Am Montag den 4. Juli fand die feierliche Übergabe des Verfassungsentwurfs an den chilenischen Präsidenten Gabriel Boric statt. Die monatelange Arbeit des Konvents ist damit beendet. „Eine historische Phase demokratischer Arbeit geht hiermit zuende“, erklärte die Präsidentin des chilenischen Verfassungskonvents, María Elisa Quinteros. „Dieser Verfassungsvorschlag, den wir heute überreichen, soll die Grundlage sein für das gerechtere Chile, von dem wir alle träumen. Viele Generationen haben für diesen Traum gearbeitet. Was uns angetrieben hat, war die Hoffnung auf ein neues gesellschaftliches Abkommen, das uns alle mit berücksichtigt.“ Die Zeremonie fand im alten Kongressgebäude in Santiago statt, wo der Konvent monatelang getagt hatte. In ihrer Rede erwähnte Quinteros auch die „sozialen Umwälzungen, die soziale und ökologische Krise von nie dagewesenem Ausmaß, die Pandemie sowie neue Kriege in der Welt“, die die Arbeit an der neuen Verfassung begleitet hatten. Weiter erklärte sie: „Wir haben den institutionellen Weg gewählt, um voranzukommen, um Balancen wiederherzustellen, um zu korrigieren, was ins Ungleichgewicht geraten ist , um Themen wieder in die Agenda aufzunehmen, die in Vergessenheit geraten waren.“ Diese nun vorliegende „erste paritätische Verfassung der Welt“ beinhalte die Überzeugungen einer breiten Mehrheit. Der vorgelegte Verfassungsentwurf ist das Ergebnis von 110 Tagen Arbeit des Konvents. Er umfasst 178 Seiten, 388 Artikel und 54 Übergangsbestimmungen. Am 4. September soll der Verfassungsentwurf dem chilenischen Volk zur Abstimmung vorgelegt und damit entschieden werden, ob die neue Verfassung angenommen oder die derzeit gültige Verfassung aus der Zeit der Pinochet-Diktatur beibehalten werden soll. Bei dieser Abstimmung besteht Wahlpflicht. Die chilenische Rechte, die im Konvent mit einer Minderheit vertreten war, sprach sich gegen den im Konvent ausgearbeiteten Text aus, die Linke hingegen befürwortet den Verfassungsentwurf.
„Das Land hat sich jetzt schon verändert“
Auch der Vizepräsident Gaspar Domínguez ergriff bei der Zeremonie am Montag das Wort und bezeichnete die Vielfalt des Konvents als eine ihrer großen Stärken: „Wieder einmal hat sich gezeigt: Vielfalt trennt nicht. Sich zur Vielfalt zu bekennen ist kein Privileg, sondern ein notwendiger Schritt, um Einheit und Gleichheit zu schaffen. Noch nie hat es in der demokratischen Geschichte Chiles einen Prozess mit solch einem transformativen Potential gegeben.” Domínguez hob insbesondere die umweltpolitischen Inhalte der neuen Verfassung hervor und erklärte: „Die perfekte Verfassung gibt es nicht, da bildet auch der Verfassungsvorschlag keine Ausnahme.“ Die neue Verfassung könne jedoch ein brauchbares Instrumentarium für die Zukunft sein, die Augen der Welt seien hoffnungsvoll auf den derzeitigen Prozess gerichtet. „Was auch immer bei der Abstimmung am 4. September herauskommt: Das Land hat sich jetzt schon verändert“, so Dominguez. Das Prinzip der Parität sei aus den Lenkungsstrukturen nicht mehr wegzudenken. „Die Diskussionen darüber, was wir als Land wollen und wie es weitergehen soll, die Gespräche über politische Fragen haben wieder Einzug gehalten in den Alltag der Menschen.“
Das Volk hat sich für mehr Demokratie entschieden
Präsident Boric erklärte, dies sei der Auftakt der nächsten Etappe: Nun gelte es, den Verfassungsvorschlag sorgfältig zu lesen und zu diskutieren. „Sicher, es bestehen Meinungsverschiedenheiten über den Text. Doch im Moment der tiefsten politischen, institutionellen und sozialen Krise, die unser Land seit Jahrzehnten erlebt hat, haben sich die chilenischen Männer und Frauen für mehr und nicht für weniger Demokratie entschieden, und darauf können wir stolz sein“, so Boric. „Was wir nun brauchen, ist eine intensive Debatte über die Wirkmächtigkeit dieses Entwurfs, mit Unwahrheiten, Verfälschungen oder katastrophalen, realitätsfremden Interpretationen sollten wir uns jedoch nicht aufhalten.“ Weiter erklärte der Präsident: „Mit der Volksabstimmung wird nicht für oder gegen die Regierung gestimmt, sondern es werden die Weichen für die Zukunft Chiles gestellt. Es geht darum, was in den nächsten Jahrzehnten in unserem Land passieren soll.“ Boric erinnerte auch an Ex-Präsident Eduardo Frei Montalva, „der vor 42 Jahren, am 27. August 1980, in den düsteren Tagen unseres Landes, dazu aufgerufen hatte, gegen die Verfassung Pinochets zu stimmen“. Abschließend bedankte sich der Präsident für die Einladung zu der feierlichen Zeremonie an einem solch geschichtsträchtigen Ort.