Wenn die Nato glaubwürdig den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine kritisieren will, muss sie auch die völkerrechtswidrigen Angriffe ihrer Mitgliedsstaaten verurteilen. Das fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zu Beginn des Nato-Gipfels am 29. Juni in Madrid: „Wenn ein Staat die Zivilbevölkerung seines Nachbarlandes bombardiert, darf seine Nato-Mitgliedschaft nicht vor Kritik schützen“, findet Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Die Türkei terrorisiert ihre Nachbarländer Syrien und Irak seit Jahren mit Drohnen- und Raketenangriffen und hält deren Territorien besetzt. Kein Nato-Staat hat es bisher gewagt, dagegen zu protestieren oder die Kriegsverbrechen der Türkei auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrats zu bringen.“
Besonders Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten würden immer wieder Ziel der Angriffe. „In den Augen dieser Menschen verliert das westliche Gerede von Werten und Moral jede Glaubwürdigkeit“, berichtet Sido. „Sie haben kaum eine andere Wahl, als zu resignieren. Stellvertretend für die Nato und im Verbund mit islamistischen Milizen vertreibt die Türkei sie aus ihrer Heimat und zwingt sie in die Flucht.“ Die Häuser der Vertriebenen vergebe die Türkei dann an islamistische Verbündete. So dehne sie ihren Einflussbereich aus und verändere die demografische Struktur der ehemals kurdisch geprägten Gebiete Syriens und des Irak – ein weiterer offensichtlicher Bruch des Völkerrechts.
„Dass die Nato und ihre Mitlieder in der Ukraine auf die Gültigkeit des Völkerrechts beharren, ist vollkommen richtig. Dass sie die ständigen Rechtsbrüche der Türkei schweigend hinnehmen, untergräbt langfristig das Völkerrecht und alle Institutionen, die es schützen“, erklärt Sido. „Die Nato muss den Gipfel in Madrid nutzen, um die Türkei zur Ordnung zu rufen. Andernfalls verliert das gesamte internationale Rechtssystem an Legitimität. Langfristig kann es dadurch ins Wanken geraten.“