Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat klagenden NGOs recht gegeben. Doch Russland hält am Gesetz von 2012 fest.
Redaktionsbeitrag für die Online-Zeitung Infosperber
Das «Ausländische Agentengesetz» zwingt alle NGOs in Russland, sich selber als «ausländische Agenten» zu bezeichnen, falls sie für ihre Tätigkeit Geld aus dem Ausland akzeptieren. Sie müssen sich auch in ein spezielles Register eintragen. Das russische Justizministerium überprüft diese «ausländischen Agenten» dann jedes Jahr, ob sie besonders strenge Vorschriften zur Buchhaltung und Offenlegung einhalten.
Gegen dieses Gesetz hatten 62 Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR geklagt, weil das Gesetz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstosse. Am 14. Juni 2022 hat der Gerichtshof der Klage stattgegeben: Das russische Gesetz über «ausländische Agenten» sei «in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig». Es verstosse gegen die Vereinsfreiheit und gegen die Meinungsäusserungsfreiheit.
Zur Zeit des Urteils war Russland noch Mitglied des Europarats und müsste das Urteil des EGMR respektieren. Doch Russland hält am Gesetz fest.
Bewusst stigmatisierend sei der Begriff «ausländischer Agent». Der EGMR verweist auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes der EU in Luxemburg: Eine solche Bezeichnung sei dazu geeignet, «ein allgmeines Klima des Misstrauens gegenüber diesen Organisationen zu schaffen und sie zu stigmatisieren».
Das Urteil des EGMR beanstandet auch die Höhe der angedrohten Mindeststrafe. Sie würde das monatliche Mindestgehalt bis zum Dreissigfachen übersteigen. Abschliessend heisst es im Urteil:
«Die Regierung hat keine sachdienlichen und ausreichenden Gründe für die Schaffung eines besonderen Status von ‹ausländischen Agenten›, die Auferlegung zusätzlicher Berichts- und Rechnungslegungspflichten für als ‹ausländiche Agenten› registrierte Organisationen, die Beschränkung ihres Zugangs zu Finanzierungsmöglichkeiten und die Bestrafung von Verstössen gegen das Gesetz in einer unvorhersehbaren und unverhältnismässig strengen Weise dargelegt.»
Urteil des EGMR vom 14.6.2022 HIER.