Eine journalistische Recherche zum wachsenden Ausmaß von Kinderarbeit in illegalen Mica-Minen in Indien unterstreicht die Dringlichkeit von strengen Transparenz- und Haftungspflichten für Unternehmen in einem Lieferkettengesetz. Die Recherche hat dafür umfassend Satellitendaten ausgewertet
Die stark steigende Nachfrage nach Rohstoffen in Folge der Covid-19-Pandemie erhöht die Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in den Lieferketten global aktiver Unternehmen. Dies zeigt eine von der Heinrich-Böll-Stiftung Washingon, DC und Brüssel, Europäische Union unterstützte journalistische Recherche zum wachsenden Ausmaß von Kinderarbeit in illegalen Mica-Minen in Indien. Das Mineral Mica oder auch Glimmer ist ein zentraler Rohstoff für die Industrie. Das Recherche-Projekt ist eine Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit der ZEIT.
Die Auswertung von Satellitenbildern in der Recherche von Vertical52 zeigt, dass sich die gerodete Fläche illegaler Mica-Minen in Indien, dem weltweit größten Exporteur des Minerals, seit 2016 verdreifacht hat – trotz Anstrengungen von Industrie, Politik und Zivilgesellschaft, das Problem zu bekämpfen. Weniger als ein Drittel der 150.000 Tonnen Mica, die Indien jährlich exportiert, findet sich in der offiziellen Produktionsstatistik – ein weiteres Indiz dafür, dass ein Großteil der Exportmenge aus illegalen Minen stammt. Journalistische Recherchen vor Ort zeigten außerdem, dass Kinderarbeit in diesen Minen allgemeine Praxis ist. Die Recherche von Vertical52 wurde am 6. Mai 2022 in der ZEIT veröffentlicht.
Die Untersuchung unterstreicht die Dringlichkeit von strengen und konkretisierten Transparenz- und Haftungspflichten für Unternehmen. Die Europäische Kommission plant in ihrem Richtlinienvorschlag zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen bei der Produktion von Waren für den europäischen Binnenmarkt einen Riegel vorzuschieben.
„Der Kommissionsvorschlag, den Aktionsbündnisse wie die „Initiative Lieferkettengesetz“, aber auch große Unternehmen schon lange forderten, muss nun schnell umgesetzt werden“, sagte Lisa Tostado von der Heinrich-Böll-Stiftung in Brüssel. Besonders wichtig sei, dass es in dem Entwurf der europäischen Kommission – anders als im deutschen Lieferkettengesetz – eine Haftungsklausel gibt, die es geschädigten Beschäftigten von Zulieferern ermöglichen würde, europäische Unternehmen vor hiesigen Gerichten auf Schadenersatz zu verklagen. „Einige Punkte sollten im Laufe des Gesetzgebungsprozesses allerdings noch verschärft werden, zum Beispiel Übergangsfristen oder die Regel, dass Firmen nur verantwortlich für die Lieferanten sind, zu denen sie „etablierte Geschäftsbeziehungen“ pflegen“. Ebenso zentral seien jedoch auch innovative Strategien für eine Kreislaufbewirtschaftung begrenzter Ressourcen wie Mica, um die absoluten Importmengen und unvermeidbare Folgeschäden des Abbaus zu reduzieren.
Der Bericht über die Situation in Indien zeigt aber auch, dass Lösungen gebraucht werden, die über Einfuhrverbote und Reduzierung von Importmengen hinausgehen. „Die Technologie-Industrie kann auf Mica als Material nicht verzichten – und die Menschen in den Ausfuhrregionen sind zurzeit noch existentiell auf das Einkommen durch den Mica-Abbau angewiesen“, sagte Sabine Muscat, Programmdirektorin für Technologie und Digitalpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, DC. „Politik und Unternehmen sind daher nun dringend gefordert, sich für sichere Arbeitsbedingungen, gerechte Entlohnung sowie ein umgehendes und verifizierbares Ende von Kinderarbeit in den Herkunftsländern einzusetzen.“
Mica ist ein wichtiges Material für den Technologie-Sektor, und wird auch in der Automobil-, Chemie- und Kosmetikbranche verwendet.
Recherchen wie die Mica-Untersuchung von Vertical52 können eine wichtige Rolle bei der Nachverfolgung von Lieferketten spielen. „Die systematische Auswertung von Satellitendaten ist ein effektives Instrument für den Nachweis von Menschenrechtsverletzungen und/oder Umweltschäden in einer Reihe von Lieferketten“, sagte Sabine Muscat.
Die Untersuchung wird am 10. Mai bei einer transatlantischen Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung Washington, DC und des Centers for Strategic and International Studies vorgestellt.