Berlin verweigert Informationen zu den Ermittlungen in Sachen Nord Stream 2. Schweden übt exzessive Geheimhaltung. Das weckt erneut Fragen zur US-Marinepräsenz vor Bornholm vor den Anschlägen.

Die Bundesregierung verweigert unter Bezug auf „Geheimhaltungsinteressen“ jegliche Mitteilung über den Stand der Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2. Auch eine einfache Antwort auf die Bundestagsanfrage, „welche Nato-Schiffe und -Truppenteile“ sich in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen in Tatortnähe vor Bornholm aufgehalten hätten, „würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maße berühren“, behauptet das Auswärtige Amt. Zuvor hatte Schweden jegliche Beteiligung an einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit Dänemark und Deutschland verweigert. Zur Begründung hieß es, die bisher erzielten Ermittlungsergebnisse entsprächen einer Geheimhaltungsstufe, die jede internationale Kooperation verbiete. Als „Erkenntnisse“ werden in diesen Tagen erneut Banalitäten präsentiert wie diejenige, dass eine gewaltige Explosion die Pipelines zerstört habe und dass von „Sabotage“ auszugehen sei. Zu den Kriegsschiffen, deren Präsenz unweit der Tatorte aus Gründen des „Staatswohls“ nicht mitgeteilt werden darf, zählen solche der USA und weiterer NATO-Staaten.

„Zu heikel“

Für ein gewisses Aufsehen hatte bei den Bemühungen um die Aufklärung der Anschläge auf die beiden Nord Stream-Pipelines zunächst gesorgt, dass sich Schweden den ursprünglich geplanten gemeinsamen Ermittlungen mit Dänemark und Deutschland verweigerte und die Gründung eines Joint Investigation Teams (JIT) komplett ablehnte. Zur Begründung hieß es, die Geheimhaltungsstufe der inzwischen gewonnenen Erkenntisse sei zu hoch, als dass man sie mit anderen Staaten teilen könne.[1] Dies überrascht – nicht zuletzt, weil alle drei Staaten in der EU ohnehin eng kooperieren und sich Schweden darüber hinaus auf eine gemeinsame NATO-Mitgliedschaft mit Dänemark und Deutschland vorbereitet. Schon am 6. Oktober hatte sich die Staatsanwaltschaft in Stockholm geweigert, wenigstens einige Details zu ihren Ermittlungen bekanntzugeben: Der Fall sei „zu heikel“, hieß es.[2] Dänemark wiederum nahm die schwedische Weigerung, gemeinsam zu ermitteln, zum Anlass, um sich seinerseits von einer Zusammenarbeit mit Deutschland in dem Fall zu verabschieden.[3] Seitdem gehen alle drei Staaten bei ihren Untersuchungen getrennt voneinander auf rein nationaler Ebene vor.

„Verfassungsfeindliche Sabotage“

In Deutschland hat mittlerweile die Bundesanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Zur Begründung hieß es unter anderem, es handle sich bei den Anschlägen um einen „schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung“; der Verdacht der „verfassungsfeindlichen Sabotage“ stehe im Raum.[4] Nicht ganz klar ist allerdings, weshalb die deutschen Behörden für die Aufklärung von Anschlägen in dänischen bzw. schwedischen Gewässern zuständig sein sollen. Dessen ungeachtet waren in der vergangenen Woche die Bundespolizei und die deutsche Marine um Untersuchungen am Tatort bemüht. Wie berichtet wird, wurden das Minenjagdboot „Dillingen“ und das Mehrzweckboot „Mittelgrund“ in die Gewässer an den Schauplätzen der Explosionen entsandt, um dort mit einer „Sea Cat“-Unterwasserdrohne Aufnahmen zu machen.[5] Auf den Fotos sind offenbar Krater und zumindest an einer Stelle ein Leck von acht Metern Länge zu sehen; die Sprengkraft, die notwendig ist, um einen so schweren Schaden zu verursachen, wird von den Behörden auf 500 Kilogramm TNT geschätzt. Weitere Details sind nicht bekannt.

„Keine Informationen“

Inzwischen verweigert die Bundesregierung sogar jegliche öffentliche Mitteilung in der Sache, wie aus Antworten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amts auf Anfragen im Bundestag hervorgeht. So erklärt etwa das Wirtschaftsministerium: „Bisher ist es nicht möglich, Untersuchungen vor Ort anzustellen“. Daher lägen der Bundesregierung „keine belastbaren Informationen zu den möglichen Ursachen des Angriffs vor“.[6] Wie sich diese Behauptung zu den Aktivitäten von Bundespolizei und Marine an den Tatorten verhält, ist nicht wirklich ersichtlich. Auch über die genauen Schritte zur Aufklärung der Anschläge gibt die Bundesregierung nichts bekannt.

Geheimhaltungsinteressen

Zur Begründung für das eiserne Schweigen erklärt die Bundesregierung, sie sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht … erteilt werden“ könnten – dies nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Bundestags.[7] „Die erbetenen Informationen“, heißt es zu den Bundestagsanfragen der Abgeordneten Sahra Wagenknecht (Die Linke), „berühren … derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass … das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss“. Sogar eine simple Auskunft zu der Frage, „welche Nato-Schiffe und -Truppenteile“ sich in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen in den Seegebieten in Tatortnähe aufgehalten hätten, „würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maße berühren“, behauptet das grün geführte Wirtschaftsministerium. Auskünfte könnten in keiner Form gegeben werden, weder öffentlich noch gegenüber dem Parlament, „da auch nur die geringe Gefahr des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann“.

Sprengsatzattrappen vor Bornholm

Die Antwort irritiert umso mehr, als die Präsenz einiger Kriegsschiffe im fraglichen Zeitraum unweit der Tatorte schon lange öffentlich bekannt ist. So war von Anfang August bis zum 22. September ein US-Flottenverband in der Ostsee unterwegs – „der größte Kampfverband der US Navy seit Ende des Kalten Krieges“, wie es heißt.[8] Wenige Tage vor dem Verlassen der Ostsee hielt sich der Verband um das amphibische Landungsschiff USS Kearsarge noch vor Bornholm auf. Die USS Kearsarge hatte bereits im Juni am diesjährigen BALTOPS-Manöver (Baltic Operations) teilgenommen, das mit mehr als 45 Schiffen, über 75 Flugzeugen und 7.000 Soldaten aus 14 NATO- und zwei künftigen NATO-Staaten (Finnland, Schweden) abgehalten wurde und als eine Drohgeste gegenüber Russland gewertet wurde.[9] Im Rahmen von BALTOPS übten US-Einheiten vor Bornholm die Minenabwehr, wobei Taucher Sprengsatzattrappen legten, die es anschließend zu entschärfen galt. Bei den Operationen wurden laut NATO-Angaben auch modernste High-Tech-Entwicklungen in der Kriegführung mit Unterwasserdrohnen erprobt. Dabei sei es auch darum gegangen, heißt es, die Reichweite der Datenübertragung hin zu den Drohnen zu erhöhen, um größere Flexibilität in deren Nutzung zu erreichen.[10] Experten haben wiederholt erklärt, die Sprengsätze hätten durchaus auch von zivilen Schiffen aus an den Nord Stream-Pipelines angebracht werden können. Die exzessive Geheimhaltung der Bundesregierung wirft nun aber Fragen nach ihren Hintergründen auf.

 

Mehr zum Thema: „Goodbye, Nord Stream“ und „Goodbye, Nord Stream“ (II).

 

[1] Schweden lässt gemeinsame Pipeline-Ermittlungen platzen. spiegel.de 14.10.2022.

[2] Malte Kirchner: Nord Stream 1 und 2: Ermittlungen am Tatort erhärten Sabotageverdacht. heise.de 06.10.2022.

[3] Michael Götschenberg: Keine gemeinsamen Ermittlungen. tagesschau.de 14.10.2022.

[4] Bundesanwaltschaft leitet Ermittlungen ein. tagesschau.de 10.10.2022.

[5] Deutsche Marine: Boote zurück von Nord-Stream-Aufklärungsmission. handelsblatt.com 14.10.2022.

[6], [7] Christine Dankbar: Sahra Wagenknecht: Regierung verweigert Informationen zu Pipeline-Anschlägen. berliner-zeitung.de 16.10.2022.

[8] US Navy zeigt Flagge in der östlichen Ostsee. ndr.de 03.08.2022.

[9] Manöver BALTOPS 22 startet im Juni. marineforum.online 07.06.2022.

[10] BALTOPS 22: A perfect opportunity for research and testing new technology. sfn.nato.int 12.06.2022.

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