Berlin plant den Kauf eines milliardenschweren Raketenabwehrsystems speziell zur Abwehr russischer Raketen. Papst Franziskus übt harte Kritik an der westlichen Aufrüstungswelle.
Mit Plänen zum Erwerb eines milliardenschweren Raketenabwehrsystems treibt die Bundesregierung die Aufrüstung der Bundeswehr energisch voran. Laut Berichten wird der Kauf des israelischen „Arrow 3“-Systems angestrebt; dessen Abwehrraketen sind in der Lage, feindliche Flugkörper in großer Höhe abzuschießen, und gelten als geeignet für den Kampf gegen russische Raketentypen. Eine Bundestagsdelegation ist gegenwärtig zu einschlägigen Gesprächen in Israel unterwegs. Der dortige „Arrow 3“-Hersteller IAI (Israel Aerospace Industries) beliefert die Bundeswehr schon seit langem und kooperiert eng mit deutschen Waffenschmieden, darunter der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern. Auch die Kampfdrohne „Heron TP“, die Berlin laut Mitteilung von Kanzler Olaf Scholz aus dem neuen 100-Milliarden-Euro-Fonds für die Bundeswehr kaufen will, wird von IAI hergestellt. Schon zuvor hatte Berlin mitgeteilt, F-35-Kampfjets für Nuklearangriffe erwerben zu wollen. Harte Kritik an der aktuellen Aufrüstungswelle im Westen äußert Papst Franziskus, der vergangene Woche erklärte, „zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Kauf von Waffen auszugeben“ sei „irre“.
Die Flugabwehr der Bundeswehr
Den Aufbau einer umfassenden Flugabwehr strebt die Bundesregierung schon seit Jahren an. Aktuell verfügt die Bundeswehr über das stationäre Flugabwehrsystem Mantis mit einer Reichweite von drei Kilometern sowie über einige Dutzend Exemplare des mobilen Systems Ozelot, dessen Stinger-Raketen eine Reichweite von sechs Kilometern haben. Darüber hinaus besitzt sie zwölf Patriot-Staffeln, die bei einer Reichweite von knapp 70 Kilometern nicht nur ballistische Raketen, sondern auch Cruise Missiles bekämpfen können. Den Auftrag, ein Nachfolgesystem für das Patriot-System zu entwickeln, vergab Berlin bereits im Jahr 2005 an ein deutsch-italienisch-US-amerikanisches Konsortium; aus dem Projekt (MEADS, Medium Extended Air Defense System) ist allerdings bis heute nichts geworden, nicht zuletzt, weil die Kosten von ursprünglich vier auf mindestens zehn Milliarden Euro explodiert sind. Wenngleich die Pläne nie ganz aufgegeben wurden, verlegte Berlin sich darauf, zunächst die Modernisierung der Patriot-Staffeln für eine dreistellige Millionen-Euro-Summe anzustreben. Vor einem Jahr teilte das Verteidigungsministerium zudem mit, es räume der Beschaffung von Drohnenabwehrsystemen Priorität ein [1] – eine Konsequenz daraus, dass Drohnen in der Kriegführung eine rasch wachsende Bedeutung besitzen [2].
„Ein Iron Dome für Berlin“
Die Entscheidung der Bundesregierung, nicht nur ihren Militäretat deutlich aufzustocken, sondern für die Aufrüstung der Bundeswehr auch ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro bereitzustellen, setzt Geld auch für die Flugabwehr frei. Bereits zu Monatsbeginn hatte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Florian Hahn, gefordert, „einen Iron Dome für Berlin“ zu beschaffen.[3] Beim „Iron Dome“ handelt es sich um ein israelisches Raketenabwehrsystem, das seit rund zehn Jahren in Betrieb ist und laut offiziellen Angaben mehr als 90 Prozent aller anfliegenden Raketen zerstört. Allerdings wird es gewöhnlich nur gegen die billigen Kassam-Raketen der Hamas eingesetzt. Zudem wäre schwer zu vermitteln, wieso nur die Bundeshauptstadt und nicht die gesamte Bundesrepublik mit einem Raketenschirm geschützt werden soll. Die flächendeckende Abwehr mit dem für kleinere Territorien konstruierten „Iron Dome“ gilt als unmöglich. Hahn hatte die Kosten allein für einen „Iron Dome für Berlin“ auf zehn Milliarden Euro geschätzt. Einzelne Abwehrraketen sollen 50.000 US-Dollar kosten – pro Stück.[4]
Das Arrow 3-System
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Sonntag Berichte im Kern bestätigt, denen zufolge die Bundesregierung gegenwärtig den Kauf eines israelischen Raketenabwehrsystems prüft. „Das gehört ganz sicher zu den Dingen, die wir beraten“, äußerte Scholz, nachdem er am Mittwoch mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn die Verwendung des 100-Milliarden-Euro-Fonds besprochen hatte.[5] Allerdings handelt es sich bei dem System offenkundig nicht um den „Iron Dome“, sondern um die in Entwicklung befindliche jüngste Version des israelischen Arrow-Systems („Arrow 3“).[6] Als Alternative ist Berichten zufolge auch das US-System THAAD („Terminal High Altitude Area Defense“) im Gespräch.[7] „Arrow 3“ ist in der Lage, feindliche Raketen in großer Höhe abzuschießen. Das System sei insbesondere auch gegen russische Raketentypen geeignet, heißt es – mit Ausnahme der russischen Hyperschallraketen, gegen die noch keinerlei verlässliche Abwehr existiert. Der Kaufpreis wird aktuell mit zwei Milliarden Euro angegeben. Eine deutsche Bundestagsdelegation ist inzwischen in Israel eingetroffen, um sich dort aus erster Hand über die Erwerbsoptionen zu informieren.
Radarsysteme und Drohnen
Mit Israel Aerospace Industries (IAI), dem israelischen Rüstungskonzern, der gemeinsam mit dem US-Unternehmen Boeing das „Arrow 3“-System produziert, arbeitet die deutsche Waffenschmiede Rheinmetall seit Jahren zusammen. Die Kooperation umfasste nicht zuletzt die Anpassung der IAI-Drohne „Heron 1“ für den deutschen Bedarf durch Rheinmetall; die Bundeswehr hat „Heron 1“ ab 2010 in Afghanistan, ab 2016 auch in Mali genutzt. Beide Konzerne haben zudem zum Beispiel bei der Herstellung kleiner Drohnen oder beim Bau von Abwehrsystemen für Schiffe kooperiert. IAI stellt auch die Drohne „Heron TP“ her, die von der Bundeswehr in einer bewaffneten Version genutzt werden soll. Die Ausbildung deutscher Soldaten an der „Heron TP“ ist bereits 2019 in Israel eingeleitet worden.[8] War ursprünglich vorgesehen, die Drohne zu leasen, so hat Kanzler Scholz Ende Februar ihre „Anschaffung“ aus dem neuen 100-Milliarden-Euro-Fonds angekündigt. Darüber hinaus ist IAI etwa an der Entwicklung eines neuen Radarsystems für die Bundeswehr beteiligt, die unter der Federführung von Hensoldt, dem viertgrößten deutschen Rüstungskonzern, vorangetrieben wird, und hat den Auftrag zur Lieferung von 69 mobilen Radarsytemen für die Bundeswehr erhalten.[9]
„Die Logik der Macht“
Harte Kritik an der aktuellen Aufrüstungswelle im Westen, zu der auf deutscher Seite neben der Beschaffung eines Raketenabwehrsystems auch der Erwerb von US-Kampfjets des Typs F-35 gehört [10], hat vergangene Woche Papst Franziskus geäußert. Er habe sich „geschämt“, als er gelesen habe, „eine Gruppe von Staaten“ habe sich verpflichtet, „zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Kauf von Waffen auszugeben“, erklärte Franziskus: „Sie sind irre!“[11] Es sei „offensichtlich, dass gute Politik nicht aus einer Kultur der Macht entstehen“ könne, „die als Herrschaft und Überwältigung verstanden wird“. Es sei “für alle, die meiner Generation angehören, unerträglich zu sehen, was in der Ukraine geschehen ist und weiterhin geschieht“; das sei „die Frucht der alten Logik der Macht, die immer noch die sogenannte Geopolitik dominiert“, urteilte Franziskus. Regionale Kriege habe es immer wieder gegeben; die Welt befinde sich in einer Art „Drittem Weltkrieg auf Raten“ – und nun sei man gar bei einem Krieg angelangt, „der eine größere Dimension hat und die gesamte Welt bedroht“. „Die wahre Antwort“ bestehe nicht „in weiteren Waffen, in weiteren Sanktionen, in weiteren politisch-militärischen Allianzen“, schloss Franziskus, sondern „in einem anderen Ansatz, einer anderen Weise, die Welt zu verwalten“.
Mehr zum Thema: Festtage für die Rüstungsindustrie und Festtage für die Rüstungsindustrie (II).
[1] Thomas Wiegold: Planung für die Luftverteidigung: Schwerpunkt Drohnenabwehr, Entscheidung über TLVS ‘derzeit nicht im Fokus‘. augengeradeaus.net 23.03.2021.
[2] S. dazu Vorbereitung auf den Drohnenkrieg.
[3], [4] Nathalie Trappe: Welche Kosten und Folgen hätte ein deutscher „Iron Dome“? tagesspiegel.de 06.03.2022.
[5] Scholz erwägt Kauf von Raketenschutzschirm. n-tv.de 27.03.2022.
[6] Germany mulls purchasing Israel’s Arrow 3 anti-missile shield. timesofisrael.com 27.03.2022.
[7] Michael Nienaber, Arne Delfs: Germany Weighing Missile-Defense Shield Made in U.S. or Israel. bloombergquint.com 27.03.2022.
[8] Deutsche Soldaten bei internationaler Drohnen-Übung in Israel. juedische-allgemeine.de 22.07.2021.
[9] Seth J. Frantzman: IAI and Hensoldt team up for German ballistic missile defense radar. defensenews.com 29.07.2021.
[10] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (II).
[11] Papa: pazzia aumento spesa armi al 2%, mi sono vergognato. ansa.it 24.03.2022.