Am 20. April hat der honduranische Kongress sich einstimmig für die Aufhebung der Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklungszonen (ZEDE) entschieden. Die „Modellstädte“ oder „Charterstädte“ waren von Anfang an stark umstritten. Eine Zweidrittelmehrheit (86 Stimmen) wäre ausreichend gewesen, um das Projekt abzuwenden, doch letztendlich schlossen sich alle 128 Mitglieder des Kongresses der Initiative an. Kongresspräsident Luis Redondo legte zwei Dekrete vor, die die Aufhebung aller Normen oder Verfassungsreformen im Zusammenhang mit den ZEDEs einschließlich des 2013 verabschiedeten Organgesetzes vorschreiben. Damit der Beschluss rechtskräftig wird, muss er in der nächsten Legislaturperiode (2023) ratifiziert, dann von Präsidentin Xiomara Castro genehmigt und schließlich im Amtsblatt veröffentlicht werden. Alle in den letzten Jahren bereits erteilten Konzessionen wären damit hinfällig.
Die Verelendung etlicher Menschen wurde in Kauf genommen
Nachdem die Umsetzung des ZEDE-Konzepts in den letzten Jahren immer massiver vorangetrieben worden war, nahm auch der Protest unterschiedlicher Sektoren der honduranischen Gesellschaft zu. Die Aufhebung der Sonderzonen avancierte dabei zu einer der wichtigsten Forderungen an die neuen Behörden. Bei ihrer Amtseinführung Ende Januar sparte Präsidentin Xiomara Castro nicht mit Vorwürfen gegen ihre Vorgänger. „Die Sonderwirtschaftszonen sind ein Angriff auf die Souveränität des Volkes. Die Gebiete wurden einfach wie eine Ware gekauft und die gesamte Gesetzgebung den [privatwirtschaftlichen] Interessen angepasst, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung, der sie damit einen brutalen Schaden zugefügt haben. Die Verelendung etlicher Menschen wurde in Kauf genommen. Deshalb wurde dem Nationalkongress der Gesetzesentwurf zur Aufhebung der ZEDEs vorgelegt“.
Die Vorgeschichte
Vor etwa zehn Jahren hatte der honduranische Kongress mehrere Artikel der Verfassung reformiert und eine Verordnung zur Schaffung von Sonderentwicklungsregionen (Regiones Especiales de Desarrollo – RED) verabschiedet. Die von dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Paul Romer konzipierten REDs basierten auf der Idee, große staatliche Gebiete mit einem sehr hohen Maß an Autonomie auf unbestimmte Zeit dem transnationalen Kapital anzubieten, um angeblich Arbeitsplätze zu schaffen. Ausgehend von Romers Idee wurde das Konzept der ZEDEs entwickelt. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und juristische Organisationen kritisierten das Projekt und bezeichneten es als einen plumpen Versuch, die schwere politische, wirtschaftliche und soziale Krise nach dem Staatsstreich (2009) zu lindern. Breite Teile der honduranischen Gesellschaft schlossen sich der Kritik an.
Im ganzen Land wurden Unterschriften gesammelt und mehr als 50 Anzeigen wegen Verfassungswidrigkeit eingereicht. Der Verband Juristen für den Rechtsstaat („Asociación de Juristas por el Estado de Derecho“) beschuldigte den damaligen Präsidenten Porfirio Lobo, den Kongresspräsidenten Juan Orlando Hernández und 126 Abgeordnete offiziell des Hochverrats. Vier der fünf Richter der Verfassungskammer stellten die Verfassungswidrigkeit des Projekts fest, woraufhin auch der Oberste Gerichtshof mitzog und es für verfassungswidrig erklärte. Der Kongress konterte mit einem Amtsenthebungsverfahren und lies die vier „rebellischen“ Richter absetzen. Einen Monat später wurden alle für die Einrichtung der ZEDEs notwendigen Verfassungsänderungen abgesegnet.
Sieben Jahre später wurden die ersten ZEDEs (Roatán, La Ceiba, Choloma, Choluteca) eingerichtet. Für die Durchführung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten wurde ausländischen Investoren nun völlige Autonomie bezüglich ihrer Steuer-, Zoll-, Arbeits-, Justiz- und Sicherheitspolitik gewährt. Als der Kongress Ende Mai 2021 weitere Steuerbefreiungen und -vergünstigungen sowie die Einrichtung einer Sondergerichtsbarkeit beschloss, nahmen die Proteste nochmals zu. Mit der Abstimmung am 20. April wurde nun das gesamte Projekt für verfassungswidrig erklärt.
„Die Würde unserer Nation ist wiederhergestellt“
„Mit dieser historischen Entscheidung erfüllen wir unsere Pflicht gegenüber den Menschen unseres Landes. Den Beschluss über die Einrichtung der ZEDEs hat dieser Kongress entgegen unserer Verfassung und unseren Gesetzen gefasst und sich stattdessen ausschließlich an den wirtschaftlichen Machtgruppen und der regierenden Narco-Partei orientiert“, erklärte Silvia Ayala, Vorsitzende der Sonderkommission zur Aufhebung der ZEDEs, gegenüber den nationalen Medien. „Es ist eindeutig erwiesen, dass die Genehmigung der auf staatlichem Gebiet eingerichteten ZEDEs gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen verstößt. Wir sind bereit, in jede Instanz zu gehen und die Unrechtmäßigkeit und Verfassungswidrigkeit dieser Projekte nachzuweisen“.
Auf ihrem Twitter-Account dankte Präsidentin Xiomara Castro dem Kongress für die Entscheidung: „Danke! Danke an Präsident Luis Redondo, Fernando García und die Abgeordneten, die für die Aufhebung der kriminellen ZEDEs gestritten und den Sieg errungen haben über diejenigen, die unsere Souveränität stehlen wollten. Die Erfüllung dieses Versprechens ist ein weiteres Element unseres Neubeginns“, heißt es dort. Außenminister Enrique Reina erklärte dazu: „Die ZEDEs waren eine Fehlentwicklung der Diktatur, die die Souveränität verletzt hat. Mit ihrer Entscheidung hat die Regierung von Präsidentin Xiomara Castro, haben die Abgeordneten mit Luis Redondo an der Spitze die Würde unseres Landes wiederhergestellt“. Mit der Abschaffung der ZEDEs hat sich eins von Castros Wahlversprechen somit in weniger als drei Monaten erfüllt.