Der kürzliche Zwischenfall nahe der Ostseeinsel Bornholm, bei dem die Nord-Stream-Gasleitungen des russischen Konzerns Gazprom ernsthaft beschädigt wurden, ist nicht nur politisch höchst brisant, sondern gefährdet auch die Energiesicherheit Deutschlands und Europas angesicht. Wer aber steckt hinter diesen allem Anschein nach verübten Anschlägen? Motive dafür haben zahlreiche Staaten und internationale Akteure, die technischen Mittel allerdings nur wenige.
von Alexander Männer
Die Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2, die aus Russland nach Deutschland verlaufen, sind am Dienstag nahe der Insel Bornholm ernsthaft beschädigt worden und können vorerst nicht in Betrieb genommen werden. Drei von vier Rohrleitungen erlitten Lecks auf großer Länge. An den betroffenen Stellen sprudeln nun große Mengen des „blauen Treibstoffs“ an die Oberfläche, weshalb die Schifffahrt in einem Radius von fünf Seemeilen um die Schadensstellen herum untersagt ist.
Die Ursache für den Zwischenfall ist nach wie vor nicht geklärt und es wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis man eindeutig sagen kann, wer für das Problem verantwortlich ist. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Pipelines explodiert sind oder gesprengt wurden.
Nord Stream vermutlich gesprengt
So soll es sich bei den Beschädigungen nach Einschätzung von Experten um gewaltige Löcher handeln, die auf eine Explosion hindeuten könnten. Die Nord Stream 2 AG, der Betreiber einer der beiden Gasleitungen, erklärte in diesem Zusammenhang, dass man am Dienstag einen schnellen Druckabfall von 105 auf nur noch sieben Bar in der Pipeline verzeichnete. Das entspricht dem normalen Druck in der Tiefe, in der sich die Leitung befindet.
Darüber hinaus haben Seismologen erklärt, dass es sich bei dem Zwischenfall nahe Bornholm um Unterwasser-Explosionen handeln soll. Zum Beispiel teilte der auf Erdbeben spezialisierte Geophysiker Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass man zwei deutliche Detonationen in dem Gebiet registriert habe – die erste in der Nacht von Montag zu Dienstag und eine zweite am Dienstagabend.
Auch die Medien haben – unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ – von gezielten Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines berichtet. Der zeitliche Ablauf und die Tatsache, dass es in drei Leitungen starke Druckabfälle gegeben habe, ließen auf Sabotage schließen, heißt es.
Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass die Gasleitung Nord Stream 1 in den vergangenen Wochen zwar aufgrund von Reparaturschwierigkeiten nicht betrieben wurde, aber trotzdem mit Gas gefüllt war. Die Leitung Nord Stream 2 hingegen wurde nach ihrer Fertigstellung vor knapp einem Jahr noch nicht in Betrieb genommen, was direkte Auswirkungen auf die Gaspreise in Deutschland hatte. Und wenn man jetzt sogar von einem langfristigen Ausfall der russischen Pipelines ausgeht, dann hat dies für die europäische Gasversorgung höchst problematisch, weil dadurch die Energiesicherheit Deutschlands und diverser anderer EU-Staaten in der kommenden Winterperiode wegen möglicher Gasknappheit enorm gefährdet wird.
Eine der wichtigsten Fragen angesichts dessen lautet nun: Wer steckt hinter Nord-Stream-Zwischenfall? Motive für eine solche Tat haben viele Staaten und internationale Akteure, die technischen Mittel sowie andere dazu notwendige Voraussetzungen jedoch nur wenige.
In Anbetracht des Aufwands kommt derzeit auch nur ein staatlicher Akteur infrage. Unter Berücksichtigung der Umstände sind sowohl die USA und ihre Verbündeten als Urheber der Zwischenfalls in Betracht zu ziehen, da sie mehrfach betont haben, den europäischen Gasimport aus Russland unterbinden zu wollen, als auch die Russen selbst, die ihre eigenen Interessen in der Energiekrise verfolgen und schon allein deshalb unter die Lupe genommen werden sollten, weil es mittlerweile zum guten Ton gehört, sie immer als Erstes zu verdächtigen.
Ist Russland für den Zwischenfall verantwortlich?
So geschehen auch in zahlreichen westlichen Leitmedien, die umgehend der Führung in Moskau die Schuld für die Anschlägen zugeschoben haben. In einigen britischen Zeitungen etwa hieß es gleich am Dienstag, dass es ein russischer Angriff gewesen sei. Aber auch deutsche Medien beeilten sich, dieses Narrativ zu bedienen.
Der Tagesspiegel hat die Frage aufgeworfen, wem der „Energieterror nützen könnte“, und stellte gleich die dazu passende Theorie auf, die Russen hätten in einer „False-Flag-Operation“ ihre eigenen Gasleitungen gesprengt. Denn die daraus entstehende Verunsicherung würde ja grundsätzlich dem Kreml in die Karten spielen. Demnach könnte sein Motiv sein, Unsicherheit auf dem europäischen Gasmarkt zu schüren und möglicherweise den Gaspreis wieder nach oben zu treiben.
Aber auch deutsche Politiker wollen Russland als den Hauptverantwortlichen für den Zwischenfall ausgemacht haben. So etwa der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Bundestag, Roderich Kiesewetter. Gegenüber dem Handelsblatt erklärte er, dass dies ein gezielter Sabotageakt sei, der „durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen würde“. Es könnte ein Versuch gewesen sein, so der Christdemokrat, Europa zu spalten, die Bevölkerung zu verunsichern und auf diesem Wege die Unterstützung der Ukraine zu schwächen.
Als Gegenargument für die Behauptung Kiesewetters und unter Verweis auf die allseits bekannte antirussische Rhetorik könnte man anführen, dass Russland durch die Beschädigung der eigenen Infrastruktur sich eben auch selbst die Möglichkeit genommen hat, die Gasversorgung als Druckmittel zu verwenden.
Darüber hinaus verliert Moskau mittel- bis langfristig die Möglichkeit, die Pipelines in Betrieb zu nehmen, um die Einnahmen aus dem Gasexport in Milliardenhöhe zu generieren. Der Verlust dieser Gelder ist in Anbetracht der westlichen Sanktionspolitik besonders schmerzhaft für die Russen, weil der Export von Rohstoffen für die russische Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt.
Was die „Verunsicherung des europäischen Gasmarktes“ angeht, so ist erneut darauf hinzuweisen, dass über die beiden Nord-Stream-Leitungen zum Zeitpunkt des Zwischenfalls gar kein Gas transportiert wurde und die Gasmärkte auch nicht damit gerechnet haben, dass sich dies in naher Zukunft ändert. Dementsprechend stieg der Gaspreis auf dem Spotmarkt am Mittwoch auch nur auf 212 Euro je Megawattstunde an. Dieses Preisniveau ist bei weitem nicht mit den Gaspreisen zu vergleichen, die man in den vergangenen Monaten in Europa sonst erlebt hatte.
Aber es gibt da auch noch andere Vermutungen: Zum Beispiel soll der Zeitpunkt günstig gewählt worden sein, um den Anschlag den USA unterzuschieben. Schließlich bewegen sich derzeit viele Kriegsschiffe der NATO in der Ostsee und östlich von Bornholm sammelt sich ein großer US-Kampfverband. U-Boote und Marinetaucher sollen auch an diversen Übungen teilgenommen haben.
Außerdem könnte Russland Europa deutlich machen wollen, dass die westliche Sanktionspolitik nicht greift und dass man definitiv bereit sei, das Erdgas aus Westsibirien, das für den Export via Nord Stream in die EU bestimmt ist, in den kommenden Jahren nach China umzuleiten. Zumal Russland auch über andere Routen verfügt, um Gas nach Europa zu transportieren: Die Pipeline „Turkish Stream“ in Südeuropa, die Gasleitungen, die durch Weißrussland und die Ukraine gehen sowie der LNG-Transport.
Wer steckt hinter dem Ausschalten der Nord-Stream-Pipelines? (Teil 2)