternehmen in Frankreich, das allein im ersten Halbjahr 2022 stattliche 18 Milliarden Euro an Gewinn erzielte, und stärkster Akteur der Petrochemie- und Treibstoffbranche – in der Pariser Vorstadt La Défense stattgefunden.

Die CGT verließ die Runde jedoch gegen 02.20 Uhr früh. Doch die beiden Gewerkschaftsverbände CFDT (rechtssozialdemokratisch geführt) und CFE-CGC (höhere und leitende Angestellte) erklärten sich im Prinzip zur Unterzeichnung einer Vereinbarung bereit. Diese sollte bis Mittag stattfinden, blieb bei Redaktionsschluss dieses Artikels jedoch noch aus. Das bislang im Prinzip getroffene Abkommen sieht laut Medienberichten eine Lohnerhöhung (für 2023) in Höhe von 7 Prozent vor, das entspräche ziemlich exakt der Teuerungsrate im laufenden Jahr. Tatsächlich täuscht diese Zahl jedoch, denn das Angebot ist komplexer: Garantiert würden demnach den abhängig Beschäftigten nur 5 Prozent allgemeiner Lohn- oder Gehaltserhöhung (also unterhalb der Inflationsrate), zuzüglich 2 Prozent individueller Zulage, die je nach Leistungsbeurteilung gewährt oder auch verweigert werden kann. Im Bereich der höheren und leitenden Angestellten betragen die beiden Werte allerdings 3,5 % (allgemeine) und 3,5 % (individuelle Erhöhung). Zuzüglich soll zum Jahresende eine Einmalzahlung oder Prämie in Höhe zwischen 3.000 und 6.000 Euro ausgeschüttet werden. Diese entspricht exakt dem Mechanismus, den Emmanuel Macron zum Jahresende 2018 als Antwort auf die damaligen „Gelbwesten“-Proteste einführte (deswegen auch „Macron-Prämie“ genannt), seinerzeit in Höhe von maximal 2.000 Euro, doch die Anhebung auf maximal 6.000 Euro war Teil des Wahlprogramms Emmanuel Macron im Frühjahr 2022. Es handelt sich um eine von Steuer- und Sozialabgaben befreite Summe, für die der Arbeitgeber also keine Abgaben entrichten muss und die ihm in gewisser Weise durch die Steuerzahlenden gegenfinanziert wird; für die Altersversorgung/Rente findet sie dementsprechend ebenfalls keine Anrechnung.

Die CGT sprach am Freitag früh von einer „Farce“ und kündigte die Fortsetzung des Streiks an, aber auch seine Ausweitung auf andere Sektoren. Am kommenden Dienstag, den 18. Oktober sollen nunmehr branchenübergreifend Arbeitskämpfe stattfinden, die insbesondere die Transportbetriebe und öffentlichen Dienste betreffen dürften.

Bereits in den vergangenen Tagen fanden allerdings bereits Lohnstreiks statt, die in der laufenden Woche unter anderem im Instandhaltungsbetrieb von bislang fünf französischen Atomkraftwerken, am Pariser Odéon-Theater, an der Kantine der Pariser Sozialeinrichtungen oder am Standort Rennes beim Automobilproduzenten Stellantis stattfanden.

Die Ausweitung der Streiks – bürgerliche Medien wie der Privatfernsehender BFM TV sprechen ihrerseits bereits von „Generalstreik“, wobei die Bezeichnung nicht völlig zutreffen dürfte, da ein echter Generalstreik alle oder nahezu alle Sektoren betreffen müsste – ist aber auch die Antwort der Gewerkschaften und insbesondere der CGT an die strafbewehrten Dienstverpflichtungen oder réquisitions (Labournet berichtete am Mittwoch), da diese die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gefährlich untergraben. Historisch sind solche strafbewehrten Dienstverpflichtungen vor allem in lebenswichtigen Bereichen wie Gesundheitsversorgung oder „Verteidigung“ zulässig. Der oberste Verwaltungsgerichtshof, der Conseil d’Etat, wehrte allerdings in der Vergangenheit mehrere Klage gegen solche Dienstverpflichtungen ab (vgl.https://blog.landot-avocats.net/2022/10/11/greve-quel-pouvoir-de-requisition-pour-letat/). Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gab hingegen 2011 an Frankreich „Empfehlungen“ ab, die darauf hinauslaufen, Dienstverpflichtungen wie während des Raffineriestreiks im Oktober/November 2010 gegen die damalige Renten-„Reform“ zu vermeiden.

Die CGT rief diese Woche Verwaltungsgerichte in Eilklagen gegen die aktuellen Dienstverpflichtungen an. Am Freitagmittag, just zum Redaktionsschluss dieses Artikels, traf eine erste Einstweilige Verfügung ein. Diese schmettert die Verwaltungsklage der CGT jedoch ab. (Vgl. https://www.ouest-
france.fr/economie/transports/penurie-de-carburant/requisitions-chez-esso-exxonmobil-le-recours-en-refere-de-la-cgt-rejete-par-le-tribunal-de-rouen-93d9b750-4b9b-11ed-9879-c1a2e97ee6a1
)

Artikel von Bernard Schmid vom 14.10.2022- wir danken!

Fortsetzung folgt… Es wird von Labornet laufend informiert


Unter anderem benutzte Quellen neben ständiger TV-Berichterstattung:

Der Originalartikel kann hier besucht werden