Journalismus besteht nicht einfach darin, das Geschehen wiederzugeben. Es geht darum, über das Was und Wie hinter dem Geschehen zu berichten, was sowohl das Treffen einer Auswahl als auch das Übernehmen von Verantwortung bedeutet.
Von Natalia Bonilla
Gegenwärtig sind gewaltzentrierte Berichte in den Medien normal und wir stellen sie auch nicht in Frage, weil die Chefredakteur:innen und Verantwortlichen der Medien uns sagen, dass es das ist, was „sich verkauft“.
Als man uns beibrachte, was „sich verkauft“, zweifelten wir selten daran und verzichteten darauf, ein anderes Bild, einen anderen Ausschnitt der Wirklichkeit zu präsentieren, weil es „wahrscheinlich“ nicht rentabel wäre.
Jedoch ist im Laufe der Jahrzehnte offensichtlich geworden, dass Medien kultureller Gewalt Vorschub leisten können. Sie können zu Propagandainstrumenten werden, die Botschaften des Hasses und der Intoleranz verbreiten, Stereotype und Vorurteile schüren und im Rahmen ihrer Berichterstattung sogar explizite Aufrufe zur Gewalt tätigen.
Der Bosnien-Krieg, der Völkermord in Ruanda und der Irak-Krieg zeigen als sinnbildliche und extreme Fälle die Überzeugungskraft und Wirkung der nationalen wie der internationalen Presse.
Dennoch sind mit Gewalt ausgetragene soziale Konflikte genauso wie die erwähnten Kriege mehr als nur die direkte Gewalt einer Militäraktion: Strukturelle und kulturelle Gewalt gehören genauso dazu.
Der Blickwinkel des Krieges ist geprägt von einer Dichotomie: Die Guten gegen die Bösen, wobei die Glorifizierung der Eigenen mit der Entmenschlichung und Dämonisierung der Anderen einhergeht. Um dieses Paradigma zu überwinden, brachte der norwegische Universitätsdozent Johan Galtung 1960 einen neuen Blickwinkel ins Spiel.
Galtung schlug vor, einen Friedensjournalismus, der auch konfliktsensibler Journalismus genannt wird, zu etablieren, der die Parteien, Organisationen und Individuen sichtbar macht, die sich für friedliche Lösungen von Konflikten einsetzen sowie die Wandlung des Konflikts dokumentiert.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Jake Lynch entwickelte er dieses umfassende Leitbild, nachdem sie zum Schluss gekommen waren, dass es für die Medien wichtig sei, sich der verschiedenen Formen von Gewalt – direkt, kulturell und strukturell – bewusst zu machen, um alle Dimensionen eines Konflikts zu beleuchten.
Dank dieser mehrdimensionalen Herangehensweise ist Friedensjournalismus imstande einen umfassenderen Blickwinkel auf Krieg einzunehmen, der über militärische Kampagnen hinausgeht, damit die Gewalt des Konflikts begriffen und überwunden werden kann.
Friedensjournalismus weist vier Merkmale auf:
- Er beachtet die Umstände, die zur Herausbildung des Konflikts zwischen allen beteiligten Parteien beigetragen haben, anstatt sich auf die üblicherweise in den Medien dargestellten Lager zu fokussieren.
- Er lässt auf allen Ebenen die gegnerische Seite ebenso zu Wort kommen.
- Er schlägt kreative Ideen zur Lösung oder Entwicklung der Konflikte vor, die den Frieden stärken und aufrechterhalten, Lügen aufdecken, die Sichtweisen aller Parteien berücksichtigen und die Verbrechen aufzeigen, die genauso durch wie gegen Menschen aller Seiten verübt werden.
- Er berichtet auch über Friedenszeiten und Entwicklungen nach einem Krieg.
Friedensjournalismus unterscheidet sich von Kriegsberichterstattung, die sich auf die Darstellung direkter Gewalt, Propaganda, Eliteninteressen und die Frage des Sieges beschränkt.
Dagegen berichtet Friedensjournalismus über Konflikte, Wahrheit, Frieden und Lösungen.
Laut der Zeitschrift Peace Science Digest zeigen Menschen, die Friedensjournalismus verfolgen:
- eine höhere Sensibilität gegenüber Konflikten
- eine verringerte Wahrscheinlichkeit Konflikte als polarisierte Phänomene im Sinne von Gut gegen Böse oder Schwarz gegen Weiß wahrzunehmen
- ein gesteigertes Maß an Hoffnung und Mitgefühl
- und ein geringes Maß an Ärger, Wut oder Angst
Uns, die Zuschauer:innen und Leser:innen, erinnert der Friedensjournalismus daran, dass an jedem Konflikt Menschen beteiligt sind, indem er die Konfliktparteien als solche präsentiert und nicht entmenschlicht. Zusammenfassend besteht seine Herangehensweise darin, gewalttätige Konflikte nicht einzig als eine Frage der Strategie oder militärischer Interessen darzustellen.
Wo ist Friedensjournalismus bisher zum Einsatz gekommen? Sowohl das Ende der Apartheid in Südafrika als auch die Friedensprozesse in Liberia und Kolumbien sind Fälle, die – trotz aller Unvollkommenheiten – die mögliche Wirkung einer solchen Form des Journalismus belegen.
Die Übersetzung wurde aus dem Französischen wurde von Daniel Jerke vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!