Neue Erkenntnisse von Amnesty International verdeutlichen die ungleiche Behandlung von Geflüchteten in Polen. An der polnisch-belarussischen Grenze sind Schutzsuchende aus Ländern wie Irak oder Syrien gewaltsamen Abschiebungen, Push-Backs, unmenschlichen Haftbedingungen sowie herabwürdigender Behandlung wie Leibesvisitationen oder der zwangsweisen Verabreichung von Beruhigungsmitteln ausgesetzt. Damit verletzen polnischen Behörde die Rechte von Schutzsuchenden.
Polnische Grenzbeamt*innen haben systematisch aus Belarus einreisende Schutzsuchende zusammengetrieben und gewaltsam zurückgedrängt – teilweise unter Androhung von Waffengewalt. Diejenigen, die es dennoch nach Polen geschafft haben, werden unter menschenunwürdigen Bedingungen in stark überfüllten und unhygienischen Haftzentren festgehalten. Die polnischen Behörden haben fast zweitausend über Belarus eingereiste Geflüchtete festgenommen. Eine Vielzahl von ihnen wurde unmenschlich behandelt. Herabwürdigende Leibesvisitationen waren an der Tagesordnung. In einigen Fällen wurde Menschen zwangsweise Beruhigungsmittel verabreicht oder sie wurden getasert. Ausserdem wird Geflüchteten der Kontakt zur Aussenwelt verwehrt.
Lea Schlunegger, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International Schweiz, sagt: «Die Behandlung dieser schutzsuchenden Menschen aus Ländern wie Irak oder Syrien steht im Widerspruch zu dem herzlichen Empfang, der den Geflüchteten aus der Ukraine entgegengebracht wird. Dieses Verhalten unterstreicht die Heuchelei und den Rassismus seitens der polnischen Behörden. Polen muss alle Schutzsuchenden an der Grenze gleichbehandeln und ihr Recht auf Asyl und eine menschenwürdige Aufnahme respektieren – unabhängig von ihrem Pass.»
Nach den Wintermonaten versuchen aktuell erneut wieder mehr Geflüchtete aus Belarus nach Polen einzureisen. Durch die internationalen Sanktionen wird ihre Situation in Belarus noch prekärer. Sie haben keinen Zugang mehr zu Unterstützungsleistungen und laufen Gefahr, von der belarussischen Polizei wegen ihres irregulären Aufenthaltsstatus schikaniert oder festgenommen zu werden. Im Grenzgebiet sind sie täglich Misshandlungen durch belarussische Grenzbeamt*innen ausgesetzt, die Hunde und Gewalt einsetzen, um Menschen zum Grenzübertritt nach Polen zu zwingen. Auf der polnischen Seite sperren Stacheldrahtzäune die Grenze ab. Der polnische Grenzschutz führt wahllose Push-Backs durch – Geflüchtete wurden teilweise bis zu dreissigmal an der Grenze zurückgewiesen. Viele Geflüchtete, die monatelang an der belarussisch-polnischen Grenze festsassen, sind schwer traumatisiert. Fast alle von Amnesty International befragten Personen gaben an, dass sie unter schweren psychischen Problemen wie Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Depressionen und häufigen Selbstmordgedanken litten, die durch die Haft in polnischen Lagern noch verschlimmert wurden. Für die meisten war keine psychologische Unterstützung verfügbar.
Abscheuliche Haftbedingungen
Fast alle Menschen, mit denen Amnesty sprechen konnte, berichteten von durchweg respektlosem und verbal beleidigendem Verhalten, rassistischen Äusserungen und anderen psychischen Misshandlungen. Im Haftzentrum Wędrzyn wurden neue Insass*innen von den Wärtern mit den Worten «Willkommen in Guantanamo» begrüsst.
Viele von ihnen waren in ihren Heimatländern gefoltert worden, bevor sie sowohl in Belarus als auch an der polnischen Grenze schlimme Erfahrungen machen mussten. Das Haftlager in Wędrzyn ist Teil eines aktiven Militärstützpunkts. Die Stacheldrahtmauern der Einrichtung und die ständigen Geräusche von gepanzerten Fahrzeugen, Helikoptern und Schüssen von Militärübungen in der Umgebung retraumatisieren die Geflüchteten.
Im Haftzentrum Lesznowola nannten Wärter die Häftlinge bei ihren Nummern, anstelle ihrer Namen und verhängten exzessive Strafen – einschliesslich Isolationshaft – für einfache Bitten nach mehr Essen oder Handtüchern.
Besonders akut stellte sich das Problem der Überbelegung im Lager Wędrzyn dar, in dem bis zu 600 Personen untergebracht sind. Auf gerade mal acht Quadratmeter zwängen sich bis zu 24 Männer. Der EU-Mindeststandard sieht eine Fläche von vier Quadratmetern pro Person für private Wohnflächen in Gefängnissen und Haftanstalten vor.
Gewaltsame Abschiebungen
Amnesty International konnte mit Menschen sprechen, die gegen ihren Willen abgeschoben wurden oder sich einer Abschiebung entziehen konnten und in Polen inhaftiert sind. Viele berichten, dass sie durch polnische Grenzbeamt*innen gezwungen wurden, Dokumente in polnischer Sprache mit vermutlich belastenden Informationen zu unterzeichnen, um ihre Abschiebung zu rechtfertigen. Dabei wurde in einigen Fällen übermässige körperliche Gewalt eingesetzt – mit Misshandlungen, dem Einsatz von Tasern oder der Verabreichung von Betäubungsmitteln.
Freiwilligen und Aktivist*innen wurde der Zugang zur belarussisch-polnischen Grenze verwehrt. Einige wurden sogar strafrechtlich verfolgt, weil sie versuchten, Menschen über die Grenze zu helfen. Im März wurden Aktivist*innen festgenommen, die Menschen an der belarussischen Grenze lebensrettende Hilfe geleistet hatten. Sie müssen nun mit schweren Strafen rechnen.
An der Grenze gestrandet
Am 20. März vertrieben die belarussischen Behörden Berichten zufolge fast 700 Flüchtlinge und Migrant*innen, darunter viele Familien mit kleinen Kindern und Menschen mit schweren Krankheiten und Behinderungen, aus einer Lagerhalle im belarussischen Dorf Bruzgi, in der 2021 noch mehrere tausend Menschen untergebracht waren.
Die Menschen, die aus der Lagerhalle vertrieben wurden, fanden sich plötzlich im Wald wieder und versuchten, bei Minustemperaturen ohne Unterkunft, Nahrung, Wasser oder Zugang zu medizinischer Versorgung zu überleben. Viele bleiben bis heute im Wald, wo ihnen Misshandlungen durch den belarussischen Grenzschutz droht, der die Menschen mit Hunden und zwingt die Grenze nach Polen zu überqueren.
Lea Schlunegger fordert: «Hunderte Menschen, die vor Konflikten im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt fliehen, sind nach wie vor ohne Obdach, Nahrung, Wasser oder Zugang zu medizinischer Versorgung an der Grenze zwischen Belarus und Polen gestrandet. Die polnische Regierung muss die Push-Backs sofort beenden. Sie sind illegal – egal wie sehr die Regierung auch versucht, sie zu rechtfertigen.»
Der Originalartikel kann hier besucht werden