Die Hoffnung war groß – die Enttäuschung ist noch größer. Die ungarische Opposition trat erstmals geeint gegen Viktor Orbán an und rechnete sich Chancen auf einen Machtwechsel aus. Doch das System Orbán war nicht zu schlagen. Es kontrolliert die Medienlandschaft und hat das ungarische Wahlrecht auf seine Partei Fidesz zugeschnitten.
Patricia Huber und Marco Pühringer
Veröffentlicht am 4. April 2022 auf kontrast.at
„Wir erkennen Fidesz‘ Sieg an“, stellte der Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses, Peter Márki-Zay, am Wahlabend vor seinen Anhängern klar. Er beklagt aber: „Wir wussten im Vorhinein, dass das ein sehr ungleicher Kampf sein würde. Wir bestreiten allerdings, dass diese Wahl demokratisch und frei gewesen ist. Fidesz hat nur aufgrund dieses (Wahl-)Systems gesiegt.“ Die Niederlage für die Opposition war deutlich: Orbáns Partei erhielt 53 Prozent der Stimmen. Die Opposition 35. Im Parlament ist der Abstand noch größer: Orbán verfügt mit 135 von 199 Abgeordneten weiterhin über zwei Drittel Mehrheit.
Orbán schnitt das Wahlrecht auf sich zu
Márki-Zay übertreibt nicht, wenn er von einem ungleichen Kampf spricht. Orbán war von 1998 bis 2002 zum ersten Mal Premierminister und wurde dann abgewählt. Es folgte zwei Regierungsperioden auf der Oppositionsbank. Aus dieser Zeit stammt auch der berühmt gewordene Ausspruch Orbáns: „Nur einmal müssen wir siegen, dann aber richtig!“ 2010 kam es dann zu diesem Sieg. Die regierenden Sozialist:innen waren in einen Skandal verwickelt, verloren 24 Prozent und Orbán übernahm.
Er wartete nicht lange, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Orbán machte sich sogleich daran, seine Macht zu zementieren: Orbán reformierte 2011 das ungarische Wahlsystem, eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Er halbierte die Parlamentssitze und sorgte dafür, dass der Großteil der Mandate über das Mehrheitswahlrecht über Wahlkreise vergeben werden. Die Mandate, die über Listen in Form des Verhältniswahlrechts wie in Österreich vergeben werden, wurden reduziert. In den 106 Wahlkreisen, deren Grenzziehung die Fidesz begünstigen, musste man als Kandidat:in außerdem nicht mehr mindestens 51 Prozent auf sich vereinen – es reichte eine relative Mehrheit. Das war fatal für die Opposition, die seit dem Absturz der Sozialdemokratie in mehrere kleine Parteien zersplittert war. Sie blieb den meisten Wahlkreisen chancenlos gegen die Regierungspartei. So schaffte es Orbán 2014 und 2018 mit weniger als 50 Prozent der Stimmen jeweils mehr als zwei Drittel der Parlamentssitze zu gewinnen.
Opposition trat 2022 erstmals geeint an
Die Opposition-Parteien erkannte nach 12 Jahren Fidesz-Regierung, dass sie alleine keine Chance gegen Orbán haben. Sie formierte sich zu einem Bündnis, das von den Sozialist:innen, über die Grüne bis hin zu der stramm rechten Partei Jobbik reichte. Sie traten gemeinsam an und wollten so den weiteren Umbau Ungarns durch Orbán stoppen. Peter Marki-Zay wurde in einer internen Vorwahl, bei der 800.000 Personen teilnahmen, zu ihren Spitzenkandidaten gekürt. Vor allem junge Menschen engagieren sich für den Bürgermeister aus der Stadt Hódmezővásárhely. Die Stadt in Süd-Ost-Ungarn galt lange Zeit als Fidesz Hochburg, doch dem gläubigen Katholiken gelang es, in der 40.000 Einwohner Stadt zu triumphieren und sorgte damit für landesweites Aufsehen.
Marki-Zays Kandidatur bei den Bürgermeisterwahlen war damals die Geburtsstunde der geeinten Opposition. Er wurde als unabhängiger Kandidaten von den Sozialisten und der vormals rechtsextremen Jobbik, den beiden Ankerparteien der Opposition, unterstützt.
Die mittlerweile verstorbene ungarische Philosophin Agnes Heller sah bereits davor in einem Bündnis aller Oppositionsparteien „die allerletzte Möglichkeit, um die Tragödie für Ungarn, nämlich weitere Jahrzehnte der Fidesz-Herrschaft, zu verhindern.“
Oppositionskandidat bekam nur 5 Minuten Sendezeit während des gesamten Wahlkampfes
Marki-Zay gelang es schließlich nicht das Wunder von Hódmezővásárhely bei den Parlamentswahlen zu wiederholen. Nicht nur das Wahlsystem stand der Opposition im Weg – Ungarn ist nicht mehr das gleiche Land wie vor den ersten Sieg Orbáns. Der Premier und seine Fidesz haben die Kontrolle über die größten Teile der Justiz, der Medien und der Universitäten an sich gerissen.
Besonders deutlich sieht man das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Fünf Minuten konnte die ungarische Bevölkerung den Oppositionskandidaten Márki-Zay im Fernsehen sehen. Als er am 16. März im ungarischen Staatsfernsehen auftrat, betonte er, dass er zum ersten Mal überhaupt in ein Fernsehstudio eingeladen wurde, seit er Spitzenkandidaten aller Oppositionsparteien in ist. Eine TV-Diskussion mit Orbán gab es auch nicht.
Orbán kontrolliert 90 % der Medien
90 Prozent der Medien in Ungarn sind im Einflussbereich von Orbán, wie auch die Firmen, die Plakatflächen in Ungarn vergeben – weshalb nicht nur Fernsehauftritte, sondern auch Wahlplakaten des Oppositionskandidaten Márki-Zay eine Seltenheit sind. Orban war so gründlich bei seiner Machtübernahme, dass selbst bei einem Sieg der Opposition der Einfluss seiner Fidesz auf Jahrzehnte gesichert gewesen wäre. Im November 2018 übergaben mehrere von Obran abhängige Oligarchen ihre Medienunternehmen der neu gegründeten Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung (Kesma) per Schenkung. Führungs- und Kontrollfunktionen dieser Stiftung sind allesamt mit Orbán-treuen Personen besetzt. Die Stiftung kontrolliert ein Imperium von Fernsehsendern, Zeitungen und Nachrichten-Portalen. Die Inhalte sind meist ähnlich und stets im Einklang mit der Regierungslinie.
Darum schadete es Orbán auch nicht, dass er in der Vergangenheit sehr enge Kontakte zu Vladimir Putin unterhielt – sein Außenminister erhielt etwa den Freundschaftsorden der russischen Föderation. Doch medial wurde der Krieg so verkauft: Orbán sichert den Frieden – gewinnt die Opposition steht Ungarn ein Krieg mit Russland bevor.
Auch Orbáns schlechtes Krisenmanagement in der Pandemie konnte ihm nicht schaden, denn es gab schlicht keine negative Berichterstattung. „In der Corona-Krise war den Medien der Zugang zu Krankenhäusern verboten, es gab keine Informationen aus erster Hand über Corona-Patienten in den Krankenhäusern, alles war über die Regierung gefiltert“, schildert der ungarische Ökonom und ehemalige EU-Kommissar László Andor im Gespräch mit Kontrast.
Wer unabhängige Medien unterstützt, muss mit einer Steuerprüfung rechnen
Die wenigen verbleibenden Oppositionsmedien werden immer schwächer. Sie bekommen keine öffentlichen Inserate. Unternehmen, die dort Werbungen schalten, riskieren keine öffentlichen Aufträge mehr zu bekommen, dafür Steuerprüfungen – wie der Ungarn-Experte Paul Lendvai schildert.
Mit Stiftungskonstruktionen sicherte sich die Fidesz auch nachhaltig die Kontrolle über den Staatsbesitz. Die erzkonservative Tihanyi-Stiftung bekam von der Regierung beispielsweise prunkvolle Gebäude und je 10 Prozent am Erdöl- und Gaskonzern MOL und am führenden ungarischen Pharmaunternehmen Gedeon Richter geschenkt.
Orbán gab acht Mal mehr im Wahlkampf aus als die Opposition
Das rentiert sich natürlich auch finanziell für Orbán. Keine ungarische Partei kann mit der monetären Stärke der Fidesz mithalten. Sie gab acht Mal mehr im Wahlkampf aus als die geeinte Opposition, die aus sieben Parteien besteht. Hinzu kommt, dass Orbán und sein erzkonservativer Zirkel so stark mit dem Staat verwoben ist, dass es kaum einen Unterschied zwischen offizieller Regierungskommunikation und dem Wahlkampf der Fidesz gab. Durch die enorme Machtkonzentration können lokale Fidesz Größen am Land wie feudale Machthaber agieren. Wer einen guten Job braucht, muss sich mit ihnen gut stellen und sollte auch „richtig“ wählen. Als würde das noch nicht reichen, hat Orbán am letzten Drücker noch Wahlrechtsänderungen im Parlament absegnen lassen. Der von den Wahlbeobachtern im Vorfeld befürchtete Betrug durch Stimmenkauf wurde durch die Gesetzesänderungen erleichtert. Die Anmeldung von Scheinadressen und das Abfotografieren des Stimmzettels in der Wahlkabine wurden legalisiert.