In einer Pressekonferenz am Freitag kündigte EU-Kommissarin Ylva Johansson neue Verschärfungen für die Einreise von russischen Staatsangehörigen an. Insbesondere sollen Mitgliedstaaten laut dem neuen Leitfaden der Kommission weiterhin keine Visumsanträge von Russ*innen annehmen, die bereits in einen Drittstaat geflüchtet sind. Damit verlangt die Kommission, dass die Menschen in Russland in der Falle warten, bis über einen Visumsantrag entschieden ist, kritisieren PRO ASYL und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Während Johansson mehrfach in der Pressekonferenz wiederholt hat, dass der neue Leitfaden nicht das Recht auf Asyl beeinträchtigt, so geht dies am Kern des Problems vorbei. Wenn kein Zugang zur EU besteht, dann können Kriegsdienstverweiger*innen, Oppositionelle oder Journalist*innen auch keinen Asylantrag stellen.
Die Flucht vieler Kriegsgegner*innen scheitert bislang, denn die Hürden, um Schutz in Deutschland und Europa zu erhalten, sind hoch. In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern die Organisationen deswegen tatsächliche Fluchtwege und Schutz der Menschen, die sich dem verbrecherischen Regime und Krieg entziehen wollen:
Lasst Sie rein! Für ein Recht zu kommen und zu bleiben
Den Kriegsgegener*innen in Russland muss jetzt ohne Ausreden Schutz gewährt werden!
Gegenwärtig gilt: Die restriktive und langwierige Praxis der Visavergabe an deutschen Botschaften und Konsulaten verhindert die legale Einreise. Die, die es bis nach Deutschland schaffen, sind im Rahmen des Dublin-Verfahrens von Verzögerung und Abschiebung in europäische Nachbarstaaten bedroht. Die Asylverfahren dauern zu lange. Die aktuelle Verfolgungsgefahr in der Russischen Föderation wird zudem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bislang regelmäßig verkannt.
Wir fordern: Handelt jetzt!
Es darf kein zweites Afghanistan geben, kein erneutes Versagen der bundesdeutschen und europäischen Asyl- und Aufnahmepolitik. Es ist dringend notwendig, entschlossen zu handeln und russischen Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Menschen, die gegen den Krieg sind, jetzt Schutz zu bieten, wie es auch bei Ukrainer*innen geschehen ist. Die Bundesregierung muss entsprechend ihrer humanitären Verantwortung und den menschenrechtlichen Verpflichtungen handeln. Den Ankündigungen von Regierungsmitgliedern, denen Schutz zu gewähren, die sich dem Krieg entgegenstellen, müssen effektive Taten folgen.
Effektiver Schutz bedeutet zum einen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss sich im Hinblick auf die am 22. September 2022 von Putin erklärte Teilmobilmachung positionieren und seine Anerkennungspraxis transparent machen. Damit der Umgang mit schutzsuchenden Menschen in und aus Russland nicht zu einem weiteren Versagen führt, braucht es jetzt eine effektive und unbürokratische Praxis in den Botschaften und Konsulaten ebenso wie im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Deutschland kann nicht auf eine europäische Lösung warten, sondern muss voranschreiten.
Wir rufen in Erinnerung: Ein Recht auf Schutz besteht nicht erst dann, wenn Verfolgung bereits erfolgt ist. Das Recht auf Schutz bedeutet, sich vor dem Erleiden von Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Schutz benötigen all diejenigen, die gegen den Krieg und somit aus Sicht des russischen Regimes Feind*innen sind.
Gleichzeitig gilt: Eine Flüchtlingspolitik, die sich an den kurzfristigen Aufmerksamkeitsspannen für Krisensituationen orientiert, ist abzulehnen. Tagtäglich sterben Flüchtlinge oder verzweifeln auf der Balkan-Route, an der belarussisch-polnischen Grenze, in griechischen Flüchtlingslagern oder in den libyschen Folterlagern. Push-Backs erfolgen systematisch mit dem Wissen und der Zustimmung, zumindest aber dem tatenlosen Zuschauen aller europäischen Regierungen.
Wir fordern: Flüchtlinge müssen Zugang zum Recht auf Schutz haben. Die Verletzung dieses flüchtlingspolitischen Grundsatzes muss umgehend beendet werden.
Wir fordern von der Bundesregierung und den Landesregierungen:
- eine umgehende Weisung, wonach jede deutsche Auslandsvertretung zur Annahme von Visaanträgen zuständig ist und diese umgehend und prioritär zu bearbeiten sind; einschließlich einer sofortigen Aufstockung der personellen und sachlichen Ressourcen an den Botschaften insbesondere der Nachbarstaaten Russlands sowie an jenen in der Türkei und Armenien;
- die schnelle Erteilung von humanitären Visa für alle gefährdeten Menschen in geregelten Verfahren;
- die Aussetzung der Dublin-Verfahren;
- die Aufnahme von Schutzsuchenden aus den Nachbarstaaten;
- einen sofortigen und von der IMK und dem BMI zu beschließenden, unbefristeten Abschiebestopp für die Russische Föderation, Georgien und Moldawien;
- grundsätzlich formelle Abschiebestopps in akute Krisengebiete wie derzeit den Iran und Irak.