Frau Bitzegeio ist Honorarprofessorin am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Bonn und verantwortet den Fachbereich Geschlechtergerechtigkeit und Gender der Friedrich-Ebert-Stiftung, in dem u.a. die ländervergleichende Studienreihe „TRIUMPH DER FRAUEN“ erscheint, die sich mit Antifeminismus, Rechtspopulismus und deren internationalen Verknüpfungen auseinandersetzt. Für Pressenza hat sie sich Zeit genommen, das Thema Antifeminismus in Deutschland zu betrachten und wie es sich seit der Pandemie entwickelt hat.
Liebe Frau Bitzegeio, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview nehmen. Lassen Sie uns zuerst einen Blick auf den Begriff „Antifeminismus“ legen. Wie definieren Sie ihn und seit wann lassen sich solche Strömungen beobachten?
In der deutschsprachigen Zeitgeschichtsforschung findet sich „Antifeminismus“ als Analysekategorie, beispielsweise bereits in frühen Definitionen des Faschismus, wie er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat. Neben Revanchismus, Biologismus und Antisemitismus wurde er hier als frauenfeindliche und antiemanzipatorische Haltung zu einem der Wesensmerkmale des Faschismus. In den politischen Reformjahren der 1960er und 1970er Jahre, die kulturell von der sog. sexuellen Revolution eingefasst wurden, entwickelte er sich zum Sammelbegriff auch für diejenigen gesellschaftlichen und rechtlichen Formen der Diskriminierung, die die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von Frauen betrafen. Heute verstehen wir unter Antifeminismus nicht nur alle Formen von Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, sondern hinterfragen die Kategorien der binären Geschlechter und beziehen die Situationen weiterer vulnerabler Gruppen mit ein. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts bricht sich der Antifeminismus in den rechtspopulistischen Parteien, in ihren Wahlprogrammen und Äußerungen oft Bahn, meist als selbstverständlicher Teil der Selbstbeschreibung und -auffassung. Damit hat er es als „Policy“ in die Parlamente und durch Wahlen in die Mitte der Gesellschaften geschafft. Dramatisch ist, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Frauen weder empathisch noch politisch auf antifeministische Diskriminierung und Gewalt reagieren. Dies hat die amerikanische Soziologin Cynthia Miller-Idriss in der FES- Kurz-Studie „Triumph der Frauen. Das weibliche Antlitz des Rechtspopulismus und -extremismus“ eindrucksvoll herausgearbeitet. Mit Blick auf die politischen Entwicklungen in Osteuropa bestätigt auch Kamila Ferenc, polnische Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin, diese Tendenzen.
Wie ist Ihnen persönlich schon einmal Antifeminismus in Deutschland begegnet?
Wenn ich in der politischen Bildung und der universitären Lehre mit Genderthemen und insbesondere mit dem Themenkreis Antifeminismus und Diskriminierung von Minderheiten beschäftigen, treffe ich in alltäglichen Gesprächen durchaus auf Abwehrhaltungen gegenüber ihrer Arbeit. Insbesondere den Ideen und Forderungen des intersektionalen Feminismus, also Initiativen für die kulturelle, gesellschaftliche und politische Gleichstellung aller Geschlechter und von nicht privilegierten Personen und Gruppen begegnen viele mit Unverständnis. So wird beispielsweise das Verwenden des Gendersternchens in Texten oder die gezielte Genderpause in der gesprochenen Sprache als eine kulturelle Provokation, als despektierliches Verhalten meinerseits gegenüber der deutschen Sprache und meines Gegenübers aufgefasst: Ich rufe bei einigen Gesprächspartner_innen in diesen Momenten eher diffuse und aggressive Reaktionen hervor, meist unabhängig von ihrem Alter, ihrem Bildungshintergrund oder ihrer Herkunft. Die Elektroautos als technische Innovation und als Ergebnis von Lernprozessen zur Klimaneutralität erfreuen sich derzeit einer weitaus höheren Akzeptanz als eine kleine sprachliche Innovation, die der Antidiskriminierung entgegenwirkt, Empathie ausdrückt und Gleichstellung durch Sichtbarkeit befördert. Ohne kulturelle und sprachliche Begleitung können gesellschaftliche und politische Veränderungen und Verbesserungen nicht demokratisch verhandelt werden – mal kulturell etwas „Neues“ mitzudenken und auszuprobieren und damit sich seinen eigenen Privilegien bewusst zu werden, ist nicht bedrohlich, sondern persönlich bereichernd.
In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland doch einiges in Punkto Verbesserung der Geschlechterverhältnisse getan. Ehe für alle seit 2017, Verschärfung des Sexualstrafrechts und mehr Vielfalt als je zuvor. In welchen Bereichen sehen Sie denn noch Verbesserungspotenzial?
Rechtliche Gleichstellung ist nicht gleich tatsächliche Gleichstellung, die Schritte sind wichtig, aber nicht genug. In der Praxis sieht man eben doch weiterhin, dass Freiwilligkeit nicht reicht (z.B. bei Frauen in Führungspositionen) und dass die Debatte teilweise große Gegenwehr oder auch Ignoranz hervorruft. Caroline Creado-Perez hat in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ ja gerade Beispiele zusammengetragen, dass die digitale Welt und sorgloser Umgang mit quantitativer Empirie dazu führen, dass „Die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ wird. So sterben z.B. mehr Frauen an Herzinfarkten als notwendig, weil die Symptome andere sind als bei Männern, und die Medizin bis heute die notwendige geschlechtergerechte Forschung nicht genügend vorantreibt. Auch beim Thema reproduktive Selbstbestimmung ist noch viel zu tun. Der sog. „Werbeparagraph“ 219a ist weg, aber Abtreibung wird weiter kriminalisiert und in der Praxis immer mehr eingeschränkt – da sind antifeministische Haltungen in Schlüsselberufen, in öffentlichen und privaten Strukturen vorhanden, die sich unter den Deckmänteln familiärer `Traditionswahrung´ oder `christlicher Leitkultur´ bis hin zu biologisch begründeter `Natürlichkeit des Lebens´ verbergen. Insbesondere die Loslösung reproduktiver Selbstbestimmung und selbstgewählter Familienbildung aus solchen Strukturen bedarf nicht nur progressiver Politik und Gesetzgebung, sondern auch einer kulturellen gesellschaftlichen Implementierung. (Empathie als Bildungsbaustein könnte helfen – um nicht gleich die Errungenschaften des Humanismus bemühen zu müssen, der ja auch nicht durch die besondere Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht bekannt geworden ist.)
Einer Ihrer Thesen ist, dass die Corona-Pandemie in Deutschland die Ungleichheit der Geschlechter weiter befeuert und zuweilen sogar für eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse im Privaten gesorgt hat. Wie stützen Sie diese These?
Tatsächlich schließe ich mich dem in Wissenschaft und Öffentlichkeit oft bemühten Sichtweise an, dass die Corona-Pandemie wie ein Brennglas gewirkt hat, das alle bereits vorhandenen Krisenphänomene, Ungleichheitsstrukturen und Diskriminierungseffekte verstärkt und unübersehbar macht. Erstes Indiz dafür ist, dass nun endlich der Zusammenhang von Gender und Care Gegenstand öffentlicher Debatten geworden ist. Vor allem die unzumutbaren Beschäftigungsbedingungen in der Pflege und in verschiedenen sozialen Berufen sind deutlich hervorgetreten. Als schwächste Glieder dieser Servicekette sind private Pflegekräfte aus dem Ausland aufgefallen, die in unerträgliche soziale Not geraten sind. Auch wenn derzeit einzelne Themen öffentlich verhandelt werden (Kita-Ausbau, Pflegenotstand, Burnout etc.), sind grundsätzliche Lösungen nicht in Sicht. Das Ausmaß der Krise zeigt sich erst, wenn alle Care-Bereiche zusammen gedacht werden. Diejenigen, die Care leisten, werden zwar als „systemrelevant“ sichtbar und beklatscht, sind aber in den Krisenstäben und Expertengremien gar nicht oder nicht angemessen vertreten. Und es treten grundlegende Fragen zutage: In der noch andauernden Pandemie wird einmal mehr deutlich, dass zum Menschsein nicht nur der Wunsch nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gehört, sondern auch Verletzlichkeit und Angewiesenheit. Menschen können – in jedem Alter – ohne Care nicht (über-)leben. Frauen sind als Care-Gebende sowohl in Familien als auch in Care-Berufen überproportional aktiv. Dass Care-Tätigkeiten in beiden Bereichen sinnstiftend und erfüllend sein können, entdecken auch immer mehr Männer. Allerdings führt dies nicht automatisch zu einem Ende von Geschlechterhierarchien. Demnächst erwarten wir eine ländervergleichende FES-Studie zum Thema „Corona and Care“, die uns genaueres empirisches Material liefern kann. Erste Auskünfte hierzu gibt auch unser gleichnamiger Blog.
Die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung im Privaten wird ebenfalls mit neuem Nachdruck diskutiert. Da nach wie vor die Sozialversicherungssysteme nach Gelderwerbszeiten und einem beitragszahlenden Alleinverdiener_innen-Modell organisiert sind, bleibt während der Pandemie derjenige länger am Schreibtisch sitzen (sei es im Büro oder zuhause), der ein höheres Einkommen erzielt. Kleine und mittlere Arbeitsverhältnisse, zum Beispiel in der Reinigung, im Einzelhandel oder in der Gastronomie, in denen noch überproportional viele Frauen beschäftigt sind, fielen mit den Schließungen des öffentlichen Lebens weg. Damit fehlte oftmals der Zuverdienst oder das Teilzeiteinkommen und die Familiensorgearbeit wurde auf die Frauen übertragen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die u.a. der Frage nachgeht, wie sich die Covid-19-Pandemie auf geschlechts- und elternstatusspezifische Muster auswirkt, hat festgestellt, dass im Frühjahr 2020 etwa 20% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Kurzarbeit waren und dass Frauen der Ausfall der Arbeitszeit für Frauen in Kurzarbeit etwas höher als der für Männer, zudem erhielten Frauen seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch die Arbeitgeber_innen. Auch verzeichneten mehr als die Hälfte aller Selbstständigen verzeichneten im Jahr 2020 starke Einkommensverluste, wobei selbstständige Frauen mit einem Anteil von 63% deutlich häufiger betroffen waren als Männer mit einem Anteil von 47%.
Was glauben Sie, woher kommt das Bedürfnis rechter Strömungen, Feminismus zu unterminieren, um die eigene Position vermeintlich zu stärken?
Männlichkeitskonstrukte, tradierte Familienbilder und Hierarchien spielen da eine große Rolle, auch die martialische Verbrüderung in Männerbünden und online bspw. greifen Radikaliserungstrigger eben doch häufiger bei jungen Männern und Jungs, die auf der Suche nach Identität, Auslassventilen oder auch Lebenssinn auf rechte Strukturen treffen. Auch wenn die extreme Rechte absolut nicht mehr rein männlich ist, bleiben ihre Funktionsweisen und Gruppierungen doch attraktiver für Männer und das verstärkt wiederum die Abgrenzung zum Feminismus. Rein auf der Einstellungsebene sind Frauen genauso anfällig für abwertende Einstellungen, das zeigen unsere FES-Mitte-Studien doch sehr deutlich.
Verschwörungstheorien kommen sowohl in antifeministischen als auch in Corona-Strömungen auf. Wo liegt die Gemeinsamkeit von besorgten Müttern und besorgten Bürger_innen?
Zu allererst: In unseren Netzwerken zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antifeminismus sprechen wir lieber über Verschwörungsideologien oder Verschwörungsglaube, weil „Theorien“ diese Überzeugungen sprachlich als wissenschaftlich belegbar aufwertet. Prinzipiell sind Menschen anfälliger für solche Überzeugungen, wenn sie sich Sorgen machen – Krisen befördern das und die extreme Rechte weiß das zu nutzen. Die Coronakrise hat sehr deutlich gezeigt, wie schnell sich dann auch `unverdächtige´ Personen, die sich politisch selten oder gar nicht zu Wort melden, in krude Verschwörungserzählungen über Impfmythen und die große Weltverschwörung hineinsteigerten. Sicherlich brachte die Angst vor Erkrankung und Sterben viel Unsicherheit und Sorge bei diesen Menschen hervor, aber das rechtfertigt natürlich nicht das Sich-gemein-machen mit der organisierten extremen Rechten.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei der Erstarkung antifeministischer Strömungen?
Die zunehmende „Bubble“-Kommunikation auf Social-Media-Plattformen oder auch in anderen virtuellen Räumen wie in Gaming-Chats bereiten einen guten Boden, dass der Antifeminismus besonders wirkmächtige transnationale Bühnen erhält – und in der Regel ungefiltert. Gegenläufige Haltungen, alternative gesellschaftliche Deutungsangebote, Aufklärungs- und Bildungsangebote oder gar Erfahrungsberichte von diskriminierten Personen bleiben unsichtbar. Die Kommunikation in den Social-Media-Kanälen ist unübersichtlich, reaktiv, blitzschnell und funktioniert in der Regel in stark personalisierten Räumen, oft ungefiltert. Gleichzeitig kann die Reichweite von Botschaften und Netzwerken immens und gesellschaftlich wirkmächtig sein. Die Verknüpfung Gleichgesinnter geht globaler und schneller, wenn wir beispielsweise an die Aktivitäten der INCEL-Bewegung denken.
Mit Blick auf Fernsehen, Rundfunk und Presse ist es lobenswert, welche Mühen sich teilweise im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk oder bei anderen Qualitätsmedien online und offline gemacht wurden, um geschlechtergerechte Sprache und journalistischen Anspruch zusammenzubringen. (Das geht nämlich durchaus und gute Vorbilder schaffen Gewöhnung und Nachahmung). Auf der anderen Seite sehen wir immer wieder Aufregungsschleifen, in denen kleine Meldungen, die keine Nachricht wert wären, aufgebauscht und undifferenziert gepusht werden. Ein aktuelles Beispiel aus dem Bereich der kulturellen Bearbeitung von Rassismus kann das verdeutlichen: Ein Buch zu einem Film über Winnetou wird vom Verlag zurückgezogen und die Erregungsspirale macht daraus im Nu, dass Karl May verboten werden würde. Das ist absurd, da haben vor allem rechts-konservative Medien und entsprechende Social-Media- Outlets großen Anteil und dem gilt es unaufgeregt entgegenzuwirken. Eigene Hysterie oder angebliche Sprachverbote helfen da nicht weiter.
Wie ist es möglich, dass in Demokratien mit fest verankerten Gleichstellungsgrundsätzen politische Bewegungen erfolgreich sind, die durch sexistisches und frauenfeindliches Verhalten, hypermaskuline Performance und antifeministische Politik auffallen?
Die Wirtschafts-, Modernitäts-, Kriegskrisen und eben auch die Pandemie fördern zutage, dass mehr Menschen sich Sorgen um sozialen Abstieg, um Klima- und Energiekrisen oder auch um den Frieden machen. Das sorgt zu verstärkten Abgrenzungsbewegungen, das ist individualpsychologisch normal, muss aber umso mehr gesellschaftlich aufgefangen werden, sonst kommt es zu Verteilungskonflikten, die geprägt sind von Aus- und Abgrenzung.
Wenn wir uns die Einstellungsforschung anschauen, beobachten wir zumindest für Deutschland eher einen Rückgang von abwertenden Einstellungen aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Gender. Die Gegenseite wird vielleicht lauter und fühlt sich mehr vom Fortschritt bedroht, aber wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass die Mehrheit viel offener ist. Auch in den USA ist eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung, nur liegen die politischen Mehrheiten im Obersten Gericht eben anders. Dies sorgt für enorme Sprengkraft, aber auch für Hoffnung, dass die Mehrheit sich auch wieder politische Mehrheiten verschafft.
Vielen Dank für Ihre Antworten, Frau Bitzegeio.