BBC World hat einen Bericht über die Verbreitung und Ursprünge des Mapudungún veröffentlicht. „Aktuell gibt es zwischen 100.000 bis 250.000 Sprecher*innen in Chile und Argentinien. Mapudungún gilt als ‚isoliert‘, das heißt, es kann keiner der bekannten Sprachfamilien zugeordnet werden. Darum ist es schwierig, den Ursprung der komplexen Grammatik zu ermitteln“, heißt es dort.
¡Mari mari, peñi! ¡Mari mari, lamngen!
Weißt du, was das bedeutet?
Kleiner Tipp: Es ist eine Begrüßungsformel der Mapuche. Erraten? Es bedeutet: Hallo, Bruder! Hallo, Schwester! auf Mapudungún (oder Mapuzungún), der Sprache der indigenen Gemeinschaft, die vor allem den Süden Chiles, die Region Araucanía, und in geringerem Maße auch die argentinischen Provinzen Chubut, Neuquén und Río Negro bewohnt. Zwar hat Mapudungún wie die meisten indigenen Sprachen Lateinamerikas im Laufe der Zeit an Verbreitung verloren, in den letzten fünf Jahren ist das Interesse am Erlernen der Sprache jedoch wieder deutlich gestiegen.
Mapudungún-Klassen haben Hochkonjunktur
Der soziale Aufstand seit Oktober 2019 hat die Forderungen der Mapuche stärker in den Fokus gerückt und eine „Renaissance“ der indigenen Sprache bewirkt. Expert*innen, Sprachschulen und Lehrerinnen und Lehrer, die sich der Vermittlung von Sprachkenntnissen in Mapudungún widmen, sprechen sogar von einem „Boom“; in wichtigen Studienzentren wie der Universidad de Buenos Aires (UBA) oder der Universidad de Chile wurden entsprechende Workshops eingerichtet. Doch woher kommt diese Sprache, wie viele Menschen sprechen sie, und was sind ihre Besonderheiten? Diese und viele andere Fragen thematisiert der Bericht von BBC World.
- Ursprünge des Mapudungún
Die Frage nach dem Ursprung der Sprache stellen sich Wissenschaftler*innen und Linguist*innen seit Hunderten von Jahren. Woher das Mapudungún ursprünglich stammt, wurde bis heute nicht geklärt. Es ist keine klassifizierte Sprache, das heißt, es gehört nicht zu einer Sprachfamilie und ist mit keiner anderen lebenden Sprache verwandt, anders als zum Beispiel das Spanische, das vom Lateinischen abstammt und zu den romanischen Sprachen gehört. Bei sogenannten „isolierten“ Sprachen wie Mapudungún ist es schwieriger herauszufinden, wovon sich ihr Lautbild, ihre Begriffe, ihre Struktur und ihre Grammatik ableiten. Weder kennt man den Ursprung des Mapudungún, noch weiß man mit Sicherheit, seit wann diese Sprache existiert. „Es hat viele Versuche gegeben, eine Verbindung zu anderen Sprachen herzustellen. Aber keine davon hat sich durchgesetzt“, erklärt Fernando Zúñiga, Leiter des Instituts für Linguistik an der Universität Bern und Spezialist für indigene Sprachen in Amerika. „Die vielleicht schlüssigsten Erkenntnisse wurden 2018 von dem Argentinier Antonio Díaz-Fernández geliefert, der eine Verbindung zu den Arawak-Sprachen vermutet. Aber wenn es wirklich eine Verbindung zu der großen Familie nord- und zentralamerikanischer Sprachen gibt, dann nur eine ziemlich weit entfernte, nicht zu vergleichen mit der Nähe von Spanisch und Portugiesisch. Die Fachwelt fand die Theorie außerdem wenig überzeugend“.
Seit wann diese Sprache gesprochen wird, ist ebenfalls sehr schwer zu bestimmen. Zum ersten Mal erwähnt wurde das Mapudungún 1606, als der Priester Luis de Valdivia das erste Glossar mit Begriffen der Mapuche-Sprache erstellte, um die Evangelisierung voranzubringen. „Es gibt keine Erwähnung, die in die Zeit vor 1606 zurückreicht. Und 1606 ist definitiv zu nah an der Gegenwart“, meint Zúñiga und fügt hinzu: „Man kann über den Zeitpunkt der Entstehung nur mutmaßen.“ Die Mapuche leben hauptsächlich im Süden Chiles und Argentiniens. Fest steht, dass Mapudungún die vorherrschende Sprache war, als die Spanier begannen, in diesen Teil Südamerikas vorzudringen, und dass es vom Norden bis zum Süden Chiles, vom Choapa-Fluss in der Region Coquimbo bis zur Insel Chiloé gesprochen wurde. Es ist auch bekannt, dass sich seither die Struktur und der Wortschatz der Sprache nicht wesentlich verändert haben, trotz der starken Ausbreitung des Spanischen in der Region.
- Wie viele Menschen sprechen Mapudungún?
Wie viele Menschen heute Mapudungún sprechen, ist ebenfalls schwer zu bestimmen. Fernando Zúñiga schätzt die Zahl der aktiven Sprecher*innen auf 100.000 bis 250.000. „Etwa 100.000 Menschen beherrschen die Sprache sehr gut: Das sind überwiegend ältere Menschen, die in ländlichen Gebieten leben. Der Rest spricht es mehr oder weniger“, so Zúñiga. Mapudungún gehört somit zu den mittelstark verbreiteten Sprachen in der Region Lateinamerika. Große Sprachen wie das paraguayische Guaraní, Aymara oder Quechua werden von ein und fünf Millionen Menschen gesprochen, während die „kleinen Sprachen“ nicht mehr als eintausend Sprecher*innen haben. Mapudungún ist zwar nicht akut vom Aussterben bedroht, hat aber nach Einschätzung der Vereinten Nationen (UN) zu kämpfen, da der Erhalt und die Verbreitung der Sprache wenig gefördert werde. In nur zwei chilenischen Provinzen ist Mapudungún neben dem Spanischen Amtssprache, und zwar in Galvarino und Padre de las Casas, beide in der Region La Araucanía im Süden des Landes. Nach Zuñigas Schätzung beherrschen nur etwa 10 Prozent der Mapuche die Sprache richtig, weitere 10 Prozent seien in der Lage, sie zu verstehen. „Mit der Ausbreitung der spanischen Kultur wurden alle einheimischen Sprachen in eine prekäre Lage gebracht. Um Arbeit zu finden, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder Bildungsangebote zu nutzen, mussten die Menschen in der Lage sein, sich auf Spanisch zu verständigen, mit ihrer indigenen Sprache kamen sie nicht weiter. Der Erhalt der eigenen Sprache war somit von immer geringerem Nutzen“, erklärt Zúñiga. Das boomende Interesse der letzten Jahre betrachtet er mit Skepsis. „Diese Renaissance kommt zu spät. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn alle Rahmenbedingungen agieren zum Nachteil der einheimischen Sprachen.“ Patricio Bello Huenchumán, selbst Mapuche und Mapudungún-Lehrer, ist da anderer Meinung. „Vor zwanzig Jahren hatten die jungen Leute kein Interesse an der Sprache. Heute ist es genau anders herum: Es sind vor allem die jungen Leute, die die Unterrichtsangebote nutzen und wollen, dass ihre Kinder die Sprache lernen“, erklärt er. „Mapudungún ist eine lebendige Sprache, sie ist im Internet zu finden, in der zeitgenössischen Musik, zum Beispiel im Hip Hop und Rap, und es gibt sogar Memes, und alles mit steigender Tendenz“, fügt er hinzu. Bello Huenchumán selbst lernte die Sprache im Alter von acht Jahren von der Familie seiner Mutter. Heute unterrichtet er in einer Einrichtung namens Adkintuwe, die auf Facebook mehr als tausend Anhänger*innen hat.
3) Was hat die spanische Sprache vom Mapudungún übernommen?
In Chile und in Argentinien wurden mehrere Begriffe aus dem Mapudungún in den spanischen Wortschatz übernommen. Hier ein paar Beispiele:
Cahuín: Während der Begriff ursprünglich die regelmäßigen Treffen der Mapuche-Gemeinschaft bezeichnete, wird er in Chile heute oft in der Bedeutung einer böswilligen, Verwirrung stiftenden Bemerkung verwendet.
Funa: verdorben oder verfault. Im Spanischen gebraucht im Sinne von „öffentlich erklärte massive Ablehnung einer Person“.
Laucha: kleine Maus
Quiltro: Mischlingshund.
Pichintún: wenig. „Pichi“ bedeutet „wenig“ auf Mapudungún.
Poncho: auch im Deutschen verbreitete Bezeichnung für: quadratisch geschnittenes Kleidungsstück mit einer Öffnung in der Mitte.
Pucho: Zigarettenstummel. Der Hintergrund ist umstritten. Entweder geht es auf „puchuln“ (Reste hinterlassen) zurück oder aber auf den Quechua-Begriff „puchu“ (Reste oder Rückstände).
Dazu kommen viele geographische Begriffe, Namen von Städten, Provinzen, Seen und Flüssen in Chile und Argentinien: Chiloé, Mapocho River, Maule, Coyhaique und Curacautín in Chile, in Argentinien Neuquén, Lago Puelo, Loncopué und Macachín und viele andere. Auch für mehrere Bäume und Pflanzen blieb die indigene Bezeichnung erhalten: Litre (kleiner immergrüner Baum), Copihue (Chilenische Glockenblume), Quillay (Seifenrindenbaum), Luma (Myrtengewächs) und Coigüe (Chilenische Scheinbuche) sind einige von ihnen.
- Wie wird auf Mapudungún geschrieben?
Mapudungún hat sich vor allem als mündliche Sprache entwickelt, und es ist bisher nicht möglich, einen Konsens über die Verschriftung zu finden. Das erste Alphabet (oder Graphem) wurde im Jahr 1606 von Luis de Valdivia eingeführt, bis in die letzten Jahre gab es dazu immer wieder neue Ansätze. Laut Patricio Bello Huenchumán sind die drei am weitesten verbreiteten Schreibweisen das Einheitliche Mapuche-Alphabet (AMU) aus dem Jahr 1986, das vom chilenischen Staat über die Nationale Behörde für indigene Entwicklung (Conadi) geförderte Azümchefe und das Raguileo, ein vom Mapuche-Linguisten und -Dichter Anselmo Raguileo entwickeltes Alphabet mit 26 Buchstaben. „Die Phonetik ist gleich, aber es gibt unterschiedliche Schreibweisen. Hier ein Beispiel: „Hund“ heißt auf Mapudungún trewua. Nach dem AMU wird es mit TR geschrieben, mit dem Azümchefe mit TX und nach dem Raguileo nur mit X“, erklärt Huenchumán. Dass es kein einheitliches Alphabet gibt, stellt eine zusätzliche Erschwernis für das Überleben der Sprache dar. „Bisher gibt es keine Einigung und auch keine zentrale Behörde, die darüber entscheidet. Das ist tatsächlich ein Problem“, findet Fernando Zúñiga.
- Wie komplex ist Mapudungún?
Mapudungún ist eine polysynthetische Sprache mit einem starken Hang zur Agglutination. Das heißt: Längere Wortketten werden zu einem Wort zusammengefasst. Die so entstehenden Begriffe sind entsprechend lang und komplex in ihrer Bedeutung. In einem einzigen Wort liegt dann der Inhalt eines ganzen Satzes im Spanischen (oder im Deutschen). Hier ein Beispiel: „trarimansunparkelayayayengu“ bedeutet wörtlich: „Sie haben die Ochsen hier nicht angebunden“ und ist eine Redewendung, die besagt, dass der Sprecher etwas nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Zu den agglutinierenden Sprachen zählen beispielsweise Japanisch, Türkisch, Quechua und Finnisch.
Klingt kompliziert? Keine Sorge. Auch Sprachwissenschaftler*innen, die sich mit Mapudungún befassen, sind sich einig, dass die Sprache nicht einfach ist. „Mapudungún ist definitiv komplexer als Englisch, Spanisch oder Deutsch. Wir haben nicht nur Singular und Plural, sondern es gibt drei Singularpronomen, drei für beides und drei für den Plural. Außerdem gibt es informelle und indirekte Formen, Possessivpronomen, Adjektive, den Indikativ, den Imperativ… das haben wir auch alles“, so Bello Huenchumán. Trotzdem gibt es Menschen, die sich trauen und Mapudungún lernen wollen.
Was ist mit dir? Lust gekriegt?
Übersetzung: Lui Lüdicke