Verabschiedung des EU-Ölembargos gegen Russland stockt wegen Streitigkeiten in der EU. OPEC und US-Fracker sind bislang nicht bereit, ausfallende russische Exporte zu ersetzen.
Harte innere Auseinandersetzungen und äußere Rückschläge begleiten die geplante Verhängung des Erdölembargos der EU gegen Russland. Trotz massiven Drucks ist es am Wochenende nicht gelungen, das EU-Embargo endgültig auf den Weg zu bringen. Ursache ist, dass sich drei Mitgliedstaaten immer noch sperren; sie fürchten dramatische wirtschaftliche Verluste. Zugleich gibt die OPEC dem Drängen der EU, die Ölförderung auszuweiten, um ausfallende russische Lieferungen zu ersetzen, nicht nach; wie ein Branchenvertreter konstatiert, sieht sie die sanktionsbedingt in der EU drohende Ölknappheit als ein „vom Westen selbst verursachtes Problem“ an. Die Hoffnung, die US-Frackingbranche könne mit zusätzlichen Ölexporten in die EU einspringen, scheint sich ebenfalls zu zerschlagen: Die meisten US-Konzerne sind bislang nicht bereit, ihre Förderung zu erhöhen, weil sie mittel- und langfristig Einbußen fürchten. Dessen ungeachtet versucht die EU, mit Sanktionen Versicherungsleistungen für russische Öltransporte weltweit zu verhindern – auch für solche, die an Drittstaaten gehen. Damit nähert sich die EU bisherigen US-Sanktionspraktiken an.
Streit in der EU
Innere Auseinandersetzungen verzögern eine Einigung der EU auf das vergangene Woche von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen offiziell vorgestellte Erdölembargo gegen Russland.[1] Ursache ist, dass Ungarn und die Slowakei sowie in geringerem Maße auch Tschechien sich dem Vorhaben in seiner ursprünglich geplanten Form verweigern. Alle drei Länder sind bislang in hohem Maß auf Pipelinelieferungen russischen Erdöls angewiesen und haben als Binnenländer keine Chance, eigenständig größere Mengen per Schiff einzuführen; die Anbindung an Häfen in Drittstaaten, etwa in Kroatien, ist unzureichend. Hinzu kommt, dass ihre Raffinerien an die spezifische Zusammensetzung russischen Erdöls angepasst sind; sollen sie andere Ölsorten verarbeiten, sind kostspielige, zeitaufwendige Umbauten vonnöten. Die EU-Kommission hatte sich bereits am Freitag bereit erklärt, die Übergangsfristen für die drei Länder zu verlängern – von Ende 2023 bis Ende 2024 – sowie zudem den Umbau der Raffinerien zu unterstützen. Dennoch konnte keine Einigung erreicht werden. Die Verhandlungen wurden am Montag unter erheblichem Druck fortgesetzt.
„Schlag ins Gesicht der EU“
Einen Dämpfer haben der EU bereits in der vergangenen Woche die OPEC+-Staaten [2] verpasst. Sie beschlossen am Donnerstag bei einem turnusgemäßen Treffen, das offiziellen Angaben zufolge nicht einmal 15 Minuten dauerte, ihre bestehenden Ölförderpläne nicht zu ändern. Diese sehen vor, im Zuge der Umstellung von einem pandemiebedingt erheblich einschränkten Bedarf hin zum gewohnten Verbrauch die Förderung im Juni um gut 432.000 Barrel pro Tag zu steigern. Washington dringt seit dem Beginn des Ukraine-Krieges auf eine deutlich stärkere Ausweitung, um ein weltweites Ölembargo gegen Russland möglich zu machen, ohne eine globale Knappheit und damit astronomische Ölpreise zu verursachen. Der russische Export beläuft sich auf sieben Millionen Barrel pro Tag. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die als einzige Länder ihre Förderung ausreichend steigern könnten, verweigern dies. Die OPEC+-Staaten hätten am Donnerstag das am Tag zuvor verkündete EU-Ölembargo nicht einmal diskutiert, hieß es anschließend – „ein Schlag ins Gesicht“ der EU.[3] Ein Branchenvertreter wird mit der Feststellung zitiert, die OPEC+ sehe die nun sanktionsbedingt drohende Erdölknappheit in der EU als ein „vom Westen selbst verursachtes Problem“ an.
Kein Frackingboom
Weigern sich die OPEC+-Staaten sowie insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate konsequent, sich dem Westen als Erfüllungsgehilfe in seinem Machtkampf gegen Russland zur Verfügung zu stellen, so scheitern die Bestrebungen der USA, mit einer Ausweitung ihrer eigenen Förderung einzuspringen, bislang ebenfalls. Laut Schätzungen der U.S. Energy Information Administration (eia) ist dieses Jahr allenfalls mit einer Steigerung der US-Ölförderung um 800.000 Barrel pro Tag zu rechnen – erheblich weniger als die 3,5 Millionen Barrel pro Tag, die die EU-Staaten bisher aus Russland beziehen und dringend ersetzen wollen.[4] Berichte aus US-Branchenkreisen wecken deutliche Zweifel sogar an dieser vergleichsweise geringen Förderzunahme. So heißt es, unter US-Erdölförderern herrsche Skepsis, dass der Ölpreis lange genug auf einem Niveau bleiben werde, das Investitionen in neue Förderanlagen rentabel mache. Hinzu kämen zahlreiche andere Schwierigkeiten. So herrsche Mangel an manchen Materialien, die zur Ausweitung der Förderung benötigt würden. Die krasse Inflation treibe Materialpreise wie Lohnforderungen in die Höhe. Zudem lasse die Umstellung auf erneuerbare Energien neue Ölprojekte unattraktiv erscheinen. Manche Experten vermuten gar, die Förderung werde stagnieren.[5]
NOPEC
Auf der verzweifelten Suche nach genügend Alternativen zu russischem Öl setzen sich US-Senatoren – sowohl Republikaner als auch Demokraten – aktuell für einen Gesetzesentwurf ein, der Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu einer Ausweitung ihrer Förderung zwingen soll. Formal sieht der Entwurf (No Oil Producing and Exporting Cartels, NOPEC) vor, dass die US-Justiz kartellartige Zusammenschlüsse fremder Staaten verfolgen dürfen soll; damit könnten einzelne OPEC- oder OPEC+-Staaten, aber auch die OPEC als Organisation vor US-Gerichten verklagt und von diesen abgeurteilt werden.[6] Der NOPEC-Entwurf hat in der vergangenen Woche den Justizausschuss des Senats erfolgreich passiert. Gelingt es, ihn zu verabschieden, dann könnten die Vereinigten Staaten in die womöglich finale Machtprobe mit der OPEC starten. Deren Ausgang wäre Beobachtern zufolge freilich offen. So könnten die OPEC- bzw. OPEC+-Staaten ihrerseits Gegenmaßnahmen gegen Washington ergreifen, einen Preiskrieg starten, US-Investitionen förmlich beschränken oder einfach beginnen, ihre Ölexporte nicht mehr in US-Dollar, sondern in anderen Währungen abzuwickeln. Das würde den US-Dollar spürbar schwächen. China verhandelt mit Saudi-Arabien bereits über die Bezahlung von Öl in Yuan.[7]
Drittstaaten im Visier
Unabhängig von der Frage, ob überhaupt genug Öl beschafft werden kann, um den Ausfall russischer Lieferungen zu ersetzen, sucht die EU mit ihren neuen Sanktionen nicht nur ihren eigenen Import russischen Öls, sondern auch denjenigen fremder Staaten zu stoppen. Dazu dienen Sanktionen gegen Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Öltransport, so etwa gegen Versicherungsleistungen für Öltanker; Unternehmen aus der EU sollen diese künftig nicht mehr tätigen dürfen. Das wiegt schwer, da zur Zeit ein Großteil dieser Leistungen weltweit von Firmen aus Europa realisiert wird.[8] Müssen sie sanktionsbedingt eingestellt werden, träfe das auch einen Großteil der russischen Ölausfuhr. Experten warnen jedoch, der Schuss könne nach hinten losgehen. So sei nicht nur damit zu rechnen, dass ein Teil des russischen Ölhandels in Schattenmärkte verlagert werde. Vor allem würden Versicherungskonzerne aus anderen Staaten einspringen. In Frage kämen etwa Versicherer aus der Türkei oder aus den arabischen Golfstaaten, die an den Sanktionen nicht teilnähmen. Sofern es bloß den politischen Willen gebe, Erdöl aus Russland zu importieren, werde dies möglich sein, urteilt ein Branchenspezialist.[9] Verlierer wären Versicherungsfirmen aus Europa: Sie wären einen lukrativen Marktanteil los.
[1] S. dazu Erdölembargo gegen Russland.
[2] Das Format OPEC+ traf Ende 2016 erstmals zusammen; neben den OPEC-Mitgliedern nahmen elf Nichtmitglieder teil, angeführt von Russland.
[3], [4] Irina Slav: OPEC Stays Silent As EU Rushes To Ban Russian Oil. oilprice.com 07.05.2022.
[5] Clifford Krauss: Why U.S. Oil Companies Aren’t Riding to Europe’s Rescue. nytimes.com 26.04.2022. Collin Eaton: Oil Prices Top $100, Yet Some Big U.S. Frackers Let Their Production Fall. wsj.com 07.05.2022.
[6] Ari Natter: Why ‘NOPEC’ Keeps Arising as a U.S. Answer to OPEC. washingtonpost.com 07.05.2022.
[7] Summer Said, Stephen Kalin: Saudi Arabia Considers Accepting Yuan Instead of Dollars for Chinese Oil Sales. wsj.com 15.03.2022.
[8], [9] Julie Steinberg, Laurence Norman, Joe Wallace: EU Considers Insurance Ban for Ships Carrying Russian Oil. wsj.com 07.05.2022.