Ein Besuch in Gernika zum 85. Jahrestag der Bombardierung
15:45 am 26.April 2022: Sirenen heulen über den Platz von der nahen ehemaligen Metall-und Rüstungsfabrik in Gernika – wie vor 85 Jahren, als sie vor dem Angriff der deutschen Flugzeuge der Legion Condor warnten. Es ist ein schöner sonniger Tag und trotzdem läuft einem ein Schauer über den Rücken. Krieg – so fern – und so nah.
Wir stehen zusammen in dieser betriebsamen, wiederaufgebauten baskischen Kleinstadt. Gleichzeitig verbinden sich vor dem inneren Auge mit diesen Sirenen die Bilder von Mariupol und Charkiw: Menschen rennen zu Schutzräumen, erreichen sie nicht alle, denn 5 Minuten später kommen die Flieger mit ihrer tonnenschweren Bombenlast und hinterlassen eine Spur der Zerstörung und Verwüstung – Mütter suchen verzweifelt ihre Kinder, retten aus den Trümmern was noch zu retten ist, ein Foto, einen Kochtopf, Schreien, Weinen, Tote und Verletzte… der Wahnsinn des Krieges.
Was ist 1937 in Gernika geschehen und was hat das mit uns Deutschen zu tun? Wer erinnert sich noch außer, dass man das berühmte Picasso-Bild in irgendeinem großen Museum der Welt gesehen hat oder auch nur als zum Frieden mahnendes Poster kennt?
Am 26.April 1937 griffen die Bomber der Legion Condor über 3 Stunden in immer neuen Wellen die Stadt an. Ihr Gros bestand aus Ju-52-Bombern, beladen mit Spreng- und Brandbomben. Auch andere „modernste“ Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe nahmen an der Bombardierung teil. Angeblich – so die späteren Aussagen der Mitglieder der Legion Condor – waren die gesamten Angriffe unter der Autorität Francos abgesegnet und somit verantwortet und dazu nur auf eine strategisch wichtige Brücke angelegt, die den Rückzug republikanischen Flüchtlinge verhindern sollte. Die Brücke wurde jedoch nicht einmal getroffen, sondern mehr als 70% der Stadt dem Erdboden gleich gemacht.
General von Richthofen, der den Einsatz leitete hatte die Bombardierung der baskischen Städte ausdrücklich genehmigt als Teil einer „psychologischen Kriegsführung, um den Widerstand der baskischen Republikaner zu zerstören“. Auch unzweifelhaft ist, die von Göring im Rahmen der Nürnberger Prozesse selbst abgegebene Erklärung „der spanische Bürgerkrieg war eine gute Gelegenheit meine junge Luftwaffe auf die Probe zu stellen, damit meine Leute dort Erfahrungen sammeln konnten“. Nur die „Achsenmächte“ Deutschland und Italien feierten den Angriff, als Sieg General Francos, Hitler verhinderte eine internationale Untersuchung. Nicht vergessen dürfen wir, dass die italienischen Kampfverbände unter Mussolini andere Städte wie z.B. Durango in der Nähe brutalst vernichteten.
Die Legion Condor war ein Kampfverband, den die Nazis aufgebaut hatten. Die faschistische Allianz stand: Mussolini-Hitler-Franco. Franco war einer der fünf Generäle, die sich dem bewaffneten Aufstand gegen die junge Republik verschrieben hatte, um eine klerikal – reaktionäre Diktatur zu errichten. Sie putschten gegen die gewählte republikanische Regierung und somit auch gegen das Volk. Franco selbst hing mit seinen Soldaten zunächst noch isoliert in Marokko fest. Da sich Teile der Marineeinheiten dem Putsch der Soldateska widersetzten, war so die Überfahrt aufs Festland blockiert. Durch den pausenlosen Einsatz einer deutschen Flugzeugflotte wurde eine Luftbrücke nach Spanien organisiert, die in wenigen Wochen 30.000 Soldaten von Ceuta nach Sevilla transportiert. (Ceuta, die spanische Enklave aus der Kolonialzeit, die besonders mit den Flüchtlingen aus Afrika traurige Schlagzeilen macht). Mit diesen Truppen gelang es Franco seine Offensive im Inland zu starten. Die Legion half auch unzureichend bewaffnete Milizen pausenlos zu bombardieren. Die Luftüberlegenheit der faschistischen Allianz Deutschland und Italiens war entscheidend. England und Frankreich hielten sich weitgehend raus (Kommunistengefahr?) und auch die späte Einmischung der Sowjetunion war eher bescheiden.
Heinrich Mann schreibt in einem Aufsatz: „die Bilder der getöteten Kinder wurden außerhalb Deutschlands und Italiens überall gezeigt… das Propagandaministerium der spanischen Republik stellt Fotos nebeneinander aus von einer Schule mit den lebenden Kindern und die selbe Schule mit ihren Leichen…“ (zitiert aus „Die Kinder von Guernika- deutsche Schriftsteller zum spanischen Bürgerkrieg“). Wie sich die schrecklichen Bilder aus der Ukraine, die nicht in Russland gezeigt werden, mit diesen ähneln und welche Wirkung sie entfalten.
Die Republik hatte so viele Hoffnungen geweckt. Sie ist eng verbunden mit der Einführung der Gleichberechtigung und des Frauenwahlrechts in Spanien 1937, mit Bürgerrechten und Sozialversorgung, Etablierung demokratischer Institutionen und vielen Errungenschaften mehr. Mit dem Militärputsch schlossen sich viele Freiwillige aus ganz Europa den spanischen Republikanern und Antifaschisten an. Sie kamen aus kommunistischen, sozialistischen und anarchistischen Gruppen. Zahlreiche Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, Arbeiter waren bei den Internationalen Brigaden dabei – voller Begeisterung für das „Gute“ und aus Überzeugung für den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit gegen den Faschismus. Natürlich spielten auch russische Milizionäre eine Rolle, die Stalins als Vorkämpfer der Weltrevolution einsetzte. Die Brigaden waren weniger ausgerüstet mit schweren Waffen, weil ihnen im Gegensatz zu den Faschisten die Rückendeckung durch interessierte Kräfte fehlte und weil sie keine ausgebildeten Kämpfer waren. Viele ließen im ungleichen Kampf ihr Leben, nicht Wenige wurden von der Gestapo ins benachbarte Frankreich verschleppt und in Konzentrationslager gebracht. Überlebende werden noch heute als Widerständler gegen den Faschismus verehrt.
Die Frage des bewaffneten Kampfs als Dilemma ist und bleibt also omnipräsent in der jüngeren Geschichte. Sie zeigt aber gleichzeitig, dass militärisch nie ein langfristiger Frieden möglich ist und das Leiden fortgesetzt wird. Daran müssen wir als Menschen, die uns dem Frieden verschrieben haben weiterarbeiten. Mit aller Kraft und Ausdauer trotz ständiger Rückschläge für die Prävention einsetzen und die Erziehung zum Frieden auf allen Ebenen – wie dies die insbesondere Frauen immer wieder betonen.
Unter Franco war es mit Gefahr für Leib und Leben versehen, überhaupt über die Verbrechen und die faschistische Gewalt zu sprechen. Die Gräueltaten wurden verschwiegen oder den internationalen Brigaden in die Schuhe geschoben. Erst 40 Jahre nach dem spanischen Bürgerkrieg, 1977, 1 Jahr nach dem Tod Francos, konnte Gernika zum ersten Mal der Opfer der Luftangriffe von 1937 öffentlich gedenken.
Damals wurde auch erstmals die Frage einer Wiedergutmachung der deutschen Angriffe diskutiert. Petra Kelly kommt ein großes Verdienst zu, die Erinnerung wachzuhalten durch Besuche im Baskenland und intensivem Austausch mit Opfern. Wie schwer und langfristig es ist, Erinnerung am Leben zu erhalten und als Warnung, Verzeihung und Wiedergutmachung für alle Beteiligten in Gang zu setzen und auch eine offizielle Entschuldigung seitens der Bundesregierung zustande zu bringen, beschreiben Petra Kelly und Gerd Bastian als Herausgeber*innen einer „Dokumentation einer gescheiterten Wiedergutmachung“ kurz vor ihrem gewaltsamen Tod.
Petra Kellys Mission ist nicht zu Ende, auch wenn es inzwischen eine gut funktionierende Partnerstadt mit Pforzheim gibt, ein Friedensmuseum in Gernika zu „Erinnerung und Versöhnung“, das wir gemeinsam mit den Pforzheimern besuchten und insbesondere „Gogoratuz“ den 1987 gegründeten Verein für Friedenskultur unter der Leitung von Maria Oianguren. Sie und ihr Team begleiten mit großem Engagement nicht nur Wege zum Frieden, leisten Erinnerungsarbeit, fördern Austausch und Präventionsarbeit, verleihen jedes Jahr zum Jahrestag der Bombardierung einen Friedenspreis und organisieren dazu eine Veranstaltung.
In diesem Jahr gab es 4 Preisträger*innen, u.a. WILPF, deren Frauen auch den Studientag gestalteten u.a. durch eine Ausstellung zu 100 Jahre Frauen-Friedensarbeit, durch Vorträge und Diskussionen um Lösungen aus dem Krieg.
Ich bin heimgefahren inspiriert von dem tiefen Friedenswillen und der täglichen Notwendigkeit, sich aktiv einzusetzen für Abrüstung, Frühwarnung, Wiederstand gegen militärische Logiken und toxische Maskulinität. Gerade, wenn ein Konflikt ausgebrochen ist dürfen wir nicht wieder auf dieselben alten Methoden der Gewalt zur Bekämpfung der Gewalt zurückgreifen.
Ja, Krieg geht uns alle an, niemand kann neutral bleiben. Wir leiden mit den Menschen unter dem Bombenhagel, wir sind solidarisch mit den Frauen und Kindern und auf der Flucht, mit den Männern, die zum Militärdienst gezwungen werden, obwohl sie nie mit der Waffe ihre Freiheit verteidigen wollten. Uns treibt die Sorge um für die Menschen mit all ihren Bedürfnissen und Nöten, um die Natur, die uns umgibt und die höchster Gefahr ausgesetzt ist – gerade durch militärische Operationen und noch dramatisch zugespitzt im Krieg. Aber da herrscht gerade im Krieg Schweigen.
„Wir Frauen machen weiter, die Ursachen von Krieg und Gewalt aufzudröseln und uns für Abrüstung einzusetzen“, betonte Joy Onyesoh, die internationale WILPF Präsidentin aus Nigeria bei der Preisverleihung in Gernika.
Uns bleibt nur der Auftrag zum Frieden!