Bayer, BASF und andere Konzerne lobbyieren in Brasilien für ein gefährliches Pestizidgesetz, um ihre Profite zu maximieren. Im Land selbst werden heftige Proteste laut.
Die deutschen Agrarriesen Bayer und BASF lobbyieren in Brasilien massiv für ein neues Maßnahmenpaket zur Regulierung von Agrochemikalien, das bestehende Schutzvorschriften aushöhlt. Die Konzerne erwarten durch das von Kritikern als „Poison Package“ titulierte Gesetz Umsatzsteigerungen und schalten sich vor allem über Unternehmensverbände wie CropLife Brasil in den politischen Prozess ein. Sie haben zudem Zugang zum Präsidenten Jair Messias Bolsonaro und den zuständigen Ministerien. Überdies versuchen die Firmen, den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten voranzubringen, das ihnen Aussicht auf Extraprofite eröffnet. Eine Strategie besteht darin, das Bild der brasilianischen Landwirtschaft in den Augen der EU-Entscheidungsträger zu verbessern und ihr ein „Small is beautiful“-Image zu verpassen. Dies alles stößt in Brasilien selbst auf massiven Widerstand. So besetzte die Jugendorganisation der Landlosenbewegung MST im Juni eine Niederlassung des Leverkusener Multis, um gegen dessen Intervention zugunsten des Giftpakets und gegen die jetzt schon verheerenden Auswirkungen der Bayer-Pestizide zu protestieren.
Das „Poison Package“
Die Vorlage für das brasilianische Pestizidgesetz PL 6299/2002 stammt ursprünglich aus dem Jahr 2002. Eingebracht hatte sie Blairo Maggi, der „Soja-König“ des Landes und spätere Landwirtschaftsminister. Die erste parlamentarische Hürde nahm das Paragrafenwerk allerdings erst im Februar 2022. Nach dem Kongress in Brasília muss bis zur Präsidenten- und Parlamentswahl am 2. Oktober nun nur noch der Senat dem Maßnahmenbündel zustimmen, das Kritiker als das „Poison Package“ bezeichnen. Es hebelt unter anderem das Vorsorgeprinzip aus und sieht Verbote von Agrochemikalien nur noch bei „inakzeptablen Risiken“ vor. Zudem schwächt PL 6299/2002 die Stellung der Umwelt- und der Gesundheitsbehörde in den Zulassungsverfahren zugunsten derjenigen des Landwirtschaftsministeriums und beschleunigt den Genehmigungsprozess generell.
Einflussarbeit
Bayer, BASF und andere Konzerne versprechen sich von dem Gesetz bessere Absatzchancen für ihre Produkte. Deshalb entfalten sie zahlreiche Aktivitäten, um seine Verabschiedung sicherzustellen, wie die aktuelle Studie „Giftige Profite“ von Larissa Mies Bombardi und Audrey Changoe dokumentiert.[1] Sie versuchen vor allem über Unternehmensverbände wie SINDIVEG, ABAG und CropLife Brasil, dem der ehemalige Bayer-Manager Christian Lohbauer vorsteht, Einfluss zu nehmen. Überdies nutzen sie Denkfabriken wie das Instituto Pensar Agro und PR-Plattformen wie Agrosaber zur Beeinflussung der Politik. Als Hebel für ihre Interessen dient ihnen dabei auch die überparteiliche Parlamentariergruppe Bancada Ruralista, in der sich Landeigentümer, Agrarindustrielle und Beschäftigte der Branche zusammengefunden haben.
Kurze Dienstwege
Darüber hinaus haben die deutschen Konzerne Zugang zum Präsidenten des Landes sowie zu den Ministern. So trafen Bayer-Chef Werner Baumann und der PR-Chef des Konzerns, der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger, sich bereits persönlich mit Jair Messias Bolsonaro. Dessen einstiger Umweltminister Ricardo Salles absolvierte sogar schon Hausbesuche bei Bayer in Leverkusen und bei BASF in Ludwigshafen. Zudem gab es Treffen von BASF-Managern mit Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina. Malu Nachreiner, die Chefin von Bayer do Brasil, kam ebenfalls schon mit Cristina zusammen. Deren Nachfolger Marcos Montes stand früher selbst einmal in Diensten des bundesdeutschen Agro-Riesen.[2]
Bayer-Niederlassung besetzt
Der Lobbyismus der Konzerne löst in Brasilien Empörung aus. So besetzte die Jugendorganisation der Landlosenbewegung MST am 10. Juni eine Bayer-Niederlassung in Jacareí. „Dieser Gesetzentwurf bringt gravierende Änderungen der geltenden Rechtsvorschriften mit sich, die den Verkauf und die Verwendung von für Mensch und Natur hochgiftigen Stoffen erleichtern“, erklärten die Jugendlichen. Die Autorinnen der Studie „Giftige Profite“ kritisieren: „Während die europäische Pestizid-Industrie danach strebt, ihre Profite zu maximieren, stirbt in Brasilien jeden zweiten Tag ein Mensch an einer Pestizid-Vergiftung. Und rund 20 Prozent dieser Todesopfer sind Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren.“[3]
Appell der UN
Sogar die Vereinten Nationen schalteten sich inzwischen ein. Marcos Orellana, der UN-Sonderberichterstatter für die Auswirkungen giftiger Substanzen und Abfälle auf die Menschenrechte, und andere Sonderberichterstatter appellierten in einem Brief eindringlich an die Regierung Bolsonaro, das „Poison Package“ zurückzuziehen. Sie sehen durch die Deregulierungsmaßnahmen ernste Gesundheitsgefahren auf das lateinamerikanische Land zukommen und warnen vor einem „monumentalen Rückschlag für die Menschenrechte in dem Staat“.[4] „Ohne weitere Maßnahmen, die sicherstellen, dass Unternehmen die Menschenrechte und die Umwelt respektieren, werden die Missbräuche weiter zunehmen, wenn dieser Gesetzesentwurf angenommen wird“, prophezeien die UN-Mitarbeiter: „Brasilien sollte daran arbeiten, das Regelwerk zu stärken statt zu schwächen“.
PR-Arbeit für das EU-Mercosur-Abkommen
Die Interventionen der deutschen Konzerne beschränken sich dabei nicht auf das geplante Pestizidgesetz. Die Agroriesen versuchen auch, den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) voranzutreiben: Die getroffenen Vereinbarungen stellen ihnen nicht unerhebliche Gewinnerhöhungen in Aussicht. „Das Handelsabkommen … schafft die Zölle für 90 Prozent der Chemikalienexporte ab, für die derzeit Einfuhrzölle von bis zu 18 Prozent gelten“, frohlockt der europäische Chemieverband CEFIC.[5] Parallel dazu rechnet der EU-Forschungsdienst durch die dem Mercosur gewährten Handelserleichterungen mit mehr Einfuhren von Soja, Mais und anderen Agrarprodukten in die Europäische Union. Er prognostiziert eine Steigerung des Mercosur-Marktanteils an den Nahrungsmittelimporten der EU von derzeit 17 auf 25 Prozent bis zum Jahr 2025; das dürfte nicht unerhebliche Auswirkungen auf den Pestizidabsatz in den dortigen Staaten haben.[6]
Small is beautiful
Bayer hat zur Pflege der politischen Landschaft in Sachen Mercosur den Brüsseler Think-Tank ECIPE verpflichtet. Das sogenannte EU-Mercosur-Projekt liegt dabei in den Händen von Emily Rees, die einige Berufsjahre als EU-Beauftragte von APEX, der brasilianischen Agentur für Export- und Investitionsförderung, in der belgischen Hauptstadt verbracht hat. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt darin, das Image des brasilianischen Agrarsektors bei den Beamten und Politikern der Europäischen Union zu verbessern und so mehr Akzeptanz für das Abkommen zu schaffen. Um von den ausladenden Monokulturen abzulenken, die sich immer weiter in den Regenwald hineinfressen, rät sie der Branche, sich kleinzumachen. „Die Europäer legen Wert auf Produkte aus kleinen, regionalen Erzeugerbetrieben“, sagte sie bei der Vorstellung einer von APEX lancierten PR-Kampagne.[7] Davon abgesehen gibt sich Croplife Brasil klimabewusst und buhlt um die Gunst der klimabewegten Jugend. „Wir wollen Greta zeigen, dass wir keine Schurken sind“, erklärt Christian Lohbauer.[8]
Koloniales Erbe
Für Bombardi und Changoe, die Autorinnen der Studie „Giftige Profite“, droht indes mit dem EU-Mercosur-Freihandelsabkommen eine nochmalige Forcierung des agroindustriellen Modells mit all seinen gefährlichen Risiken und schädlichen Nebenwirkungen. Darüber hinaus steht die Übereinkunft, wie sie betonen, in einer kolonialen Tradition. „Seit dem späten 15. Jahrhundert haben Europäer in der Region Rohstoffe abgebaut und natürliche Ressourcen und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Monokulturen nach Europa exportiert. Dieses Muster ist in den heutigen europäischen Handelsbeziehungen mit den Mercosur-Staaten nach wie vor deutlich erkennbar“, schreiben sie.[9] Bei rund 84 Prozent der EU-Exporte in Mercosur-Staaten handele es sich um Dienstleistungen und hochwertige Industrieprodukte, wohingegen sich rund drei Viertel der Mercosur-Exporte nach Europa aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bodenschätzen zusammensetzten: „Die im EU-Mercosur-Abkommen vorgesehene Handelsliberalisierung wird diese neokoloniale Beziehung zementieren.“[10]
Mehr zur Rolle deutscher Konzerne in Brasilien: Auf Blut gebaut (II), Tödliches Sicherheitszertifikat und Brände im Amazonasgebiet.
[1] Larissa Mies Bombardi, Audrey Changoe: Giftige Profite. bund.net.
[2] Agenda de Tereza Cristina. gov.br.
[3] mst.org.br.
[6] Das EU-Assoziationsabkommen mit dem Mercosur. power-shift.de.
[7], [8], [9], [10] Larissa Mies Bombardi, Audrey Changoe: Giftige Profite. bund.net.